Nationalräte stellen 14 Wochen Mutterschaftsurlaub infrage – nicht nur Linke sind empört
Auf den ersten Blick wirkt das wie eine Revolution: Die Schweiz soll eine Elternzeit einführen. Das hat die Sozialkommission des Nationalrats wie schon zuvor jene des Ständerats entschieden. Nur: Ein Ausbau der freien Tage für frischgebackene Eltern soll damit in der Schweiz nicht einhergehen. Stattdessen will die Kommission «eine pragmatische, dauerhafte und politisch mehrheitsfähige Lösung».
Konkret sollen die 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und die 2 Wochen Vaterschaftsurlaub «flexibler» verteilt werden können. Das klingt nicht mehr nach Revolution. Für die Befürworter einer ausgebauten Elternzeit ist es vielmehr eine Art Trojanisches Pferd, das in Tat und Wahrheit einen Abbau bringe.
So ritzt die Kommission vor allem am gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschaftsurlaub. Fortan wäre es denkbar, dass die Mutter nach der Geburt weniger als die bisherigen rund 3,5 Monate bezahlte Berufspause erhält. Für die Mehrheit in der Kommission soll mit dem Modell der «Gleichstellung der Geschlechter» und den «gesellschaftlichen Entwicklungen» Rechnung getragen werden.
Initiative fordert deutlich mehr
Die Idee mit den splittbaren 16 Wochen Vater- und Mutterschaftsurlaub kam aus der Reihe der FDP. Mit 15 zu 9 Stimmen fiel der Entscheid in diese Stossrichtung deutlich. Die Zahl der Nein-Stimmen entspricht den Vertreterinnen und Vertretern von SP, Grünen und GLP in der Kommission.
Der Protest bei den Unterlegenen fällt laut und hart aus. Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone wirft den Nationalrätinnen und Nationalräten vor, ein Tabu zu brechen. Damit gefährde man den Schutz der Mütter nach der Geburt. «Das ist ein schwerer Angriff auf die Gesundheit von Mutter und Kind und ein skandalöser Rückschritt.» Mazzone ist einer der Köpfe hinter der Familienzeit-Initiative, die Anfang April lanciert worden ist. Sie fordert je 18 Wochen für Mutter und Vater.
«Der Antrag der Kommissionsmehrheit verkehrt die Idee einer Elternzeit ins Gegenteil», kritisiert GLP-Nationalrat Patrick Hässig. «Für mich sind das statt ein Schritt vorwärts gleich zwei Schritte zurück.» Auch SP-Nationalrätin Barbara Gysi spricht von einem «absoluten No-Go», die 14 Wochen Mutterschaftsurlaub anzutasten. «Es braucht einen Ausbau – aber nicht zulasten der Mütter.»
«Wir wollen Eltern mehr Flexibilität geben»
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt, eben erst selber Papi geworden, wehrt sich gegen den Vorwurf, den Mutterschaftsurlaub anzugreifen. «Wir wollen Eltern einfach mehr Flexibilität geben.» Ganz frei sollen die Eltern die Familienzeit aber auch künftig nicht aufteilen können. Aus gesundheitlichen Gründen sollen mindestens acht Wochen Urlaub für die Mutter Pflicht sein, findet der Freisinnige.
Angestossen wurde die Debatte im Rat unter anderem durch den Kanton Genf. Die Stimmbevölkerung des Kantons Genf hatte im Sommer 2023 Ja zu einer Elternzeit von 24 Wochen gesagt. Doch der Bundesrat pfiff den Kanton zurück: Der Sololauf sei nicht mit dem Bundesrecht vereinbar. Genau für solche föderalen Einzelgänge will die Sozialkommission des Nationalrats nun Hand bieten. Den Kantonen soll es erlaubt werden, «grosszügigere» Lösungen anzubieten.
Ob nun die Kommission des Ständerats oder jene des Nationalrats die Vorlage ausarbeitet, ist noch offen. Allerdings dürfte auch in der kleinen Kammer eine grosszügigere Variante einen schwierigen Stand haben. Zwar verzichtete die entsprechende Kommission im Januar auf konkrete Empfehlungen, aber auch da war von einer «pragmatischen Lösung» die Rede, die «finanziell tragbar» sein müsse. Oder wie es Kommissionspräsident Damian Müller (FDP/LU) formulierte: «Am Schluss hat das Ganze ein Preisschild.» (aargauerzeitung.ch)


