Im Kanton Schwyz hat sich am Sonntag Denkwürdiges ereignet. Die Stimmberechtigten beschlossen mit 59,2 Prozent Ja eine stärkere Besteuerung grosser Einkommen und Vermögen. Dies sei eine «überraschend satte Mehrheit», sagte Finanzdirektor Kaspar Michel (FDP) dem Tages-Anzeiger. Das Ergebnis lässt in der Tat aufhorchen.
Die Schwyzer sind bekannt für ihre erzkonservative, staatskritische Weltsicht. Während Jahren haben sie die Steuern kräftig gesenkt. Nur im Nachbarkanton Zug – dem Schweizer Steuerparadies schlechthin – werden die Reichen ähnlich vorteilhaft besteuert. Zahlreiche vermögende Personen konnten so angelockt werden, die Rechnung aber ging trotzdem nicht auf.
Seit 2009 schreibt Schwyz teils tiefrote Zahlen. Weil das Sparpotenzial im kleinen Kanton mit seinen schlanken Strukturen weitgehend ausgereizt ist, blieb kein anderer Weg mehr als die Steuererhöhung. Das Resultat könnte Signalwirkung für die Schweiz haben.
In den Nullerjahren haben sich zahlreiche Kantone einen Wettlauf um die tiefsten Steuersätze geliefert. Der Ökonom und ehemalige SP-Nationalrat Rudolf Strahm spricht von einem «Race to the Bottom». Das Volk machte mit, geblendet von der Verheissung, tiefere Steuern würden dank dem Zuzug von Firmen und reichen Privatpersonen zu höheren Einnahmen führen.
Diese wundersame Geldvermehrung konnte nüchtern betrachtet gar nicht funktionieren, zumindest nicht für alle. Die Folge sind hohe Defizite nicht nur in Schwyz. Rudolf Strahm kritisiert den Steuerwettbewerb unter den Kantonen harsch: «Das Wachstumsmodell der Steueroasen beruht nicht auf grösserer Tüchtigkeit und produktiver Wertschöpfung, sondern auf einer Monacoisierung mit gesicherten Supervillen und undurchsichtigen Firmensitzen.»
Bedeutet der Schwyzer Entscheid für höhere Steuern nun die Trendwende? Frank Marty, Leiter Steuern und Finanzen beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, winkt ab: «Ich sehe das nicht so. Die Kantone probieren aus, wie viel es verträgt. Wenn es nicht mehr funktioniert, sind Korrekturen nötig.» In Schwyz sei dies der Fall. Der Kanton habe Probleme wegen dem neuen Finanzausgleich (NFA): «Schwyz hat die Vermögenden wohl zu wenig besteuert.»
Der NFA ist zum populären Sündenbock geworden, vor allem in Schwyz und Zug. Sie müssen hohe Beiträge an die steuerschwachen Kantone abliefern und verlangen lautstark nach Anpassungen zu ihren Gunsten. Dabei hat vor allem Schwyz sich die Schwierigkeiten selbst eingebrockt, denn die NFA-Beiträge werden nicht nach den konkreten Einnahmen, sondern nach dem so genannten Ressourcenpotenzial berechnet. Schwyz habe dieses «nicht einmal halb so stark ausschöpft wie der Durchschnitt», stellte die wirtschaftsnahe Denkfabrik Avenir Suisse fest.
Im Klartext: Die reichen Zuzüger liefern dem Fiskus in Schwyz viel weniger ab, als sie nach den Vorgaben des NFA sollten. Die am Sonntag beschlossene Steuererhöhung ist eine – moderate – Korrektur in die richtige Richtung. In anderen Tiefsteuer-Kantonen sind ähnliche Massnahmen kein Tabu mehr. Die Nidwaldner Regierung erachtet höhere Steuern als unvermeidlich, und selbst der Zuger Finanzdirektor Peter Hegglin schliesst sie nicht aus.
Wenn kleine Kantone ans Limit geraten, sind grössere Stände erst recht in Bedrängnis. Exemplarisch dafür stehen Luzern und St. Gallen, die Zentrumskantone der Zentral- respektive Ostschweiz mit entsprechenden Lasten. Beide haben in den letzten zehn Jahren die Fiskalbelastung stark reduziert, nicht zuletzt wegen ihren kleinen Nachbarkantonen, die sich mit Feuereifer am Steuerwettbewerb beteiligten und die Zentren so in Bedrängnis brachten.
Seither wird in beiden Kantonen kräftig gespart, während die erhofften Mehreinnahmen ausblieben. Die St. Galler Regierung zog vor zwei Jahren in einem Bericht ein ernüchterndes Fazit: «Im interkantonalen Vergleich konnte der Kanton St. Gallen trotz der teils deutlichen Steuerentlastungen seine Position nicht entscheidend verbessern.» Nach zwei Steuererhöhungen und drei Sparpaketen haben die Ostschweizer ihre Finanzlage einigermassen in den Griff bekommen. Von schwarzen Zahlen kann aber noch keine Rede sein.
Luzern setzte auf eine forsche Vorwärtsstrategie und führte die schweizweit tiefsten Gewinnsteuern für Unternehmen ein. Das brachte Firmen in den Kanton, aber eben nicht genug. Weshalb auch die Innerschweizer das Messer bei den Ausgaben ansetzten mussten. Der Plan der Regierung, den Schülern aus Spargründen eine Woche mehr Ferien zu geben, sorgte dabei für Häme und wurde vom Kantonsparlament gestrichen. Dafür beschloss es Ende 2013 eine «befristete» Steuererhöhung.
Die Steuern allein sind nicht schuld an den Defiziten in vielen Kantonen. Sie müssen sich auch mit höheren Ausgaben im Gesundheits- und Sozialbereich herumschlagen und die ausbleibenden Gewinnausschüttungen der Nationalbank verkraften. Ausserdem drohen mit der Unternehmenssteuerreform III weitere Ausfälle, deren Ausmass noch nicht abschätzbar ist. Die Zeit der permanenten Steuersenkungen jedenfalls ist vorerst abgelaufen.
Dazu trägt auch ein Umdenken im Volk bei. Viele «Normalverdiener» haben realisiert, dass sie nur wenig von tiefen Steuern profitieren, die Nachteile aber in vollem Ausmass zu spüren bekommen, vor allem durch massiv höhere Wohnkosten. Ein weiterer Entscheid vom Sonntag ist deshalb mindestens so weitreichend wie jener in Schwyz: Die Nidwaldner stimmten mit happigen 71,5 Prozent Ja für die staatliche Förderung von bezahlbarem Wohnraum.
Ein weiterer Urnengang steht auf nationaler Ebene an: Am 30. November kommt die Volksinitiative für ein Verbot der Pauschalbesteuerung zur Abstimmung. Lanciert wurde sie von der Linksaussen-Partei Alternative Liste (AL), trotzdem dürfte sie nicht völlig chancenlos sein. Fünf Kantone haben die Pauschalbesteuerung abgeschafft, darunter Basel-Stadt und Zürich.