Die ehemaligen Uhrenateliers im Jurabogen werden systematisch auf Radioaktivität untersucht. Dies kündigte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Pfingstsonntag an. Die möglichen Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung seien gering. Die «SonntagsZeitung» fand laut eigenen Angaben im Bundesarchiv eine Liste mit den Standorten von rund 85 früheren Radium-Ateliers. Es handle sich dabei um ehemalige Leuchtfarben-Setzateliers der Uhrenindustrie in mehreren Kantonen, die vor 1963 tätig waren, wie das Bundesamt für Gesundheit am Sonntag mitteilte.
25 davon hatten nach 1963 eine Bewilligung für die Verwendung radiumhaltiger Substanzen erhalten. Sie gehören zu jenen Betrieben, die die Suva regelmässig kontrollierte und deren Gebäude sie bei der Einstellung der Arbeiten freigab, wie das BAG schreibt. Die übrigen Betriebe hätten nie eine Bewilligung beantragt und deshalb nach 1963 auch kein Radium mehr beziehen können. Ob sie zu einem früheren Zeitpunkt allenfalls mit radioaktiven Substanzen gearbeitet haben könnten, sei ebenfalls Gegenstand von Abklärungen, schreibt das BAG.
Das BAG will nun eine Gesundheitsgefährdung jener Menschen, die heute in den Gebäuden der ehemaligen Uhrenateliers arbeiten oder wohnen, ausschliessen. Es wird deshalb in den nächsten zwölf Monaten an allen ehemaligen Standorten, an denen möglicherweise mit Radium gearbeitet wurde, in Zusammenarbeit mit der Suva Messungen durchführen. Diese Messungen betreffen sowohl jene Betreibe, die einmal über eine Bewilligung verfügt haben, als auch jene, die vor 1963 ohne Bewilligung tätig waren. Das BAG werde die Messungen in privat genutzten Gebäuden durchführen, die Suva in den gewerblich genutzten Liegenschaften.
Der Bund werde die Kosten für die Messungen übernehmen. Das BAG werde zudem einen Kataster erstellen mit allen ehemaligen Ateliers, die mit Radium gearbeitet haben. Dazu würden historische Nachforschungen bei den Kantonen und Gemeinden durchgeführt.
Das BAG weist darauf hin, dass Spezialisten des Bundes und der Suva rund 100 Betriebe, von denen rund 40 mit Bewilligung Radium-Leuchtfarbe verwendet hatten, regelmässig kontrolliert hätten. Keines dieser Unternehmen sei heute noch in Betrieb. Bei rund 90 dieser Betriebe seien Gebäudeteile dekontaminiert worden. Rund 30 dieser 90 Betriebe hätten effektiv mit Radiumfarbe gearbeitet. Alle Gebäude seien erst dann freigegeben worden, als die Sanierung abgeschlossen und der Nachweis erbracht worden sei, dass keine gesetzlich festgelegten Grenzwerte überschritten worden seien. Für die nachmaligen Bewohner dieser Liegenschaften habe nach heutigem Wissensstand keine Gesundheitsgefährdung bestanden.
Zusätzlich seien rund zehn Kleinstbetriebe mit einer Bewilligung kontrolliert worden. Bei ihnen sei jedoch unklar, ob bei der Betriebseinstellung eine Messung und Sanierung durchgeführt wurde, schreibt das BAG. Dies sei Gegenstand von Abklärungen.
Ausgelöst wurden die Diskussionen um Altlasten aus der Uhrenindustrie durch Funde von radioaktivem Abfall auf der Baustelle der A5-Autobahnumfahrung von Biel. In der Folge wurden zwar der Kanton Bern als Bauherr, das Bundesamt für Gesundheit und die Suva informiert, jedoch nicht die Bevölkerung in der Umgebung der Baugrube. Die Behörden räumten schliesslich am vergangenen Montag Fehler in der Kommunikation ein. Das Bundesamt für Gesundheit richtete unter der Adresse str@bag.admin.ch zudem eine Kontaktstelle für Fragen ein. An diese Adresse können der Behörde auch weitere potenziell betroffene Standorte gemeldet werden. (rey/kub/sda)
Die «SonntagsZeitung» fand im Bundesarchiv eine offen zugängliche Liste mit den Standorten von rund 85 früheren Radium-Ateliers. Die Suva hat die Liste letzte Woche geprüft und bestätigt, dass davon lediglich 25 Standorte dekontaminiert wurden. «Bei manchen Betrieben und Kleinkunden, die vor 1963 ohne Bewilligung Leuchtfarben zum Teil auch in Heimarbeit benutzt haben, war eine Kontrolle aufgrund der fehlenden Unterlagen nicht möglich», sagt Michel Hammans von der Suva.
Das äusserst feine Radiumpulver konnte bei der Heimarbeit in alle Ritzen dringen und sich in den Wohnungen verteilen. Inspektoren massen früher in diesen Wohnungen massive Verstrahlungen. Die «SonntagsZeitung» sprach mit Zeitzeugen, die mehrere Familienmitglieder verloren, weil sie an Krebs verstarben.