Mitte-Nationalrat Lorenz Hess will die Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern angehen: Er fordert in einer Motion, dass fehlbare Unternehmen sanktioniert werden können. Am Donnerstag entscheidet voraussichtlich der Nationalrat darüber.
Dass der Vorstoss von einem bürgerlichen Mann kommt, überrascht: Während die linke Seite schon länger Sanktionen verlangt, traten die bürgerlichen Parteien bisher auf die Bremse. Mitunterzeichnet haben die Motion Nationalräte aus allen Fraktionen, unter ihnen auch Doris Fiala (FDP) und Céline Amaudruz (SVP). Lorenz Hess erklärt im Gespräch, was bei ihm zum Umdenken geführt hat.
Sie sind vor allem als Gesundheits- und Sozialpolitiker bekannt, nicht als Gleichstellungspolitiker. Was hat Sie dazu bewogen, 2021 diese Motion einzureichen?
Lorenz Hess: Auslöser war für mich die AHV-Debatte. Ich sprach mich für die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 aus und diskutierte viel darüber, an Anlässen, aber auch privat. Dabei musste ich mir häufig - eigentlich zu Recht - von Frauen sagen lassen: Macht zuerst die Hausaufgaben bei den Löhnen, dann helfen wir bei der Erhöhung des Frauenrentenalters mit. Seither bin ich sensibilisiert für dieses Thema.
Seit Sie die Motion eingereicht haben, hat sich die Ausgangslage verändert: Das Stimmvolk hat Ja gesagt zur Erhöhung des Frauenrentenalters. Dennoch halten Sie daran fest?
Ja, aus zwei Gründen. Erstens darf man nicht vor der AHV-Abstimmung sagen, man werde Lohngleichheit schaffen - und es nachher nicht tun. Das wäre nicht sauber. Zweitens hält die Bundesverfassung das Recht auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit fest. Die Frage ist: Wollen wir Lippenbekenntnisse, oder meinen wir es ernst? Die Antwort darauf sollte eigentlich leichtfallen. Es gibt in vielen Bereichen Sanktionen, aber ausgerechnet bei der Lohngleichheit haben wir uns bisher mit Analysen und Berichten begnügt.
Das Parlament hat 2018 einen Schritt gemacht: Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitnehmenden müssen eine Lohngleichheitsanalyse durchführen und Mitarbeitende sowie Aktionäre informieren. Warum reicht das nicht?
Eine gesetzliche Vorschrift hat dann Durchschlagskraft, wenn man Sanktionen befürchten muss, falls man sich nicht daran hält. Das ist in unserem System leider so. Ausserdem passt meine Motion auch rein zeitlich gut zum Kontext der Lohngleichheitsanalysen.
Der Bundesrat argumentiert, sie sei verfrüht.
Bis der Vorstoss effektiv umgesetzt würde, ist es nicht zu früh. Es dauert, bis eine Motion überwiesen ist. Bis dann hat man dank der Lohnanalysen eine gute Grundlage, um eine vernünftige Regelung zu finden.
Wie sollen die Sanktionen aussehen?
Es wäre zu früh, jetzt beispielsweise Bussenbeträge in den Raum zu stellen. Wird die Motion überwiesen, müsste der Bundesrat einen Vorschlag vorlegen. Dann kann man darüber diskutieren, wie milde oder streng die Sanktionen sein sollen.
Was ist Ihre Haltung?
Ich gehe davon aus, dass die Einführung von Sanktionen schon ein sehr starkes Signal wäre und man daher nicht mit drastischen Sanktionen arbeiten müsste. Es wäre im Interesse jeder Unternehmung, dass sie nicht zu jenen gehört, die sanktioniert werden.
Ein Teil der Lohndifferenz gilt als nicht erklärbar. Es gibt Kritiker, die sagen: Vielleicht hat man für diesen Teil lediglich die Erklärungen noch nicht gefunden oder nicht statistisch nachweisen können.
Ja, einige sagen, es gebe gar keine Lohnungleichheit. Das spräche aber nicht gegen Sanktionen: Wenn dem tatsächlich so wäre, hätten die Unternehmungen ja nichts zu befürchten. Es geht bei meiner Motion um den nicht erklärbaren Teil - und diesen gibt es allen Unkenrufen zum Trotz immer noch. Ein anderes Gegenargument ist, man solle lieber Gesetze und Vorschriften abschaffen, als neue zu machen. Mit diesem Argument kann man jedes Gesetz bodigen. Aber das Problem löst man so nicht.
Haben Sie eine Vorstellung, nach welchen Kriterien sanktioniert werden soll?
Ganz grundsätzlich müsste in der gesetzlichen Regelung aufgeführt werden, wann es Sanktionen gibt. Man müsste sicher berücksichtigen, dass es einen erklärbaren und einen nicht erklärbaren Anteil an Lohndifferenz gibt. Es wäre auch zum Beispiel möglich, eine gewisse Bandbreite zu definieren, was als zulässig gilt.
Die Gegner sprachen schon bei der Einführung der Lohngleichheitsanalysen von «Lohnpolizei». Nun wollen Sie sogar Sanktionsmöglichkeiten.
Eine Lohnpolizei wird es nie geben. Eine gesetzliche Norm ist einzuhalten, ohne dass man ein spezielles Kontrollorgan, eine spezielle Polizei einführt. Es gibt beispielsweise auch Bereiche, in denen eine Selbstdeklaration verlangt wird, die Behörden aber die Daten einsehen können.
Haben Ihre Töchter eigentlich eine Rolle gespielt, bei Ihrem Engagement?
Wir haben tatsächlich schon darüber gesprochen, und sie finden es natürlich wichtig. Aber die Idee für die Motion hatte ich schon vorher. (aargauerzeitung.ch)
Sonst hat wieder jemand in Physik nicht aufgepasst.