Ein Haar, eine Hautschuppe, ein Tropfen Blut: Praktisch jeder Verbrecher hinterlässt eine Spur bei seiner Tat. Und jeder dieser winzigen Teilchen kann ihm zum Verhängnis werden. Möglich macht es die Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA. In ihr ist das Erbgut eines jeden Menschen abgelegt. Entscheidend für die Polizei ist: Jede DNA weist eindeutig auf eine Person hin – von eineiigen Zwillingen mal abgesehen.
Der Bund unterhält eine Datenbank mit rund 192'000 DNA-Profilen von verurteilten Straftätern und Beschuldigten. Findet die Polizei an einem Tatort verdächtige Spuren, gleicht sie diese mit der DNA-Datenbank ab. Gibt es eine Übereinstimmung, kann die Polizei gezielt die betreffende Person befragen. Die Methode ist ein Erfolgsrezept: Jährlich stimmen gegen 6000 Tatortspuren mit einer in der Datenbank verzeichneten Person überein. Nicht selten handelt es sich dabei um den Täter.
Nun will Justizministerin Karin Keller-Sutter die DNA-Analysen ausweiten. Heute kann die Polizei einzig prüfen, ob die Spur am Tatort mit einer Person in der Datenbank übereinstimmt. Ist dies nicht der Fall, ist die Probe nutzlos. Keller-Sutter will der Polizei nun ermöglichen, die DNA-Spuren inhaltlich auszuwerten, um Hinweise auf das Aussehen des Täters zu erhalten.
Gerade, wenn die Spuren eindeutig dem Täter zugewiesen werden können – zum Beispiel bei einem Vergewaltigungsfall – würde dies die Strafverfolgung deutlich erleichtern. Weiss die Polizei über Haar-, Augen- und Hautfarbe eines Täters Bescheid, kann sie gezielt nach dieser Person fahnden. Phänotypisierung heisst das in der Fachsprache.
Oft, wenn Strafrechtsbehörden für diese Methode werben, fällt der Name Marianne Vaatstra. Marianne Vaatstra war ein 16-jähriges Mädchen, deren gewaltsamer Tod im Jahr 1999 ganz Holland erschütterte. Nach einem Discobesuch beschliesst das Mädchen, alleine mit dem Velo nach Hause zu fahren. Ankommen tut sie da allerdings nie. Auf dem Weg wird sie vom Velo gerissen, vergewaltigt und erwürgt. Ihre Leiche findet die Polizei am nächsten Morgen auf einer Wiese. Schnell fällt der Verdacht auf die Flüchtlinge, die wenige hundert Meter vom Fundort der Leiche in einem Auffanglager untergebracht sind.
Die Bürger reagieren mit Zorn, gar zu Anschlägen auf die Unterkunft kommt es. Was die Bevölkerung damals aber noch nicht weiss: Die DNA-Proben der Flüchtlinge werden alle negativ ausfallen. Erst später wird sich herausstellen, dass ein Friese die Tat begangen hat. Für die Befürworter der Methode ist klar: Hätte die holländische Polizei schon damals die gefundene DNA auf Körpermerkmale untersuchen dürfen, wären die Angriffe auf das Flüchtlingsheim unterblieben.
Nützlich wären Hinweise auf die Täterschaft auch bei DNA-Massentests. Im Vergewaltigungsfall Emmen etwa wurden über 400 Männer zum DNA-Test aufgeboten. Hätte die Polizei mehr über das Aussehen des Täters gewusst, hätte sie nicht so viele Männer überprüfen müssen.
Der Polizei die Arbeit erleichtern, indem sie die DNA-Daten auf körperliche Hinweise absuchen kann: Kann man dagegen überhaupt etwas haben? Ja, man kann. Der eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger erachtet die Phänotypisierung als «heikel». Dem Fallbeispiel in Holland stellt er ein anderes – fiktives – entgegen: Ein Dorf mit 1000 Einwohnern, eine Vergewaltigung und eine DNA-Analyse, die auf einen dunkelhäutigen Täter hindeutet. «Stellen Sie sich vor, unter welchen Druck die wenigen Männer mit dunkler Hautfarbe im Dorf kommen könnten», sagt Lobsiger. «Gerade bei einer öffentlichen Fahndung drohen Vorverurteilungen, die sich im schlimmsten Fall in spontaner Gewalt entladen könnten.»
Lobsigers Widerstand ist nicht absolut. Bei schweren Verbrechen gegen Leib und Leben habe er «ein gewisses Verständnis», sagt er. Unverhältnismässig findet er hingegen die Methode bei geringeren Delikten wie Einbrüchen.
Wenn Karin Keller-Sutter in einigen Monaten das DNA-Profil-Gesetz vorlegt, will sie auch die Verwandtenrecherche ermöglichen. Diese basiert auf dem Umstand, dass wer verwandt ist, auch ein Grossteil des Erbguts teilt. Damit wird es möglich einen Täter über einen Familienangehörigen zu finden, der in der zentralen DNA-Datenbank verzeichnet ist.
Auch hier gibt es einen spektakulären Fall, diesmal aus England. In den 80er-Jahren vergewaltigte ein Täter mehrere Frauen. Nach erfolgloser Fahndung griffen die Forensiker zur Verwandtenrecherche. Mit Erfolg: Sie spürten die Schwester des Täters auf, die wegen Trunkenheit am Steuer in der DNA-Datenbank verzeichnet war. Schliesslich führte diese Spur zum Vergewaltiger.
Was viele nicht wissen: In der Schweiz wird die Verwandtenrecherche bereits praktiziert – obwohl eine klare gesetzliche Grundlage fehlt. Im Jahr 2015 erstritt sich der Kanton Genf vor Bundesstrafgericht dieses Recht in einem ungeklärten Tötungsdelikt. Seither wurde die Fahndungsmethode bei weiteren 14 schweren Gewaltdelikten eingesetzt, zum Beispiel in Emmen oder beim Vierfachmord in Rupperswil. Keller-Sutter will nun eine klare gesetzliche Regelung schaffen, um die Voraussetzung des Einsatzes zu klären.
Lobsiger begrüsst eine gesetzliche Grundlage im Grundsatz. Für ihn ritzt die Verwandtenrecherche allerdings das Zeugnisverweigerungsrecht von Verwandten. Bei einem gewöhnlichen Strafverfahren können Auskunftspersonen ihre Aussage verweigern, um ihre Familienangehörigen nicht zu belasten. Anders bei der Verwandtenrecherche: Ungefragt könnte eine in der Datenbank vermerkte Person einen Familienangehörigen der Polizei ausliefern. «In diesem indirekten Belastungszwang sehe ich einen systemischen Bruch mit unserer Rechtstradition», sagt Lobsiger.
Das Interesse der Gesellschaft, möglichst jeden Vergewaltiger und Mörder zur Strecke zu bringen, sollte hier höher gewichtet werden als Datenschutzbedenken.
Fraglich ist eher, ob man auf Grund leichter Delikte wie Trunkenheit am Steuer überhaupt DNA-Daten speichern soll. Ab einem gewissen Punkt hat man so DNA Spuren in sämtliche Familien...