Es ist ein ziemliches Wagnis, das die SP Basel-Stadt am 20. Januar 2000 eingeht. Neun Monate vor den kantonalen Wahlen legt die grösste Basler Partei ihre Geschicke in die Hände eines 35-jährigen Landwirts, der erst zwei Jahre zuvor ein Genosse geworden ist – zusammen mit zwei noch jüngeren Vizepräsidenten. «Eine Findungskommission hat uns damals einfach zusammen in einen Spunten gesteckt, gekannt hatten wir uns davor nicht», sagt Sibylle Schürch. «Nach zehn Minuten war klar: Beat übernimmt das Präsidium, wir werden seine Vize.»
Für die SP sollte sich das auszahlen: Dank Beat Jans erobern die Linken schon bald die Mehrheit in der Regierung und legen den Grundstein für fast zwei Jahrzehnte rot-grünes Basel. Am Freitag wird Jans im Berner Haus der Kantone ankünden, dass er für den Bundesrat kandidieren wird. Er, der seit Alain Bersets Rücktritt als Topanwärter auf den Posten gilt. Seit zwanzig Jahren bei jeder Kandidatur an seiner Seite: Sibylle Schürch.
Um die Jahrtausendwende ist die Basler Sozialdemokratie ein verknöchertes Gebilde aus Akademikerinnen und Beamten. Leute mit Migrationshintergrund finden sich in der Grossratsfraktion praktisch keine, der Wähleranteil stagniert. Es ist die ideale Ausgangslage für das junge Polittalent.
Eine «Sachgruppe Migration» entsteht und Jans knüpft Bande zu eingebürgerten Türkinnen und Aleviten. Einer davon ist der heutige Nationalrat Mustafa Atici, der (ebenfalls) auf einen Platz im Bundesrat aspiriert. Er würde es öffentlich nie sagen, aber für ihn ist Jans wohl auch mehr Parteifreund als Konkurrent.
Jans meint es von Anfang ernst mit der Integration. Als 2004 wieder kantonale Wahlen anstehen, lässt er die Regierungskandidaten der SP in den türkischen Kulturvereinen auftreten. Interessierte nimmt er in die Pflicht und auf die Grossratslisten. «Den klassischen Schweizer Arbeiter gibt es kaum noch – Arbeitnehmerpolitik kann man heute nicht mehr ohne Migranten machen», erklärt er den Medien, die plötzlich Namen wie Camlibel oder Kanber auf den Wahlzetteln entdecken.
Die Saat geht schnell auf. Mit der zusätzlichen Mobilisierung klettert die Basler SP von 26 auf 31 Prozent Wähleranteil. Und, fast noch wichtiger: Es gelingt Jans, nach Jahren des Zwists ein gemeinsames Regierungsticket von Rot und Grün zu beschliessen und die Regierungsmehrheit zu erobern. Gewählt ist die noch ziemlich unbekannte Eva Herzog, später Bundesratskandidatin.
Der Grund für diese Erfolge ist Jans' Begeisterungsfähigkeit; es ist seine auffälligste Charaktereigenschaft. Jans hat die Menschen gerne und engagiert sich mit Inbrunst für eine Sache, wenn er ihren Wert erkennt. Er ist sozialisiert in Nicht-Regierungsorganisationen und Sozialprojekten wie Pro Natura und dem Strassenmagazin «Surprise». Er greift zum Megafon gegen die Übernahme der «Basler Zeitung» durch Christoph Blocher, marschiert zum 1. Mai und schwingt Fahnen gegen neue AKW. Am Frauenstreiktag spötteln Parlamentskollegen: Jans, ganz Gender-Rambo, hat sich ein lila Halstuch um den Kopf gebunden.
Im Nationalrat, wo Jans ab 2010 die SP vertritt, bedeutet sein Aktivismus sowieso Fluch und Segen zugleich. Zwar schafft er es schnell, sich einen Namen zu machen. Jans glänzt am Rednerpult und in den Medien mit markigen Wortmeldungen. Gleichzeitig verströmt er gute Laune unter der Bundeshauskuppel. Kicken im FC Nationalrat, Schlagzeug in der Parlamentsband: Das bringt ihm Sympathien über die Parteigrenzen hinaus. Die Wahl zum Fraktionspräsidenten verliert er 2015 dennoch deutlich – auch weil die Fraktion in Roger Nordmann den gewiefteren Taktiker wähnt.
Niederlagen wie diese machen den Strahlemann nie lange gram. Bald schon schickt er sich in eine neue Aufgabe: Vizepräsident der SP Schweiz. Das entspräche ihm sowieso besser, lässt er verlauten. Selbstkritik ja, Hader oder Zweifel sucht man in Jans' Biografie aber vergeblich. Vielleicht kriegen das aber auch nur wenige Menschen mit: So zugänglich er als Politiker wirkt, privat gilt er als verschlossen. Enge Freunde zählt er nur wenige, sagen solche, die ihm nahestehen.
Was echt ist: seine Zuversicht. Jans glaubt ans Gute in den Menschen, selbst in Daniele Ganser will er lange nur das Beste sehen. Dessen Methoden rühmt er auch dann noch als wissenschaftlich, als Ganser längst zum Inventar der Verschwörungstheoretiker gehört, weil er unbelegte Thesen zum Maidan oder 9/11 verbreitet. Ist Jans blauäugig? «Nein», winkt Schürch ab und überlegt. «Wenn, dann vielleicht gutgläubig», sagt Schürch. Erst mit der Coronakrise sagt er sich vom umstrittenen Basler Friedensforscher los.
Mit Putins Invasion in die Ukraine dürfte das Tuch zwischen den beiden definitiv zerschnitten sein: Während Ganser regelmässig Narrative der russischen Staatsregierung übernimmt, lässt Jans nur Stunden nach dem Einmarsch der Truppen die Flagge der Ukraine am Basler Rathaus hissen. Als der Bundesrat noch um die Übernahme von Sanktionen laviert, hat er bereits eine Mahnwache auf dem Marktplatz abgehalten.
Dass er 2020 in diesem Amt landet, hat zu gleichen Teilen mit seinem Charakter und mit Zufall zu tun. Zunächst liebäugelt er mit einer Ständeratskandidatur, aber zu einem SP-internen Zweikampf gegen Eva Herzog lässt er es nicht kommen: Frauen seien im Stöckli «dermassen stark» untervertreten, begründet er seinen Verzicht. Die Parteibasis zahlt es ihm ein Jahr später mit einem Spitzenresultat bei der Regierungsnomination zurück. Da konnte er noch nicht vorhersehen, dass er auch fürs Regierungspräsidium in die Hosen muss: Als die Bisherige Elisabeth Ackermann miserabel abschneidet, fällt er den Entscheid dazu so spontan wie euphorisch, obwohl alle wussten: Eigentlich wollte er das Wirtschaftsdepartement.
Zwei Jahre amtet Jans inzwischen als Basler Stapi und selbst Bürgerliche attestieren ihm einen grossen Lernprozess. «Aus dem Parlamentarier ist ein Exekutivpolitiker geworden», sagt etwa Mitte-Präsident Balz Herter. Man könnte auch sagen: In Bern ans Verlieren gewöhnt, ist Jans im linken Basel deutlich besser gelitten. Bekämpfte er als Nationalrat noch die Unternehmenssteuerreform zugunsten der Grosskonzerne, lernte er als Regierungsrat die Vorzüge der Pharma-Millionen kennen – und verteidigte die OECD-Mindeststeuer auch gegen links. SP-Regierungskollege Kaspar Sutter rühmt derweil Jans' Detailkenntnis in den Dossiers. Eine Eigenschaft, an die sich auch noch jene bürgerlichen Nationalräte erinnern, die mit Jans damals in den Kommissionen sassen.
Genau in diesem Wort liegt vielleicht aber auch Jans' grösstes Problem: erinnern. Politik ist so schnelllebig, dass bereits zwei Jahre in der Basler Kantonsregierung eine nationale Hypothek bedeuten können. (aargauerzeitung.ch)
Mit Jans könnte ich definitiv besser leben als mit einem Jositsch.