Nach 16 Jahren im Nationalrat tritt der derzeitige Nationalratspräsident Stéphane Rossini im Herbst ab. Interessengruppen haben während dieser Zeit aus seiner Sicht ihre Bemühungen, die Politik zu beeinflussen, verstärkt. Er plädiert für strengere Lobbyismus-Regeln.
Die Situation im Parlament rund um Lobbyisten oder Interessengruppen sei zwar «nicht so schlimm, wie viele meinen», sagte Rossini in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» vom Montag. Er spielte damit auf die Affäre um FDP-Nationalrätin Christa Markwalder an, die kasachischen Einflüsterern aufgesessen war.
Die Lage habe sich in seiner Zeit aber schon verändert, sagte Rossini. «Interessengruppen sind viel aktiver als früher.» Sie schalteten sich viel früher im politischen Prozess ein. «Neu ist auch, dass ganze Gesetzesartikel durch Interessengruppen formuliert und in die Kommission eingebracht werden.»
Problematisch sei es beispielsweise, wenn ein Parlamentarier einen Antrag ab Blatt ablese und zugeben müsse, dass er diesen gar nicht verstehe. Solche Beispiele habe er erlebt. «Dann ist es vorbei mit der Unabhängigkeit», sagte der Walliser SP-Nationalrat.
Er halte es für ein «echtes Problem», wenn Parlamentarier im Auftrag von Verbänden, Gewerkschaften oder sogar Kunden in parlamentarischen Kommissionen Einsitz nähmen. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Gesundheitskommission, in der Repräsentanten von Krankenkassen, Ärzten und der Pharmaindustrie zahlreich vertreten sind.
Rossini räumt ein, dass die Nähe zu Interessengruppen für ein Milizparlament normal ist. Dennoch sei er – Rossini betont, dass er für sich und nicht als Ratspräsident spreche – für eine strenge Regelung, «um die grösstmögliche Unabhängigkeit des Parlaments zu gewährleisten».
Rossini verweist auf eine Reihe von Massnahmen, welche zumeist die SP in Vorstössen vorgebracht hat, beispielsweise: Bei Mandaten mit politischem Bezug sollten Parlamentarier auch ihr Honorar offenlegen. Er würde sogar noch weiter gehen: «Verwaltungsratsmandate und bezahlte Tätigkeiten in Gremien von Verbänden und anderen politischen Gruppierungen» sollten tabu sein.
Auch die Entscheidfindung in den Kommissionen sollte transparenter werden: Um zu zeigen, wer auf politische Entscheide eingewirkt hat, wäre es laut Rossini schon hilfreich, wenn die Liste der angehörten Experten offengelegt würde.
Als «ermutigendes Zeichen» wertet Rossini, dass im Büro des Nationalrats, das sich eine Grundsatzdebatte zum Lobbying wünscht, ein Umdenken stattgefunden hat. Dennoch: Auf die Frage, ob sich das Parlament, das die meisten Transparenz-Vorstösse ablehnte, selber schützt, sagte Rossini: «Offen gesagt, ich kann Ihnen nicht widersprechen.» (sda)