Im Detailhandel sind die Margen bei Alltagsprodukten in der Regel nicht grösser als ein Reiskorn. Deshalb sind Verhandlungen über den Einkaufspreis zwischen Herstellern und Supermärkten oft eine harzige Angelegenheit. Dies zeigte sich zuletzt auch beim US-Riesen Mars und dem Schweizer Händler Coop.
Im Herbst 2022 wollte Mars zahlreiche Produkte verteuern. Das wollte Coop-Chef Philipp Wyss nicht hinnehmen. Man sei mit dieser Preispolitik nicht einverstanden und habe deshalb entschieden, diverse Produkte der Marken «Ben's Original», «Balisto» und «Crave» dauerhaft aus dem Sortiment zu nehmen, gab der Händler in seiner hauseigenen Zeitung darauf bekannt. Ein mutiger Schritt, schliesslich gehört insbesondere «Ben's Original» zu den wohl stärksten und bekanntesten Marken in den Supermarkt-Regalen.
In der Lebensmittelzeitung doppelte Wyss ein Jahr später nach: «Wenn der Lieferant nicht nachweisen kann, wieso etwas teurer wird, sehen wir keinen Grund dazu, mehr zu bezahlen.» Auch andere Lieferanten würden nicht nachvollziehbare Forderungen stellen, doch Mars sei «unverhältnismässig» gewesen. Zudem kündigte Wyss eine baldige Eigenkreation an, welche den Platz von «Ben's Original» im Regel übernehmen soll.
Nun ist es so weit: Wie ein Augenschein in einer Filiale zeigt, hat Coop dieser Tage die neue Marke «Tom's Best» lanciert. Der Name mit einem Vornamen bestehend aus drei Buchstaben sowie die orange Farbprägung machen deutlich, dass sich der Händler von «Ben's Original» hat inspirieren lassen.
Coop-Sprecher Caspar Frey bestätigt auf Anfrage, dass die «Tom's Best»-Linie diese Woche offiziell in den Verkauf gekommen sind. Einzelne Produkte seien seit wenigen Wochen bereits erhältlich. Zu den Beweggründen gibt sich der Händler plötzlich zurückhaltend, nimmt den Namen des US-Herstellers nicht in den Mund. Frey sagt bloss: «Unsere Eigenmarke wurde einem Verpackungsrelaunch unterzogen, um einen neuen und zeitgemässen Auftritt zu realisieren.» Die neue Farbgestaltung der Produkte seien besser für die Kundenführung.
Und inwiefern hat Coop bei der Darstellung bei «Ben's Original» abgeschaut? «Der Markenname und die Verpackungsgestaltung sind aus unterschiedlichen Inspirationsquellen entstanden», sagt Frey. Mars habe bisher nicht interveniert.
Für die US-Firma ist Coops Schritt auf jeden Fall eine ernst zu nehmende Ohrfeige. Dass Produkte in Preisverhandlungen temporär aus den Geschäften verschwinden, ist keine Unüblichkeit. Doch der offensichtliche Ersatz durch eine günstigere Eigenmarke ist ein weiterer Eskalationsschritt, der auf ein längeres Fernbleiben des Originals deuten dürfte – und Mars in den Verhandlungen noch stärker unter Druck setzt.
Und wie reagiert Mars? Werden die Preise nun gesenkt? Wird gegen das ähnliche Packungslayout juristisch vorgegangen? Die Fragen bleiben offen, man wolle zum Thema keine Auskunft geben, sagt eine Sprecherin auf Nachfrage von CH Media.
Es ist jedenfalls nicht das erste Mal, dass Coop diese Strategie anwendet. 2019 begann ein jahrelanger Streit zwischen dem Händler und dem US-Getränkekonzern Coca-Cola. Dieser beschloss, seine 0,5-Liter-Flaschen durch 0,45-Liter-Flaschen zu ersetzen, den Preis aber nicht anzupassen.
Einerseits begann Coop daraufhin damit, die Halbliterflaschen zu importieren, um den Schweizer Cola-Ableger zu umgehen. Andererseits lancierte die Genossenschaft eine günstigere Alternative aus der Schweiz namens «Happy Cola». Inzwischen sind die 0,45-Liter-Flaschen wieder verschwunden und Coop bezieht die originale Brause wieder von der Schweizer Abfüllfirma.
Zudem übte sich Coop zuletzt gleich doppelt im Kopieren von bekannten Markenprodukten – auch ohne publik gewordenen Preisstreit. So steht seit einigen Monaten die Eigenmarke «Karl’s Ketchup» im Regal – ein offensichtlicher «Heinz»-Abklatsch. Und im Kühlfach sind «Alex Jacky»-Glacés erhältlich, die vom Original «Ben & Jerry’s» inspiriert wurden.
Gleichzeitig bewegt sich Coop mit solchen Retorsionsmassnahmen auf dünnem Eis. So hat die Eidgenössische Wettbewerbskommission (Weko) im November einen Bericht publiziert. Dieser ging der Frage nach, ob Coop marktbeherrschend ist und ob diese allfällige Macht gegenüber den Lieferanten missbraucht wird.
Eine Umfrage bei 43 Lieferanten hatte laut der Weko gezeigt, dass Coop in einem Fall – es ging um eine neue Abrechnungsmethode, die Coop verlangte – grossen Druck auf die Partner aufbaute und damit drohte, ihre Produkte auszulisten, sollten sie nicht einlenken. Coop streitet dies ab.
Tatsächlich gilt seit Jahren die Regel, dass ein Markenhersteller nur in Zusammenarbeit mit Coop ein Produkt in der Schweiz erfolgreich etablieren kann, da der Händler der mit Abstand grösste Markenartikelverkäufer im Land ist – trotz des Markteintritts von Aldi und Lidl. Und die Migros als grosser Gegenpol setzt in erster Linie auf ihre Eigenmarken.
Bei Ben’s Original stellt sich wiederum die Frage, wer am längeren Hebel sitzt. Denn die traditionsreiche Marke darf sehr wohl als sogenanntes «Must-in-Stock-Produkt» bezeichnet werden. Darunter fallen Marken mit besonders starker Strahlkraft, auf die ein Händler praktisch nicht verzichten kann, ohne Einbussen zu riskieren.
Coop-Chef Wyss wird auf jeden Fall in seinen Verkaufszahlen bald sehen, ob es seiner Kundschaft egal ist, ob der Reis von Ben oder Tom stammt.