International
China

China-Expansion: Xi Jinping greift nach Putins Gebieten

In this photo provided by China's Xinhua News Agency, Chinese President and party leader Xi Jinping delivers a speech at a ceremony marking the centenary of the ruling Communist Party in Beijing, ...
Der chinesische Präsident und Parteiführer Xi Jinping, aufgenommen am 1. Juli 2021.Bild: keystone

China-Expansion: Xi Jinping greift nach Putins Gebieten

Die Sicherheitslage im Südchinesischen Meer spitzt sich zu. Mittlerweile schickt China Kampfpatrouillen, um seine Gebietsansprüche zu untermauern. Doch es ist nicht die einzige Region, in der Peking versucht, sein Territorium zu erweitern.
28.04.2024, 22:0329.04.2024, 08:56
Patrick Diekmann / t-online
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

China ist schon jetzt ein Riesenreich. Obwohl die Volksrepublik das viertgrösste Land der Erde ist, möchte sie ihre Grenzen weiter ausdehnen. Seit Mao Zedong arbeiten chinesische Staatschefs an der Expansion Chinas, der aktuelle Präsident Xi Jinping ist da keine Ausnahme. Im Gegenteil.

In westlichen Medien ist überwiegend über die Konflikte im Südchinesischen Meer und um die Inselrepublik Taiwan zu lesen. Das ist keine Überraschung: Drohende Eskalationen an diesen für den Welthandel neuralgischen Punkten treffen direkt westliche Wirtschaftsinteressen. Aber der chinesische Drache knabbert auch in anderen Weltregionen an fremdem Staatsgebiet – und das wird für die Welt zum Sicherheitsproblem.

Das wachsende chinesische Selbstbewusstsein führt in jedem Fall auch zu einem immer grösseren Hunger, Gebiete zu vereinnahmen. Deshalb sind Chinas Nachbarn bereits in Alarmbereitschaft, wenn Peking auf neuen Karten einfach mal die Grenzen verschiebt. Denn es handelt sich dabei nicht um ein Versehen, sondern vielmehr um eine wenig subtile Botschaft. Nicht einmal das deutlich grössere Russland ist dabei sicher.

China kämpft um Rohstoffe und regionale Kontrolle

Wie auch Kremlchef Wladimir Putin begründet Xi Jinping seine Gebietsansprüche vor allem historisch, mit Verweisen auf die Ausdehnung des chinesischen Kaiserreiches bis 1856. Chinesische Patrioten sehen darin eine Möglichkeit, historisches Unrecht wettzumachen. Aber Xi geht es eigentlich um knallharte Machtinteressen.

Die Volksrepublik möchte sich mehr Zugang zu Rohstoffen wie seltenen Erden sichern, aber auch zu natürlichen Ressourcen wie Süsswasser oder Wäldern. Daneben möchte China die Seehandelswege kontrollieren, weil das für die eigene Exportwirtschaft existenziell ist. Doch während Putin in Osteuropa kriegerisch vorgeht, attestieren westliche Diplomaten Xi eine durchdachtere Vorgehensweise: China verzichtet bisher auf grössere Kriege, es rückt dann vor, wenn es eine aussenpolitische Schwäche des Westens wittert oder wenn westliche Grossmächte wegsehen.

Zuletzt veröffentlichte das chinesische Aussenministerium im August 2023 eine aktualisierte Karte mit den eigenen Landesgrenzen. Der Teufel liegt hier im Detail. Die Volksrepublik beansprucht zwar nicht ganze Länder für sich, aber durchaus Teile von Indien und Malaysia. Für viele Experten durchaus überraschend: Auch ein kleiner Teil von Russland wird von China als Teil des eigenen Staatsgebietes deklariert. Ein Überblick.

1. Tibet

Ein gutes Beispiel, wie China vorgeht, zeigt sich in Tibet. Nach dem Sturz des letzten Manchu-Kaisers in China 1911 erklärte sich Tibet unabhängig. Doch 1951 machten die chinesischen Kommunisten dem ein Ende und marschierte mit Truppen in das weitestgehend wehrlose und von buddhistischen Mönchen regierte Land ein.

Vom Westen wurde ein unabhängiges Tibet nie anerkannt, obwohl die nationalstaatlichen Wurzeln bis ins achte Jahrhundert zur tibetischen Monarchie zurückreichen. Aber in Bezug auf Tibet wollte der Westen China nicht verärgern. Zwar unterstützten vor allem die USA tibetische Unabhängigkeitskämpfer mit Waffen und die CIA bildete Widerstandskämpfer aus – Bauern, Mönche und Nomaden. Aber weil US-Unternehmen auf gute Geschäfte mit der Volksrepublik zielten, endete diese Unterstützung in den Sechzigerjahren.

Heute sitzt die tibetische Exilregierung im Ausland, das tibetische Staatsoberhaupt – der Dalai Lama – war 1959 als Soldat verkleidet nach Indien geflohen. China hat Tibet zwar Autonomierechte zugestanden, aber chinesische Soldaten und Sicherheitskräfte kontrollieren das Land. Der Konflikt ist nicht beigelegt. Nach buddhistischem Glauben wird der Dalai Lama nach seinem Tod wiedergeboren werden und das wird zwangsläufig zu seinem Konflikt zwischen China und Indien führen. Denn beide Staaten werden versuchen, nach dem Tod des aktuellen Dalai Lamas (88) ein neues tibetisches Staatsoberhaupt zu installieren, um wiederum Tibet zu kontrollieren.

2. Indien

Im Himalaya-Gebirge geht es China vor allem um die grössten Südwasserreserven der Welt, aber auch um seltene Erden. Indien reagierte besonders verärgert auf die neuen Karten aus China. Seitdem Tibet unter chinesischer Kontrolle ist, gibt es auch zunehmend Grenzkonflikte zwischen den beiden asiatischen Atommächten am höchsten Ort der Welt.

Die Lage ist durchaus gefährlich. China und Indien rüsten an ihren Grenzen auf, befestigen ihre Stellungen auf Berggipfeln, bauen Strassen und Militärstützpunkte immer weiter aus. Zwar haben sich beide Staaten auf unbewaffnete Patrouillen in der Region verständigt, aber das führte in der Vergangenheit dazu, dass Soldaten mit Knüppeln und Steinen aufeinander losgingen. Immer wieder kommt es zu Todesopfern. Indien und China werden von national-patriotischen Führern regiert, weshalb in dem Konflikt auch Nationalstolz eine grosse Rolle spielt.

Laut der aktuellsten chinesischen Karte gehören aus der Sicht Pekings die indischen Provinzen Aksai Chin in Ladakh und der indische Bundesstaat Arunachal Pradesh zu China. Arunachal Pradesh benennt die chinesische Führung kurzerhand zu Südtibet um. Eine herbe Provokation für Indien. Ein Sprecher des indischen Aussenministeriums erklärte: «Wir weisen die Ansprüche zurück, da sie jeder Grundlage entbehren.» Indiens Aussenminister Jaishankar Subhramanyam betonte: «Absurde Ansprüche machen Indiens Territorium nicht zu Chinas Territorium.»

3. Südostasien

Auch die Philippinen, Malaysia und Taiwan wiesen die aktuelle chinesische Karte zurück. Malaysia legte sogar diplomatischen Protest gegen China ein, weil die Karte Teile der exklusiven Wirtschaftszone des Landes vor den auf der Insel Borneo gelegenen Provinzen Sabah und Sarawak als chinesisch ausweist.

Besonders im Südchinesischen Meer lässt China gegenwärtig die militärischen Muskeln spielen. Zuletzt schickte Peking erneut Kampfflugzeuge in Richtung Taiwan und im Angesicht eines Marine- und Luftmanövers der USA mit mehreren Verbündeten im Südchinesischen Meer sogar «Kampfpatrouillen» in die umstrittenen Gewässer. «Alle militärischen Aktivitäten, die die Lage im Südchinesischen Meer durcheinanderbringen und Gefahrenherde schaffen, sind unter Kontrolle», erklärte die chinesische Armee.

Doch unter Kontrolle scheint wenig, die Region befindet sich in einer Eskalationsspirale. China hatte in den vergangenen Jahren Fischerflotten geschickt, die kleine unbewohnte Inseln im Südchinesischen Meer besetzten und Boote anderer Staaten gewaltsam abdrängten. Ausserdem schüttete das chinesische Militär künstliche Inseln auf, um Militärbasen zu errichten.

Doch mittlerweile haben sich Chinas Nachbarn auf diese Strategie eingestellt. Länder wie Japan rüsten ihr Militär auf. Die Philippinen und Indonesien bauen ihre maritimen Fähigkeiten aus und stärken mit Unterstützung des Westens ihren Küstenschutz. Besonders die philippinische Marine wird dabei erfinderisch. Anfang April wurde bekannt, dass philippische Soldaten das rostige Militärschiff «Sierra Madre» zu einer Militärbasis ausbauten. Das Schiff wurde 1999 auf Grund gesetzt und liegt in der von China beanspruchten Zone. Die chinesische Marine blockiert dagegen den Zugang zu dem Schiff und die Versorgung der Soldaten ist gefährdet.

China steckt aber durchaus auch in Problemen. Seine Gebietsansprüche führen dazu, dass sich seine Nachbarn in der Region verbünden. Mittlerweile steht Peking einer Koalition aus südostasiatischen Staaten mit Japan, Australien und den USA gegenüber. US-Präsident Joe Biden warnte bereits vor einer möglichen Eskalation: Die Philippinen sind ein enger Verbündeter Washingtons, deshalb gelte der gegenseitige Verteidigungsvertrag beider Staaten ausdrücklich auch für die Soldaten auf der «Sierra Madre», hiess es laut der US-Zeitung «Financial Times» aus US-Regierungskreisen.

4. Russland

Russland und China sehen sich dagegen eigentlich als Verbündete – Putin und Xi haben sich mehrfach eine «grenzenlose» Partnerschaft zugesagt. Trotzdem beansprucht China auch russisches Staatsgebiet. Dabei geht es um die Insel Heixiazi Dao, die inmitten des Azur-Flusses im chinesisch-russischen Grenzgebiet liegt. Die sogenannte «Kragenbär-Insel» wurde 1929 im sowjetisch-chinesischen Grenzkrieg von der Sowjetunion okkupiert. Doch im Oktober 2004 verpflichtete sich Russland, die westliche Hälfte an China zurückzugeben.

Doch das reicht Xi offenbar nicht. Bemerkenswert daran ist, dass Wladimir Putin oder der Kreml nicht darauf reagierten, dass Peking 2023 die ganze Insel beanspruchte – immerhin ist es russisches Staatsgebiet. Das zeigt durchaus, wie schwach Putin durch seinen Angriffskrieg in der Ukraine geworden ist. Russland ist abhängig von China und das Kräftegleichgewicht zwischen den beiden Grossmächten hat sich deutlich zu Pekings Gunsten verschoben.

Für Xi steht seine Freundschaft mit Putin nicht über den eigenen Machtinteressen. In der Vergangenheit gab es immer wieder Grenzkonflikte zwischen Russland und China und Nationalisten auf beiden Seiten beäugen auch noch heute misstrauisch die Partnerschaft, die Xi und Putin gegen die westlich dominierte Weltordnung geschmiedet haben.

Vor allem in Russland wächst die Sorge, dass China auch den östlichen Teil Sibiriens – die äussere Mandschurei – für sich beanspruchen könnte. Immerhin gehörte die Region vor den beiden Opiumkriegen im 19. Jahrhundert zum chinesischen Kaiserreich und wurde erst 1860 dem Russischen Kaiserreich zugesprochen. Zwar scherzen Historiker, dass damals in der Region mehr Bären als Menschen lebten, aber trotzdem könnte Xi auch dort historische Ansprüche anmelden. Schon jetzt kaufen chinesische Unternehmen in Sibirien Hunderttausende Hektar Land. China scheint hier also seinen Einfluss auf friedliche Weise auszudehnen. Zumindest vorerst.

Verwendete Quellen:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
95 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
May O. Näs
28.04.2024 22:48registriert März 2024
Aber wir sind weiterhin so blöd und tun eher weniger um unsere wirtschaftliche Abhängigkeit zu China zu vermindern.
2409
Melden
Zum Kommentar
avatar
Hackphresse
28.04.2024 22:23registriert Juli 2014
So sieht die 'Multipolare Welt' wie sie von den BRICS Staaten herbeigehofft wird aus. Viel Glück uns allen, wenn das Recht des Stärkeren wieder regiert.
2219
Melden
Zum Kommentar
avatar
YvesM
28.04.2024 22:35registriert Januar 2016
Und jeder dieser Konflikte hat immer die Chance, maximal zu eskalieren. Man kann durchaus gehen die Amerikanische Hegenomie sein, aber ist Chaos wirklich die Antwort?
2096
Melden
Zum Kommentar
95
Zweitgrösster Nebenfluss des Amazonas erreicht historischen Tiefstwert

Der zweitgrösste Nebenfluss des Amazonas in Brasilien hat aufgrund der extremen Trockenheit in dem Gebiet den niedrigsten Stand seit Beginn der offiziellen Messungen vor 122 Jahren erreicht. Der Pegelstand des Flusses Rio Negro hatte in der Provinzhauptstadt Manaus im brasilianischen Bundesstaat Amazonas einen Tiefstwert von 12,66 Metern, wie der Geologische Dienst Brasiliens (SGB) mitteilte. Dies sei der niedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1902.

Zur Story