Ein veritabler Überraschungscoup sorgt für Aufregung in Bundesbern. Eine vorwiegend aus Frauen bestehende Mitte-Links-Allianz hat ein 15 Milliarden Franken schweres Paket geschnürt, um die Aufrüstung der Armee bis 2030 und den geplanten Beitrag der Schweiz an den Wiederaufbau der Ukraine mit einem Spezialfonds zu finanzieren.
Damit lässt sich die Schuldenbremse quasi ausbremsen. Obwohl der Deal während Wochen «ausgekocht» wurde, blieb er unter dem Deckel. Erst einen Tag vor dem «Showdown» in der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Ständerats am letzten Donnerstag gelangte er via «Blick» an die Öffentlichkeit. Seither wird er von mehreren Seiten kritisiert.
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) lehnt den «Kuhhandel» ebenso ab wie SVP und FDP, die die Schuldenbremse eisern verteidigen. Widerstand gibt es auch vom rechten Flügel der Mitte-Partei, weshalb es fraglich ist, ob der Deal die parlamentarische Beratung überstehen wird, auch wenn die Kommission ihm zugestimmt hat.
Dabei wäre ein solcher Kuhhandel nichts Neues. 2018 hatte ein Bündnis der damaligen CVP mit der SP die im ersten Anlauf vom Volk gebodigte Unternehmenssteuerreform III mit einer Zusatzfinanzierung für die AHV verknüpft. Diese «Fusion» zweier sachfremder Themen stiess ebenfalls auf Kritik, doch sie segelte glatt durchs Parlament und die Volksabstimmung.
Allerdings gibt es einen gewichtigen Unterschied. Die sogenannte STAF-Vorlage betraf die Einnahmenseite. Beim Mega-Deal für Armee und Ukraine aber geht es um Mehrausgaben. Die Verbuchung ausserhalb des Bundesbudgets erfülle die Kriterien für eine Umgehung der Schuldenbremse nicht, meinen Kritiker. Dies sei nur in ausserordentlichen Fällen möglich.
«Was soll eine ausserordentliche Situation sein, wenn nicht ein Krieg in Europa?», erwiderte die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür. Es ist fraglich, ob sie die Skeptiker überzeugen kann. Beim Ukraine-Wiederaufbau könnte man diese Begründung allenfalls gelten lassen, doch es stellt sich die Frage, ob die geplanten fünf Milliarden Franken ausreichen werden.
Das führt zum vielleicht grössten Problem: Eine 2009 eingeführte Regel verlangt, dass derartige Sonderausgaben mittelfristig über den ordentlichen Haushalt kompensiert werden. Schon bei den Corona-«Sonderschulden» von fast 30 Milliarden Franken ist es zweifelhaft, ob dies wie geplant bis 2035 gelingen kann. Und nun sollen 15 Milliarden hinzukommen?
Man kann mit den Zahlen jonglieren, soviel man will: Es schleckt keine Geiss weg, dass auf den Bund happige Mehrausgaben zukommen. Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) verwies schon bei der 20-Jahr-Feier der Schuldenbremse im letzten September nicht ohne Sorgenfalten auf diese Herausforderung für den Bundeshaushalt.
Armee und Ukraine sind dabei nur Teilaspekte. Ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf ist auch im sozialen Bereich absehbar, bei der AHV (nicht nur wegen der 13. Rente), den Kitas oder den Prämienverbilligungen (vor allem bei einem Ja zur SP-Volksinitiative am 9. Juni). Hinzu kommen der Klimaschutz und ein möglicher Ausbau der EU-Kohäsionszahlungen.
Schon im Budget 2024 könne die Schuldenbremse nur haarscharf und mit Verrenkungen eingehalten werden. «Wir stehen an einem Wendepunkt», sagte Karin Keller-Sutter im letzten September. Noch geben sich SVP und FDP der Illusion hin, die vielen zusätzlich benötigten Milliarden durch Einsparungen in anderen Bereichen kompensieren zu können.
Im Visier haben sie die Asylkosten und die Entwicklungshilfe. Erstere aber lassen sich nur bedingt steuern, und bei der Entwicklungszusammenarbeit riskiert die Schweiz ihren humanitären Ruf. Die Finanzministerin hat deshalb eine fünfköpfige Expertengruppe eingesetzt, die den gesamten Bundeshaushalt auf Sparmöglichkeiten «abklopfen» soll.
Ihr Bericht wird im Spätsommer erwartet. Ob er viel bewirkt, ist fraglich, und das nicht nur wegen der heterogenen Zusammensetzung. In der Gruppe vertreten sind der neoliberale Ökonom Christoph Schaltegger, aber auch die SP-Finanzpolitikerin Ursula Schneider Schüttel und der frühere Bauernverbands-Direktor Jacques Bourgeois (FDP).
Gerade die Bauern verteidigen ihre Subventionen mit Traktoren und Heugabeln. Auch in anderen Bereichen ist sparen leichter gesagt als getan. Letzte Woche stiegen Vertreter von Bildungsinstitutionen – darunter ETH-Präsident Michael Hengartner – auf die Barrikaden, weil der Bundesrat das Ausgabenwachstum bei Bildung und Forschung verlangsamen will.
Es geht also überhaupt nicht um Kürzungen, doch schon bei einem geringeren Wachstum drohe bei der ETH ein Leistungsabbau, warnte Hengartner. Solche Positionsbezüge geben einen Vorgeschmack auf die drohenden Verteilkämpfe. Und am Ende könnte in vielen Fällen das Stimmvolk das letzte Wort haben – was die Materie zusätzlich verkompliziert.
Es bleibt eine unangenehme Erkenntnis: Die schönen Jahre mit regelmässigen Überschüssen sind vorbei. Ab 2027 drohen laut Prognosen des Bundes Defizite von über drei Milliarden Franken, und diese Zahl dürfte eher am unteren Ende der Realität sein. Daraus resultiert eine weitere unangenehme Erkenntnis: Der Staat braucht mehr Geld.
Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Mehreinnahmen durch höhere Steuern oder eine Lockerung der Schuldenbremse. Auch eine Kombination ist möglich. Für die an «paradiesische Zustände» gewöhnte Schweiz ist dies ein schwer verdaulicher Befund. Dank dem «Armee und Ukraine»-Deal aber wird die Schuldenbremse (endlich) zum Thema.
Stattdessen die Schuldenbremse aushebeln, ist die unfairste Lösung gegenüber den nächsten Generationen.
Wer die Umwelt und den Platzbedarf übermässig strapaziert darf auch etwas dafür zahlen. Bei der nächsten Überschwemmung oder Hitzewelle zahlts nämlich sonst wieder die Mehrheit.