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Der Tessiner Tausendsassa

Paolo Bernasconi macht Werbung für die vom Volk angenommene Marche-Blanche-Initiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen».
Paolo Bernasconi macht Werbung für die vom Volk angenommene Marche-Blanche-Initiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen».Bild: KEYSTONE
Neuer Präsident von Marche Blanche

Der Tessiner Tausendsassa

Mit Paolo Bernasconi übernimmt ein profilierter, aber auch umstrittener Jurist das Ruder bei Marche Blanche. Seine Angreifbarkeit stellt für die Organisation ein Risiko dar. Ein Porträt. 
23.05.2014, 03:2023.05.2014, 09:07
Ein Artikel von Aargauer Zeitung
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Antonio Fumagalli / Aargauer Zeitung

Quizfrage: Was haben die Pädophileninitiative, das Freihandelsabkommen mit China und das Tessiner Prostitutionsgesetz gemeinsam? «Nichts» ist die falsche Antwort. Es sind alles Themen, bei denen sich Paolo Bernasconi, auch bekannt als «Tessiner Mafiajäger», im öffentlichen Diskurs stark engagiert hat. Er selbst sieht denn auch einen klaren Zusammenhang zwischen den verschiedenen Gebieten: «Es geht immer darum, Personen in Bedrängnis zu helfen», sagt er.

Als würde er nicht schon genügend Hüte tragen, hat er sich nun noch ein weiteres Amt aufgehalst: Bernasconi übernimmt das Präsidium der Vereinigung Marche Blanche, die mit dem sonntäglichen Ja zur Pädophileninitiative bereits zum zweiten Mal einen Abstimmungserfolg auf nationaler Ebene feiern konnte.

Gründerin Christine Bussat plante ursprünglich, die Aktivitäten nach dem Urnengang einzustellen. Ein No-Go für Bernasconi, der sich als einziger national bekannter Jurist für die rechtsstaatlich umstrittene Initiative einsetzte: «Die Vereinigung verfügt über so viel Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung, dass es äusserst schade wäre, das ihr zukommende Interesse nicht für den weiteren Kampf zu verwenden», sagt er.

Es läuft die «Übergangsphase»

Mit dem Kampf meint der 71-Jährige mit der wehenden Mähne ein verstärktes Engagement gegen häusliche und sexuelle Gewalt. Marche Blanche soll sich künftig insbesondere für die Prävention von Straftaten einsetzen. Man sei derzeit noch in der «Überlegungsphase», eine weitere Volksinitiative habe nicht höchste Priorität. Nur: Ist der joviale Intellektuelle der richtige Mann für eine Organisation, die sich bis anhin durch ihre Volksnähe ausgezeichnet hat? «Wir werden weiterhin sehr nah an den Sorgen der Bevölkerung sein. Dank meinem beruflichen und ehrenamtlichen Hintergrund kann ich aber noch zusätzlich etwas einbringen», sagt er.

In der Tat engagiert sich Bernasconi seit Jahrzehnten in verschiedensten Nichtregierungsorganisationen. Daneben legte er eine steile Juristenkarriere hin. Im Alter von 26 Jahren war er Staatsanwalt und lehrte als unermüdlicher Kämpfer gegen Geldwäscherei und Steuerhinterziehung der italienischen Mafia das Fürchten. Mehrere Prozesse, die Bernasconi zur Anklage brachte, sorgten international für Schlagzeilen. Später unterrichtete der Tausendsassa, der selbst nie eine Dissertation verfasste, Wirtschaftsstrafrecht an verschiedenen Schweizer und ausländischen Universitäten.

Lehnt jeden Auftritt mit Bernasconi ab: Der Tessiner Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri–- hier im Nationalratsaal Anfang Mai 2014. 
Lehnt jeden Auftritt mit Bernasconi ab: Der Tessiner Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri–- hier im Nationalratsaal Anfang Mai 2014. Bild: KEYSTONE

Der 10. April 2011

Bernasconi holte sich zwar die Anerkennung seiner Gilde, in der breiten Öffentlichkeit wurde er aber kaum je wahrgenommen. Bis zum 10. April 2011: Die rechtspopulistische Lega dei Ticinesi errang an jenem Sonntag die relative Mehrheit im Tessiner Staatsrat – ein politisches Erdbeben. Der Wirtschaftsjurist ortete eine «Verrohung der Sitten» und gründete das Komitee Belticino gegen die Lega – mit zweifelhaftem Erfolg. Bei den eidgenössischen Wahlen 2011 triumphierte die Lega abermals. Für deren Nationalrat Lorenzo Quadri hat sich Belticino damit «selbst diskreditiert und unseren Anliegen eher noch geholfen als geschadet».

Die gegenseitige Verachtung hält seither an. Quadri beispielsweise weigert sich, zusammen mit Bernasconi aufzutreten – nicht einmal für ein Streitgespräch am TV ist er zu haben. «Solange er keine Legitimation vom Volk hat, sehe ich keinen Anlass dazu», sagt der Lega-Nationalrat.

Ein politisches Mandat habe ihn nie interessiert, entgegnet Bernasconi, Sohn eines bekannten Tessiner Freisinnigen. So sei er unabhängiger und müsse sich nicht an Parteiparolen halten. Und wenn nötig, habe er immer «genug Leute in Bern gekannt», die seine Ideen in politische Vorstösse umsetzten, sagt er.

Bernasconi als Risiko

Aufgrund seines Engagements bei Vorlagen wie der Abzockerinitiative oder insbesondere gegen die im Tessin starke Lega macht sich Bernasconi aber auch angreifbar – ein nicht zu unterschätzendes Risiko für eine Vereinigung wie Marche Blanche. So kündigt Quadri, der die Pädophileninitiative unterstützte, bereits an, dass man deren Vorschläge künftig «doppelt prüfen» werde. Die Person Bernasconi an der Spitze erleichtere den Dialog «sicher nicht». Es ist eine Kampfansage, die derzeit noch wenig Bedeutung hat. Klar ist: Einfacher wird der erfolgsverwöhnte Weg von Marche Blanche mit dem profilierten Juristen an der Spitze nicht. (trs)

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