Die Schweizer Wirtschaft will am chinesischen Megamarkt teilhaben und der Bundesrat unterstützt dies. Zugleich will man keinen Ärger, nicht mit China, nicht mit den USA oder der EU. Doch Professor Ralph Weber, China-Experte an der Universität Basel, sagt: «Beides zu haben, ist heute schwieriger als gestern, und morgen wird es noch schwieriger.»
Heute finde an vielen Fronten ein gegenseitiges Abmessen statt, sagt Weber. China trete dem Westen auf die Füsse, nicht zuletzt, um zu zeigen, dass es dies könne. Seinerseits verschärft der Westen die Rhetorik und könnte bald zurücktreten. Diese Eskalation zeigt sich in chinesischen Razzien bei westlichen Firmen, einem «wie du mir, so ich dir» im Handel oder im Surfen von Adidas auf Chinas nationalistischer Welle. Eine Einordnung.
Adidas flog in China lange himmelhoch. Bis ein Shitstorm in Chinas Social Media entstand - und der deutsche Sportartikelhersteller boykottiert wurde. Adidas hatte zuvor getan, was im Westen erwartet wurde, nämlich Baumwolle aus Xinjiang boykottiert. Dass in dieser chinesischen Region «die Menschenrechte schwer verletzt werden » , hat zuletzt die UNO in einem Bericht dokumentiert. In den USA hat Präsident Joe Biden ein Gesetz unterzeichnet, dass den Import von Gütern untersagt, die in Xinjiang unter Zwangsarbeit hergestellt worden sind.
Frühere Stürme zogen bald vorbei, dieser nicht. Noch Monate danach wurden Adidas oder auch Nike abgehängt von chinesischen Konkurrenten wie Anta Sports oder Li Ning - die sich öffentlich zu Baumwolle aus Xinjiang bekannt hatten. Chinas Shopper hatten eine «nationalistische Wende» vollzogen, wie die Newsagentur Bloomberg schrieb. «Nike und Adidas waren entthront.»
Adidas will nun, wie es der Sportartikelhersteller sagt, «Köpfe und Herzen» zurückgewinnen. Dafür verkauft er, was die «Financial Times» so bezeichnet: eine «patriotische Kleiderlinie». Traineroberteile im Rot der chinesischen Nationalflagge gehören dazu, auf denen «China» gross in chinesischen Schriftzeichen prangt. Damit richtet sich Adidas modisch nach der «nationalistischen Wende» und kann wohl den Umsatz pushen. Aber es drohen Gegenreaktionen: von unterdrückten Minderheiten; von westlichen NGO, Shoppern oder Politikern.
Kürzlich wurden die Büros mehrere US-Beratungsfirmen von chinesischen Behörden durchsucht. Zugleich wurden sie vom staatlichen Radio gebrandmarkt, wie die «New York Times» schrieb. Sie würden westlichen Ländern dabei helfen, sensible Informationen zu Schlüsselindustrien zu stehlen. In den Medien erschienen Bilder von verängstigt wirkenden Mitarbeitenden, hinter ihnen Polizisten.
Hintergrund könnten chinesische Spionagegesetze sein, welche ausgeweitet wurden. Nun sind sie derart vage formuliert, dass alles darunter fallen kann, was der Regierung nicht genehm ist. Im schlimmsten Fall gibt es Gefängnisstrafen. Laut «Financial Times» befürcht nun die US-Handelskammer, in China zu geschäften, sei riskanter geworden, und zwar in «dramatischem Ausmasse».
China hatte in den vergangenen Jahren einzelne Länder regelrecht abgestraft: Australien mit exorbitanten Zöllen auf seinen Exportschlager Wein; Taiwan mit einem Importverbot von Ananas. Litauen wurde mit einer vollständigen Blockade bedroht: Waren litauische Vorprodukte in deutschen Autos verbaut, durften diese nicht ins Land. Litauen war ein Weckruf.
Nun bahnt sich ein Gegenschlag an. Die EU bereitet neue Instrumente vor, mit denen sie auf «ökonomischen Zwang» mit Strafen antworten kann. Zugleich laufen Bemühungen, die westliche Front auf mehr Länder auszuweiten. An einem Treffen der G7 an diesem Wochenende werden die grössten westlichen Volkswirtschaften an einer gemeinsamen Position arbeiten. China, das die G7 gerne spalten würde, reagierte mit Kritik: Die G7 sei «eine kleine Clique, dominiert von US-Interessen».
Noch ein Zwist, der eskalieren könnte, entstand durch Russlands Angriff auf die Ukraine. China hat einerseits dem Westen gegenüber Neutralität signalisiert, andererseits Russland «grenzenlose Freundschaft» versprochen. Dem Westen missfiel dies, er nahm es aber hin. Das könnte sich ändern.
Die Europäische Kommission will neu Umgehungen von Sanktionen unterbinden - wovon unter anderem chinesische Unternehmen betroffen sein könnten. Das berichtete Bloomberg, nach Einsicht von EU-Dokumenten. Generell geht es um Unternehmen, die den Kreml mit Gütern und Technologien versorgen, die auf zweierlei Weise nutzbar sind: zivil wie militärisch. Peking zieht vorbeugend eine Drohkulisse hoch. Würden chinesische Unternehme sanktioniert, werde man mit «Strenge und Macht» reagieren.
Der Westen konnte das bequeme Märchen nicht länger aufrechterhalten, wonach sich China durch Handel wandeln würde, sagt China-Experte Ralph Weber von der Universität Basel. Dieser Bruch in den Beziehungen werde jedoch im Westen oft falsch erklärt. «Nicht in China hat ein Umdenken stattgefunden; sondern im Westen selbst.»
Unter Xi Jinping sei China autoritärer geworden und verschlossener zur Aussenwelt, aber er verfolge grosso modo die gleichen Ziele wie seine Amtsvorgänger. «Die kommunistische Partei will an der Macht bleiben; dafür muss sie die Bevölkerung auf Linie halten.» Dieser Machterhalt wird im Innern mit Nationalismus gerechtfertigt und mit dem Feindbild USA. Nur die Partei könne China zu seiner früheren Grösse zurückführen. In dieses Narrativ passt, dass die USA tatsächlich China eindämmen wollen, je stärker dieses auf Machtausweitung drängt.
Es sei klar zutage getreten, welche Ambitionen und Ideologie die kommunistische Partei hatte. Der Westen habe dies bloss nicht sehen wollen, weil der Handel mit China wirtschaftlich so viel Gewinn einbrachte. Irgendwann war der Gegensatz von Märchen zu Realität jedoch zu gross - spätestens dann, als Peking die Demokratie in Hongkong zerstörte und überhaupt global forscher auftrat.
«Die EU und vor allem die USA schauen heute viel kritischer auf China und wie sich Unternehmen und Länder wie die Schweiz positionieren», sagt Weber. Dennoch verfolge die Schweiz weiterhin eine Strategie des Durchwurstelns: mal Stellung beziehen, wenn man unter Druck gerät; dann abwarten und nur das Allernötigste tun. «Dabei leidet jedoch der Ruf der Schweiz, und die Wirtschaft hat keine Planungssicherheit», sagt Weber. Das scheine ihm ein riskanter Weg zu sein, aber gewichtige Teile von Politik und Wirtschaft würden offensichtlich so weitermachen wollen. «Das geht vielleicht noch lange gut - oder von heute auf morgen nicht mehr.»