Bundespräsident Alain Berset ist am Samstagmorgen zu einem Überraschungsbesuch in der Ukraine eingetroffen. Bei der Medienkonferenz mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj in Kiew musste er wegen eines Raketenalarms in einem Keller in Sicherheit gebracht werden, wie ein Reporter von Keystone-SDA berichtete. Die Medienkonferenz wurde abgebrochen.
Die Anwesenden seien daraufhin ins Untergeschoss gebracht worden. 20 Minuten später wurde der Alarm wieder aufgehoben. Gefahr bestand demnach zu keinem Zeitpunkt. Nach Angaben der ukrainischen Sicherheitskräfte handelte es sich um einen Alarm wegen eines Angriffs auf ein falsches Ziel. Berset konnte danach zusammen mit dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal seinen Besuch fortsetzen.
Berset kam mit dem Nachtzug in Nemishaieve in der Nähe von Butscha an. In dem Kiewer Vorort hatten im Frühjahr 2022 russische Truppen ein Massaker verübt. Der Bundespräsident wurde vom Schweizer Botschafter in der Ukraine, Felix Baumann, begleitet und bei seiner Ankunft vom stellvertretenden ukrainischen Aussenminister Yevhen Perebyinis begrüsst.
Der Staatsbesuch war bis in letzter Minute vertraulich geblieben. Auf dem Programm der Blitzvisite steht ein Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie dessen Ehefrau.
Gleich nach seiner Ankunft in der Ukraine besuchte der Schweizer Innenminister das grösste Massengrab in der Ortschaft rund 25 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kiew. Dort waren nach der Tat die sterblichen Überreste Dutzender Zivilisten gefunden worden. Am Ort des wahrscheinlich schlimmsten Massakers an Zivilpersonen in den ersten Wochen nach Beginn der russischen Invasion legte Berset einen Kranz nieder, zusammen mit dem Bürgermeister von Butscha, Rusland Krawtschenko, und dem ukrainischen Generalstaatsanwalt Andriy Kostin.
Bei einem Rundgang machte sich der Bundespräsident ein Bild von diesem tragischen Ort, der heute zu einem grossen Teil wieder bevölkert ist. Bilder und Augenzeugenberichte Überlebender hatten in den Tagen nach dem Massaker von Butscha international einen Aufschrei ausgelöst. Russland weist jede Verantwortung von sich und behauptet, das Massaker sei erst nach dem Abzug seiner Truppen verübt worden.
Danach gedachte Berset der Hungersnot Holodomor, die in der damals sowjetischen Ukraine von 1931 bis 1933 mehrere Millionen Opfer gefordert hatte. Vor dem Denkmal in Kiew entzündete er zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dessen Ehefrau eine Kerze. Dieses Jahr jährt sich die Hungersnot zum neunzigsten Mal. Sie wurde im Jahr 2008 von EU-Parlament als Völkermord eingestuft.
Ausserdem nimmt Berset am Gipfel «Ukrainisches Getreide» teil. Dabei geht es um Massnahmen, wie die Ausfuhr von ukrainischem Getreide ins Ausland trotz des russischen Angriffskriegs sichergestellt werden kann. Insbesondere Staaten in Afrika und Asien sind von derartigen Lieferungen abhängig.
Bersets Besuch unterstreiche die Solidarität der Schweiz mit der Ukraine und die finanzielle und humanitäre Unterstützung der Eidgenossenschaft für das Land, teilte der Bund mit.
In der Nacht auf Samstag war Kiew nach ukrainischen Angaben vom stärksten Drohnen-Angriff seit Ausbruch des Krieges im Februar letzten Jahres getroffen worden. 71 russische Shahed-Drohnen seien abgeschossen worden, teilte die ukrainische Armee mit. Fünf Personen, darunter ein Kind, wurden dabei verletzt, wie lokale Behörden berichteten.
Trotz dieser nächtlichen Drohnenangriffe, die vor Bersets Ankunft endeten, lief der Besuch von Berset in der ukrainischen Hauptstadt normal ab. Es sei keine Nervosität spürbar, berichtete ein Journalist der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vor Ort. Es herrsche «Business as usual», sagte eine ukrainische Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft, die die Schweizer Delegation begleitet. Auch der Gipfel zur Ernährungssicherheit und das Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj könnten wie geplant abgehalten werden, mit den üblichen strengen Sicherheitsvorkehrungen. (sda)