Gläubige aus Freikirchen missionieren in allen Weltgegenden – manchmal mit fatalen Folgen
Eine Quizfrage: Wieso missionieren Glaubensgemeinschaften? Einfache Frage, komplizierte Antworten.
Grundvoraussetzung für die Missionierung von Andersgläubigen ist, dass alle Religionen und religiöse Bewegungen überzeugt sind, den einzig wahren Glauben entdeckt zu haben und zu verkünden. Schon hier wird die Geschichte schwierig: Es gibt Zehntausende von religiösen Gemeinschaften und somit anheblich gleich vielen „Wahrheiten“. Das bedeutet, dass 99,99 Prozent der Wahrheitsverkünder falsch liegen. Mindestens.
Weitere Motivationen für die Mission sind ein vermeintlicher Auftrag von Gott, Einfluss, Macht, Wachstum, Geld und Narzissmus der Religionsgründer.
Die Antwort: Primär nur dann, wenn die Missionierten nachher ein besseres Leben erlangen und die Welt ein besserer Ort wird.
Beides dürfte mehrheitlich nicht der Fall sein, denn Mission ist immer auch ein Machtkampf, wollen doch die missionierenden Glaubensgemeinschaften den Konkurrenten Gläubige abspenstig machen. So sind christliche Missionare in muslimischen, hinduistischen und buddhistischen Ländern unterwegs, und muslimische Geistliche versuchen, in christlichen Ländern zu expandieren.
Denn die Missionierung funktioniert ausschliesslich im religiösen Umfeld: Ungläubige sind in aller Regel immun dagegen. Bleiben noch die Sekten. Diese fischen weltweit in allen religiösen Teichen.
Die Missionstätigkeit ist grundsätzlich problematisch. Sie entwurzelt Konvertiten oft von ihrem religiösen, sozialen und oft auch familiären Umfeld. Ausserdem zeigt die Erfahrung, dass bei ihnen die Gefahr der Radikalisierung besteht.
Es gibt weltweit kaum einen Flecken Erde, auf dem nicht in irgendeiner Weise missioniert wird. Es scheint für Strenggläubige eine besondere religiöse Herausforderung zu sein, die letzten unberührten Stämme tief im Dschungel für ihren Gott zu gewinnen. Als erhofften sie sich eine besondere Anerkennung des Himmels.
Die christlichen Missionare berufen sich auf die Bibel. Das Buch der Bücher fordert die Gläubigen auf, sich die Welt untertan zu machen und hinaus in alle Welt zu gehen, um das Evangelium zu verkünden.
Wie egoistisch, sinnlos und verwerflich die Mission im Extremfall sein kann, zeigt ein aktuelles Beispiel aus dem brasilianischen Bundesstaat Amazonas. Bei dem kleinen indigenen Stamm der Korubo, der im Javari-Tal unweit zur Grenze zu Peru lebt, wurden Audiogeräte gefunden, die Bibelverse in spanischer und portugiesischer Sprache enthalten.
Um die indigenen Stämme in dieser Gegend im Regenwald zu schützen, ist es verboten, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Die Polizei kontrolliert den Eingang zum Tal, um die Korubo und andere entlegene Gruppen vor Krankheiten zu schützen, gegen die sie nicht immun sind. Während der Kolonialisierung starben viele Indigene an eingeschleppten Krankheiten.
Ein Indigener erzählte einem Polizisten im Taleingang von den Tongeräten, die sie bekommen hätten. Ausserdem wurden in dem Gebiet Dronen gesichtet, die ebenfalls auf Missionsversuche hindeuten, wie die Zeitung „Guardian“ berichtet.
Es gibt klare Hinweise, dass die Aktion mit den Audiogeräten nicht der erste Versuch der Missionierung der Korubo war. Schon vor ein paar Jahren sollen Anhänger evangelikaler Kirchen aus den USA und Brasilien geplant haben, Kontakt mit den Indigenen aufzunehmen. Sie haben mit einem Wasserflugzeug die Gegend erkundet. Ein Gerichtsurteil verbot ihnen aber den Zutritt zum Gebiet der indigenen Stämme.
Ein ähnlicher Fall ereignete sich 2018 auf der indischen Andamanen-Insel North Sentinel, auf der rund 150 Indigene isoliert leben. Der 27-jährige freikirchliche Missionar John Allen Chau fuhr mit einem Ruderboot und der Absicht auf die entlegene Insel, die Einwohner zu missionieren. Der junge Amerikaner rief ihnen zu, dass Jesus sie liebe.
Seine Aktion stiess aber nicht auf Gegenliebe, beschossen doch die Sentinelesen ihn mit Pfeilen. Er flüchtete auf sein Boot und schrieb seine Erfahrungen auf. In einem Brief an seine Eltern schrieb der junge Missionar:
Seine letzte Aussage erwies sich als Vision: John Chau startete einen zweiten Versuch, kam aber von der Missionsaktion nicht mehr zurück.
Opfer ihrer Missionstätigkeit wurde auch die Schweizerin Beatrice Stöckli, die einen freikirchlichen Glauben praktizierte. Sie wanderte im Jahr 2000 nach Mali aus und wirkte in der Oasenstadt Timbuktu. 2012 wurde sie von Islamisten entführt. Angehörige des Tuareg-Stammes hatten sie gewarnt und ihr angeboten, sie aus dem umkämpften Gebiet zu befreien. Doch die Missionarin hatte abgelehnt. Sie wollte den Auftrag, den sie vermeintlich von Gott erhalten hatte, nicht aufgeben.
Das Schweizerische Aussendepartement setzte alles daran, die Missionarin zu befreien. Nach neun Tagen liessen die Kidnapper sie frei. Dass dabei ein Millionenbetrag geflossen war, scheint offensichtlich.
Stöckli solle sich nie wieder in Mali blicken lassen, gaben ihr die Entführer mit auf den Heimweg. Doch sie schlug die Warnung in den Wind und kehrte wenige Monate später nach Timbuktu zurück.
Sie suchte in langen Gebeten Rat bei Gott. Dieser gab ihr offenbar ein klares Signal. Die fromme Christin war nun überzeugt, unter seinem besonderen Schutz zu stehen, wie ein Schweizer Entwicklungshelfer in Mali erklärte, der engen Kontakt zu ihr hatte.
Ein fataler Irrtum, wie sich herausstellen sollte. Sie geriet 2016 erneut in die Fänge der Islamisten, vermutlich gekidnappt von der Terrororganisation Jama'at Nasr al-Islam wal Muslim (JNIM). Doch dieses Mal gab es kein Happy End, die Entführer ermordeten die Schweizerin. Sie hatte sich im falschen Glauben gewähnt, im besonderen Schutz Gottes zu stehen.
Das sind zugegebenermassen drei radikale Beispiele. Doch sie zeigen, dass die Mission im Kern problematisch ist.
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