Die Trump-Welt strapaziert das Erfolgsmodell Schweiz
In Bundesbern sass man zuletzt wie auf Nadeln, und das mitten in der Ferienzeit. Am 4. Juli, dem amerikanischen Independence Day, genehmigte der Bundesrat eine gemeinsame Absichtserklärung im Zollkonflikt mit den USA. Es fehlte nur die Unterschrift von Präsident Donald Trump. Doch der liess die Berner Politik schmoren. Offenbar hält er nichts von «Switzerland First».
Dabei hatte der Bundesrat nichts ausgelassen, um sich bei Trump «einzuschleimen». Gleichzeitig rückte die vom US-Präsidenten gesetzte Deadline für einen Zolldeal näher und näher. Es war ausgerechnet der 1. August, der schweizerische Nationalfeiertag. Was Trump dann verkünden liess, übertraf sogar die schlimmsten Befürchtungen: ein «Monsterzoll» von 39 Prozent!
Der Bundesrat reagierte mit «grossem Bedauern». Bereits zuvor hatte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter im Bundesfeier-Interview mit RTS eine gewisse Ohnmacht erkennen lassen: «Die Schweiz ist ein kleines Land. Wir sind keine Supermacht. Wir haben eine gewisse wirtschaftliche Macht, aber keine politische. Damit müssen wir leben.» Und fügte trotzig hinzu: «Aber wir dürfen uns auch nicht kleiner machen, als wir sind.»
Typisch helvetische Mixtur
Man könnte in diesen Worten der FDP-Finanzministerin eine typisch helvetische Mixtur aus Überlegenheitsgefühl und latentem Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Aussenwelt erkennen. Der Politologe Michael Hermann hatte sie vor bald zehn Jahren in seinem immer noch lesenswerten Buch «Was die Schweiz zusammenhält» geschildert.
Die Frage des nationalen Zusammenhalts treibt Hermann weiterhin um. Sein Institut Sotomo führt dazu ein Barometer im Auftrag von Feldschlösschen durch. In der pünktlich zum 1. August veröffentlichten aktuellen Ausgabe wurde nach dem Ideal der Schweiz gefragt. Platz eins belegte das politische Erfolgsmodell, gefolgt vom wirtschaftlichen Erfolgsmodell.
Blochers Trumpismus
Die «doppelte Moppelung» ist kein Zufall. Erfolgsmodell ist ein Begriff, den viele mit der Schweiz verbinden, und das nicht nur im Inland. Und das durchaus zu Recht. Gerade in der heutigen Zeit, in der Trump-nahe Exponenten der rechtsstaatlichen Demokratie selbst in ihrem Mutterland USA den «Krieg» erklärt haben, wirkt die Schweiz wie ein Sonderfall.
Unser demokratisches System ermöglicht ein hohes Mass an Teilhabe und ist trotzdem oder gerade deswegen auf Stabilität ausgerichtet. In einer Regierung mit sieben gleichwertigen Mitgliedern hätte einer wie Donald Trump einen schweren Stand. Christoph Blocher hatte es versucht, doch sein Rauswurf nach vier Jahren veranschaulichte die Resilienz des Systems Schweiz.
Resiliente Wirtschaft
Der Rechtspopulismus in Gestalt der Blocher-SVP hat in der Schweiz früher und stärker Fuss gefasst als anderswo. Sie hat wiederholt versucht, das System zu attackieren und etwa die Justiz dem «Volkswillen» zu unterwerfen. Damit verfolgte die SVP das gleiche Ziel wie ähnliche Parteien in Ländern wie Polen oder Ungarn vorher, doch anders als diese ist sie stets gescheitert.
Politisch lässt sich die Schweiz also durchaus als Erfolgsmodell bezeichnen. Gleiches gilt für die Wirtschaft. Sie hat sich trotz hohem Lohn- und Preisniveau ebenfalls als resilient gegenüber Währungs- und anderen Turbulenzen erwiesen. Fast vergessen ist, dass es auch andere Zeiten gab: Die 1990er-Jahre waren wirtschaftlich für die Schweiz ein verlorenes Jahrzehnt.
Profiteurin der Globalisierung
Die Rückkehr zum Erfolg gelang vereinfacht gesagt dank tiefer Steuern und Spezialisierung. Und weil die Schweiz wie kaum ein anderes Land von der regelbasierten Globalisierung profitiert hat. Ihr «Motor» war die Welthandelsorganisation WTO. Heute vernimmt man aus der Zentrale in Genf vor allem Durchhalteparolen. Die WTO ist kaum noch handlungsfähig.
Das liegt nicht nur an Donald Trumps merkantilistischer, an Handelsbilanzen orientierter Wirtschaftsoptik. Mit seinen Zöllen versucht er, das System zugunsten der USA zurechtzubiegen. Doch auch die Aufnahme Chinas in die WTO 2001 war rückblickend ein Fehler, denn Peking akzeptiert im Welthandel nur seine eigenen Regeln.
Innere Fliehkräfte
Die Schweiz, die in Keller-Sutters Worten «eine gewisse wirtschaftliche Macht, aber keine politische» besitzt, droht unter die Räder zu geraten. Ihr Erfolgsrezept, sich mit allen irgendwie zu arrangieren, könnte an Grenzen stossen. Noch funktioniert das System, aber der Druck nimmt zu. Und Freihandelsverträge bringen höchstens punktuell eine Entlastung.
Das politische Erfolgsmodell wird ebenfalls zusehends strapaziert. Das liegt weniger am äusseren Druck als an inneren Fliehkräften. Zwischen SVP-Anhängern auf dem Land und linksgrünen «Urbanisten» gibt es immer weniger Berührungspunkte. Noch ist es nicht so krass wie in den USA, wo die Entfremdung enorm ist, aber es geht in diese Richtung.
SVP gegen den Rest
Die Kleinräumigkeit der Schweiz verhindert eine zu tiefe Kluft zwischen den Lebenswelten, doch weltanschaulich wird man sich zunehmend fremd. Das zeigt neben dem Barometer von Sotomo eine Studie im Auftrag von Pro Futuris, der Denkfabrik der Schweizerischen Gemeinnützen Gesellschaft (SGG), bekannt als «Hausherrin» auf der Rütli-Wiese.
Demnach unterscheiden sich SVP-Wählende «in mehreren Punkten deutlich vom Rest der Bevölkerung». Sie bevorzugen Neutralität und Unabhängigkeit gegenüber internationaler Zusammenarbeit, und Umweltpolitik ist für sie Landschafts- und nicht etwa Klimaschutz. Die Berührungspunkte zu Donald Trumps MAGA-Bewegung sind unverkennbar.
Bürgerliche Nostalgie
Interessant ist ein weiterer Befund. Eine überdeutliche Mehrheit schätzt an der Schweizer Politik, dass sie auf Kompromiss und Konsens ausgerichtet ist. SVP- und FDP-Wählende aber sprechen sich als einzige für einen Vorrang der Mehrheit aus. Daraus spricht eine Nostalgie nach jener Zeit, in der die Bürgerlichen politisch den Ton angaben.
Das hat sich geändert. Heute finden linke Anliegen in Volksabstimmungen Zuspruch, die bis vor wenigen Jahren hochkant verworfen worden wären. In die Knochen gefahren ist den Bürgerlichen die Konzernverantwortungsinitiative, die nur am Ständemehr gescheitert ist. Den «Rest» gab ihnen das Ja zur 13. AHV-Rente, das viele nicht verdaut haben.
Ein neues Sparpaket
Als «Trotzreaktion» tendiert die bürgerliche Mehrheit im Parlament in der laufenden Legislaturperiode zu «Schnellschüssen», die teilweise im Widerspruch zu Volksentscheiden stehen. Damit strapazieren sie das Erfolgsmodell, und der Streit um die Bundesfinanzen verschärft das Problem. Gemäss Tamedia bereitet Karin Keller-Sutter bereits ein neues Sparpaket vor.
Das eiserne Festhalten an der Schuldenbremse könnte für die Schweiz zum Bumerang werden, auch wenn eine Lockerung kein Spaziergang ist. Irgendwann könnten sich auch Donald Trumps USA fragen, wie es um den «Wehrwillen» der Schweiz bestellt ist. Unsere Empörung über die Kostenexplosion beim Kampfjet F-35 geht ihnen am Rückgrat vorbei.
Geregelte Beziehungen mit Europa
Die Beziehungen zum Ausland werden unser Erfolgsmodell in den nächsten Jahren strapazieren. Das betrifft die Verteidigung und nicht zuletzt die neuen EU-Verträge. Die Irrationalität der Debatte lässt heute schon nichts Gutes erwarten für die Kämpfe im Parlament und vor dem Stimmvolk. Es dürfte so hässlich werden wie beim EWR 1992.
Dabei müsste die Schweiz alles Interesse an geregelten Beziehungen mit den Europäern haben. Sich an den USA und China zu orientieren, könnte ins Auge gehen. Denn wer weiss, ob nach Donald Trump alles besser wird? Die Schweiz hat gute Chancen, ihr doppeltes Erfolgsmodell in die Zukunft zu retten. Aber auch in diesem Fall gilt: Nichts ist für die Ewigkeit gemacht.
