Wir treffen Severin Moser am Hauptsitz des Arbeitgeberverbands in Zürich, einen Monat, nachdem das Volk Ja gesagt hat zur 13- AHV-Rente und Nein zu Rentenalter 67. Hier, an der Hegibachstrasse, hat auch Economiesuisse ihre Büros – es ist die Zentrale der Verlierer der Abstimmung vom 3. März. Doch der Arbeitgeberpräsident zeigt sich kämpferisch: Er nimmt Stellung zur Europapolitik der SVP unter Magdalena Martullo-Blocher – und kündet an, wie er trotz Niederlage die Altersvorsorge reformieren will.
In der Schweiz gibt es rund 48'000 Bauernbetriebe aber über 600'000 Unternehmen. Trotzdem ist Bauernpräsident Markus Ritter viel einflussreicher als Sie, der Arbeitgeberpräsident. Was macht Markus Ritter besser?
Severin Moser: Zum einen ist Herr Ritter schon lange dabei und kennt den Politbetrieb in- und auswendig. Und er vertritt im Parlament mit der Landwirtschaft eine sehr homogene Gruppe.
Von der Arbeitgeberschaft kann man das nicht sagen. Da ist etwa FDP-Nationalrat Simon Michel, der für die Bilateralen kämpft, auf der anderen Seite SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, die jede Annäherung an Brüssel ablehnt. Neutralisieren sich die Arbeitgeber gegenseitig?
Nein, wir haben in 80 bis 90 Prozent der Dossiers gemeinsame Interessen: in der Berufsbildung, bei den Sozialversicherungen oder etwa beim Arbeitsrecht sind die meisten Unternehmen gleicher Meinung.
Wie geschlossen ist der Arbeitgeberverband bezüglich des neuen Pakets von bilateralen Verträgen mit der EU?
Wir sind sehr geschlossen, es gibt keine grosse skeptische Minderheit in unseren Reihen. Die Schweiz hat mit den Bilateralen sehr gute Erfahrungen gemacht, sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass es uns gut geht. Und wir sind weiter auf die Bilateralen angewiesen: Wir haben einen Fachkräftemangel, der sich in den nächsten fünfzehn Jahren noch deutlich verschärfen wird. Da ist es für unsere Unternehmen zentral, dass sie das nötige Personal rekrutieren können, auch aus der EU.
Heisst das, dass in den nächsten Jahren noch mehr Menschen zuwandern werden?
Wir haben drei Hebel, um den Arbeitskräftemangel zu bewältigen: Erstens die bessere Ausnützung des Inländerpotenzials, namentlich Frauen und ältere Arbeitnehmende. Zweitens die Produktivitätssteigerung mit der Digitalisierung und mittels Abbau von Bürokratie. Und drittens die Arbeitsmigration. Je mehr wir über die Hebel eins und zwei bewegen können, desto weniger braucht es über Hebel drei, die Arbeitsmigration.
Setzen nicht viele Arbeitgeber primär auf die Zuwanderung, weil das am billigsten ist?
Nein, das glaube ich nicht. Auch Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, müssen ausgebildet werden, die Sprache lernen, sich je nach Job mit unserem Recht auseinandersetzen. Ich sehe das Gegenteil: Die Firmen tun alles, um im Inland Leute zu finden, sei es mit der Viertagewoche, mehr Möglichkeiten für Homeoffice, Weiterbildung und allerlei Vergünstigungen.
Die SVP hat letzten Mittwoch die sogenannte Nachhaltigkeitsinitiative eingereicht, sie will die Bevölkerungszahl bis 2050 auf 10 Millionen beschränken. Geht es weiter wie jetzt, sind wir aber schon in 10 Jahren so weit. Welche Konsequenzen hätte die Annahme der Initiative für die Schweiz?
Ich glaube, dass trotz allem die Zuwanderung nicht so stark weiter steigt wie zuletzt. Auch, weil unsere Nachbarn in Europa ebenfalls unter Fachkräftemangel leiden. Es können gar nicht mehr so viele zu uns kommen. Ich bin überzeugt: Weil uns die Fachkräfte aufgrund der Demografie fehlen werden, wird das Wirtschaftswachstum zurückgehen, mit allen negativen Konsequenzen, die das mit sich bringt.
Das tönt pessimistisch.
Es gibt schon auch Grund für Optimismus. Ich setze grosse Hoffnungen in die Produktivitätssteigerung dank künstlicher Intelligenz. Die wird nicht nur einfache Jobs ersetzen, sondern auch Aufgaben lösen, die heute zum Beispiel Programmierer erfüllen. Dieser Produktivitätsschub kommt wohl gerade im richtigen Moment. Abgesehen davon habe ich den Eindruck, dass sich die Leute in der Schweiz nicht daran stören, wenn Menschen hier arbeiten kommen. Für Ärger sorgt vor allem jene Migration, die zu Kriminalität führt.
Sie meinen den Asylbereich?
Ja auch. Und solche, die nur kurz arbeiten kommen und dann abtauchen.
Bei SVP-Präsident Marcel Dettling tönt es anders: Er führt auch Staus, hohe Krankenkassenprämien und Wohnungsnot auf die Zuwanderung zurück.
£Soviel ich weiss, ist Herr Dettling Bauer. Wenn ich in meiner Heimatregion, dem Zürcher Weinland, mit dem Velo unterwegs bin, sehe ich, woher die Erntehelfer kommen – da gibt es wenige inländische Autonummern. Auch die Landwirtschaft ist auf Arbeitsmigration angewiesen.
Trotzdem stellt sich die Frage, ob der SVP-Initiative ein Gegenvorschlag mit Massnahmen zur Drosselung der Zuwanderung entgegengestellt werden soll. Was denken Sie?
Das muss der Bundesrat entscheiden. Für uns stellt sich aber die Frage, was die Wirtschaft selbst beitragen könnte. Zum Beispiel bei der Standortförderung: Wir sollten darauf achten, dass wir insbesondere in den Grenzregionen keine Firmen mehr ansiedeln, die personalintensiv sind und zusätzliche Grenzgänger rekrutieren müssen. Wir sollten den Arbeitskräftemangel und die Zuwanderung nicht durch die Ansiedlung von arbeitsintensiven Firmen noch zusätzlich verschärfen.
Wir haben eine liberale Wirtschaftsordnung. Wie wollen Sie das beeinflussen?
Bei der Standortförderung redet der Staat mit. Kantone und Gemeinden bieten umfangreiche Steuervergünstigungsprogramme und Anreize zur Ansiedlung an. Jede Region muss prüfen, ob das noch richtig ist. Und wenn ja, in welcher Form.
Wie würden Sie die gegenwärtige Stimmung der Bevölkerung in der Schweiz beschreiben?
Wenn die Leute ehrlich zu sich sind, sehen sie sehr wohl, dass wir in der Schweiz in paradiesischen Zuständen leben. Das zeigen objektiv auch die offiziellen Zahlen: tiefe Schulden, starke Währung, hohes Bruttosozialprodukt und so weiter. Eine andere Frage ist, wie sich die Leute fühlen. Und da gibt es solche, die trotz des hohen Wohlstands nicht zufrieden sind. Das hat die Abstimmung über die 13. AHV-Rente gezeigt.
Sie tun sich schwer mit dieser Niederlage.
Ich tue mich schwer damit, dass man den Leuten nicht gesagt hat, was das kostet und wie man es finanziert. Die Initianten waren nicht ehrlich. Wir sollten uns überlegen, ob Initiativen mit so hohen Kostenfolgen ohne Finanzierungsvorschlag überhaupt dem Volk vorgelegt werden dürfen.
Die Gewerkschaften haben stets gesagt, die 13. Rente lasse sich über Lohnabgaben finanzieren.
Sie haben vor allem stets behauptet, der AHV gehe es so gut, es brauche zunächst gar keine Zusatzfinanzierung, später vielleicht Lohnprozente.
Sie, der Arbeitgeberverband, schlagen vor, die Zusatzrente über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und längeres Arbeiten im Alter zu finanzieren. Wollen sie die Leute nacherziehen: «Schau, das kommt jetzt auf dich zu, weil du falsch gestimmt hast?»
Überhaupt nicht. Für die Mehrwertsteuer spricht, dass alle ihren Beitrag leisten, auch die Pensionierten und nicht nur die arbeitende Bevölkerung. Wenn wir die Mehrwertsteuer für die 13. AHV-Rente erhöhen, sollten wir das jedoch befristen, zum Beispiel auf drei Jahre bis 2029. So halten wir den Reformdruck hoch, wenn der Bundesrat im Jahr 2026 seine Vorschläge für die künftige Ausgestaltung der AHV vorlegt. Es ist gefährlich, jetzt den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und die Mehrwertsteuer oder die Lohnprozente Schrittchen für Schrittchen zu erhöhen. Wir brauchen strukturelle Reformen der AHV.
Sie wollen, dass die Leute länger arbeiten und das Rentenalter steigt, obwohl gerade eine entsprechende Initiative krachend gescheitert ist?
Ich bin überzeugt, dass es das braucht. Die Initiative hat einen Automatismus zur Erhöhung des Rentenalters vorgesehen, das hat wohl viele abgeschreckt. Ich glaube aber, dass für eine verlangsamte Erhöhung des Rentenalters eine Zustimmung durch die Bevölkerung möglich ist.
Wie stellen Sie sich das vor?
Wir sollten das Rentenalter in kleineren Schritten erhöhen, zuerst um ein halbes Jahr und später nochmals um ein halbes Jahr. Dass wir gleich auf ein Rentenalter 67 zielen, scheint mir derzeit unrealistisch. Aber für ein Rentenalter 66 in zwei Schritten liesse sich die Bevölkerung gewinnen.
Mit welchen Argumenten?
Als Mittel gegen den Fachkräftemangel und die Zuwanderung, zur langfristigen Sicherung der AHV.
Und wie begegnen Sie der Sorge vieler Arbeitnehmenden, dass sie vor dem ordentlichen Rentenalter aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden?
Wie schon gesagt: Der Mangel an Fachleuten führt dazu, dass die Unternehmen sowieso auf diese Menschen angewiesen sind. Mit der Reform der zweiten Säule, über die wir im Herbst abstimmen – und die hoffentlich angenommen wird -, würden zudem die Beiträge für ältere Arbeitnehmende in die Pensionskassen sinken. Damit sinken in den Unternehmen die Kosten für ältere Angestellte. Und vielleicht sollten wir dafür sorgen, dass man ab 65 keine AHV-Beiträge zahlen muss, wenn man noch arbeitet. Das wäre ein positiver Anreiz, länger zu arbeiten.
Ich und meine Frau können es uns leisten früher in Pension zu gehen, falls die Erhöhung durch kommt, Viele Niedrigvrtdiener aber nicht, daher ein klares
Nein von mir …
Was brauchts denn noch? 80stunden Woche?
Krampfen bis ins Grab?