Die Schweiz ist besser durch die Krise gekommen als andere europäische Länder. Was sind die Gründe?
Guy Parmelin: Zum einen haben wir nicht alles geschlossen, haben beispielsweise nach dem ersten Lockdown auch die Schulen offengelassen. Letztlich haben wir während der ganzen Pandemie immer versucht, das richtige Gleichgewicht zu finden zwischen gesundheitspolitischen Massnahmen, wirtschaftlichen Einschränkungen und persönlichen Freiheiten. Zum anderen hat die Schweiz eine resiliente und auch sehr dynamische Wirtschaft.
Woran erkennen Sie das?
Unsere Wirtschaft ist stark diversifiziert, das ist eine unserer Stärken. Es gab Branchen wie die Pharma, die fast problemlos weitergearbeitet haben. Sie waren von der Pandemie nur am Rande negativ betroffen. Und die Hotellerie oder die Gastronomie machen im Vergleich zu anderen Ländern einen geringeren Anteil am BIP aus. Sogar in jenen Branchen, in denen die Situation wegen der strengen Restriktionen sehr schwierig war, haben die Unternehmen nach alternativen Geschäftsmodellen gesucht. Wenn ich zum Beispiel an all die Hotels und Restaurants denke, die innert weniger Tage Take-away-Angebote aus dem Boden gestampft haben, dann muss ich sagen: Das ist doch schon sehr eindrücklich. Aber wir dürfen nicht naiv sein: Die Krise hat auch Schäden hinterlassen, die Restaurants, die noch nicht geöffnet haben, werden wohl auch nicht mehr öffnen.
Wird diese wirtschaftliche Erholung, die wir nun in der Schweiz beobachten, nachhaltig sein?
Es gibt verschiedene Szenarien. Klar ist: Die Erholung überrascht durch ihre Stärke. Das Staatssekretariat für Wirtschaft hat soeben die Wachstumsprognosen nach oben korrigiert, die Arbeitslosenzahlen nach unten. Hingegen bleiben viele offene Fragen: Wie entwickelt sich etwa die Inflation? Wie wirken sich die grossen Investitionspakete der USA und der EU langfristig aus? Was ist mit der Rohstoffknappheit, die wir beobachten, zum Beispiel beim Holz. Wir hatten so viele Überraschungen in letzter Zeit, wir werden sehen.
Was erwarten Sie für den Schweizer Tourismussommer 2021? Die Gäste aus den USA und Asien werden erneut fehlen.
Eventuell werden die Amerikaner doch noch einreisen können, aber wir müssen uns wohl vor allem auf Gäste aus dem Inland und aus Europa einstellen. Der Sommer 2021 könnte noch schwierig werden. Bis sich die Situation total erholt, wird es wohl 2022 oder 2023.
Die Zahl der einheimischen Touristen dürfte wohl tiefer ausfallen als 2020, viele Schweizer wollen jetzt ins Ausland.
Ich kenne viele, die mir gesagt haben, sie wollten auch diesen Sommer in der Schweiz bleiben. Auch, weil sie nichts riskieren wollen. Ich jedenfalls bleibe in den Ferien hier. Ins Ausland reise ich nur für die Arbeit.
Werden wir nun mit der wirtschaftlichen Erholung auch wieder über den Fachkräftemangel reden?
Ja. Es ist ein Problem, das es schon vor der Pandemie in etlichen Branchen gab. Und eines, das sich in anderen Branchen mit der Pandemie sogar verstärkt hat. Und zwar nicht nur hier, sondern weltweit. Bleiben wir beim Beispiel der Restauration: Etliche Berufsleute haben in der Zeit, als die Restaurants zu waren, einen neuen Job gesucht und auch gefunden – und zwar nicht selten einen mit attraktiveren Arbeitszeiten und allenfalls einen, der auch besser entlöhnt wird. Diese Leute kommen nicht zurück, sie fehlen jetzt.
Vielleicht müssten die Löhne angehoben werden…
Ja, in einigen Branchen vielleicht schon. Aber dann steigen auch die Kosten.
Dann werden wohl wieder mehr Angestellte im Ausland rekrutiert, was dann die nächste Migrationsdebatte anstossen dürfte.
Der Schweizer Arbeitsmarkt holt grundsätzlich nur jenes Personal im Ausland, das er auch benötigt. Wenn die Konjunktur schlecht läuft, gehen die Leute wieder nach Hause. Das haben die letzten Krisen gezeigt. Während der Pandemie war das nur bedingt so, weil wie gesagt weite Teile der Wirtschaft gut funktioniert haben. Die Pandemie hat aber etwas anderes gezeigt: Die Schweiz hat in der Covid-Krise auch von der Personenfreizügigkeit mit den EU/EFTA-Staaten profitiert. Zu diesem Schluss kommt der neue Observatoriumsbericht. Dass Gesundheitspersonal aus EU-Staaten rekrutiert werden konnte, war von zentraler Bedeutung.
Neues Ungemach droht der Schweizer Wirtschaft aufgrund des Abbruchs der Verhandlungen zum EU-Rahmenabkommen. So riskiert die Schweiz beim EU-Forschungsprogramm Horizon Europe, als Drittstaat eingestuft zu werden.
Das wäre sehr bedauerlich, aber es wäre auch keine Überraschung. Uns war im Bundesrat bewusst, dass dieses Risiko besteht, als wir uns für den Abbruch der Verhandlungen entschieden haben. Aber wir wären damit nicht einverstanden. Horizon Europe ist ein Abkommen im Bereich der Forschungszusammenarbeit und kein Marktzugangsabkommen. Es hat also nichts mit dem Rahmenabkommen zu tun, und deshalb gibt es auch keinen Grund, wieso die Schweiz hier schlechter behandelt werden sollte als Israel, die Färöer Inseln oder andere Staaten. Aber letztlich ist es eine politische Entscheidung der EU.
Und wie geht es weiter?
Die Türe ist nicht geschlossen, wir können so rasch wie möglich einsteigen. In der Zwischenzeit werden wir unsere Teilnahme an den EU-Forschungsprojekten direkt über mein Departement finanzieren, wir haben 6 Milliarden Franken dafür reserviert. Aber natürlich: Unser Ziel bleibt die volle Assoziierung an Horizon Europe. Das ist im Interesse von ganz Europa als Kontinent gegenüber Nordamerika oder Asien.