Schweiz
Interview

Zürcher Aktivistin über die Polizei-Aktion in Como

one love phyllis
Unter Beobachtung der italienischen Polizei müssen freiwillige Flüchtlings-Helfer in Como ihre Zelte wieder abbauen. Bild: zvg
Interview

«Offenbar war unsere Hilfe nicht erwünscht»– Zürcher Aktivistin zur Polizei-Aktion in Como

Aktivisten aus Zürich und Bern würden die freiwillige Arbeit der italienischen Helfer in Como stören, Unruhe stiften und die Flüchtlinge zum Hungerstreik auffordern, schreibt der «Blick» am Dienstag. Die Zürcher Studentin Sandra C. kontert die «Chaoten»-Vorwürfe.
07.09.2016, 15:1419.04.2019, 15:05
Rafaela Roth
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«Der Aktivisten-Ärger im Camp von Como», titelte der «Blick» am Dienstag auf der Frontseite. 15 Berner und Zürcher Aktivisten seien am Samstag angereist, um die ehrenamtliche Arbeit von italienischen Helfern zu stören, Unruhe zu stiften und die Flüchtlinge zum Hungerstreik aufzufordern. Ganz anders sehen es die freiwilligen Helfer aus der Schweiz. Sie waren zu fünft mit der Organisation One Love angereist, um Hilfe anzubieten. Die 24-jährige Studentin Sandra C. war dabei und nimmt Stellung.

Frau C., der «Blick» schreibt, Sie hätten Flüchtlinge zum Hungerstreik aufgefordert. Was ist an diesem Vorwurf dran?
Das stimmt nicht, wir haben niemanden zum Hungerstreik aufgefordert. Wir sind nach Como gefahren, um den gestrandeten Flüchtlingen dort unsere Hilfe anzubieten, nicht, um Streiks anzuzetteln. Gemäss unseren Informationen war die Essensversorgung im Park in Como nicht hinreichend gewährleistet. Wir haben Spenden, eine mobile Küche, Kleider, Schuhe, Zelte, Decken, Rucksäcke, Schlafmatten und Hygiene-Artikel mitgebracht. Offenbar war unsere Hilfe aber nicht von allen Akteuren, die in Como tätig sind, erwünscht.

Was ist passiert, als Sie in Como angekommen sind?
Wir sind mit unserem Küchenequipment in den Park gefahren und wollten beginnen, zu kochen. Kurz darauf kamen italienische Polizisten auf uns zu und verboten uns das Kochen mit Gasflaschen – aus Sicherheitsgründen. Wir unterbrachen die Arbeit. Am Abend erklärten uns dann italienische Helfer, dass wir hier nicht gebraucht würden, weil die Caritas das Mittagessen und sie das Abendessen bereitstellen würden.

Warum wollten Sie dann trotzdem kochen?
Weil die Flüchtlinge uns im Gegensatz dazu erklärten, dass sie sehr gerne bei uns essen würden. Einerseits, weil sie nicht von den anwesenden Hilfsorganisationen abhängig sein wollen, und andererseits, weil sie gerne beim Kochen vor Ort mithelfen, was sie bei uns können. Über die Idee des gemeinsamen Kochens haben die Flüchtlinge abgestimmt.

Ist ein Container-Camp nicht besser als im Park zu schlafen?
Ja, bloss befürchten die Flüchtlinge, dass sie im neuen Camp zur Registrierung und damit zum Asylantrag in Italien gezwungen werden. Jene, die noch nicht registriert wurden und lieber in einem anderen Land Asyl beantragen wollen, wo sie beispielsweise Verwandte haben, wollen deswegen lieber im Park bleiben und da essen. Also haben wir unsere Kochaktivitäten wieder aufgenommen.

Und dann schritt die Polizei ein?
Ja, sie hatten uns inzwischen jegliche Kochaktivitäten verboten.
Warum genau wir den dort lebenden Menschen kein Essen zur Verfügung stellen dürfen, wissen wir bis heute nicht. Wir haben aber unter der Beobachtung eines Grossaufgebots der Polizei unser Equipment wieder abgebaut. Nicht wir haben Chaos gestiftet, die Situation in Como ist sehr chaotisch.

Warum?
Weil verschiedene Hilfsorganisationen am Werk sind, die Regierung offiziell gar nicht hilft, aber doch mit einigen Organisationen zusammenarbeitet und die Verantwortlichkeiten nicht geklärt sind.

«Ja, wir möchten weiter versuchen zu helfen.»

Wollen Sie wieder nach Como reisen?
Ja, wir möchten weiter versuchen zu helfen, um mit den Flüchtlingen zusammen eine neutrale Lebensmittelbeschaffung sicherzustellen. Denn das ist es, was sie brauchen: Hilfe, die an keinerlei Bedingungen geknüpft ist.

Aber Como ist doch ein Problem von Italien, nicht der Schweiz.
Como kann nicht als isoliertes Problem betrachtet werden. Die Flüchtlingskrise hat schon lange ein Ausmass erreicht, das europaweit angepackt werden muss. Die steigende Flüchtlingszahl in Como lässt darauf schliessen, dass die Schweiz vor kurzem ihre Grenzen geschlossen hat. Das Dublin-Abkommen funktioniert aber geopolitisch gesehen nicht. Es kann nicht sein, dass Italien und Griechenland alle Flüchtlinge aufnehmen, während die anderen Länder ihre Grenzen und damit ihre Augen schliessen.

Und warum haben Sie das Gefühl, in Como helfen zu müssen?
Ich bin nach Como gereist, um zu zeigen, dass nicht alle Schweizer ihre Augen verschliessen. Diese Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, tausende Kilometer gereist sind und ihr Leben mehr, als wir uns vorstellen können, aufs Spiel gesetzt haben, sind meiner Meinung nach berechtigt, ein gerechtes Aufnahmeverfahren zu bekommen. Viele von ihnen können nicht für sich selbst sprechen und werden deshalb diskussionslos abgeschoben. Durch unsere Menschlichkeit und Hilfeleistung ist es möglich, dieser Ungerechtigkeit entgegenzuwirken.

Hunderte Flüchtlinge stranden am Bahnhof von Como

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Hunderte Flüchtlinge stranden am Bahnhof von Como (I)
Touristen passieren am Boden schlafende Flüchtlinge, welche sich am Bahnhof von Como niedergelassen haben und auf eine Weiterreise in die Schweiz warten.
quelle: keystone/ti-press / francesca agosta
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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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m:k:
07.09.2016 17:02registriert Mai 2014
Ich würde mich politisch als Links bezeichnen. Aber mit was für einer Naivität viele linke Aktivisten an die Thematik rangehen, ist schon erstaunlich. Die Vorschläge von rechts sind meist auch nicht zu gebrauchen. Heute sieht es für mich wirklich so aus, als ob keiner der Beteiligten an der Debatte auch wirklich einen Plan oder eine gute Idee die über Polemik oder Träumerei hinaus geht, hat.
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Fumo
07.09.2016 15:30registriert November 2015
Ich hätte noch gefragt: "Was denkst du, gibt dir das Recht, in ein anderes Land zu gehen, sich den Polizeiliche Anweisungen zu widersetzen und dann auch noch gegen diese Regierung herzuziehen und Gerüchte verbreiten?"
"Warum glaubst du, dass das andere Land kein Recht hat zu entscheiden ob du da helfen kannst oder nicht?"
"Kannst du dir, auch nur im entferntesten, vorstellen dass manche vorgeben könnten helfen zu wollen und dabei Gift im Essen verbreiten?"
"Und das die örtlichen Behörden deswegen keine privaten Köche zulassen?"
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kledi
07.09.2016 19:27registriert März 2016
Eigentlich kommentiere ich hier nicht aber dazu muss ich schon was loswerden den das geht gar nicht! Ich selbst wohne in Lugano und helfe auch abundzu in Como mit. Die sogennanten Aktivisten kamen ohne zu fragen, machten ihr Ding ohne sich mit den anderen die täglich etliche Stunde verbringen, mit der Stadt und co verhandeln und den ganzen Park auf trab halten und sich um die Flüchtlinge kümmern. Sie sagen den anderen sie sollen alle Suppenküche boykottieren und hetzten leute gegeneinander auf! Auch in Italien gibt es Regeln. Am schluss sind sie denn gegangen haben das Zeugs stehen lassen..
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