Wer gegen das Strassenverkehrsgesetz verstösst, hat in der Regel eine Verkehrsregel verletzt oder war in nicht fahrfähigem Zustand unterwegs, weil er etwa zu viel getrunken hat.
Der Fall, den letzte Woche Gerichtspräsident Peter Rüegg am Badener Bezirksgericht zu beurteilen hatte, war aber gerade umgekehrt gelagert.
Dem 51-jährigen Taxichauffeur Alfred (richtiger Name der Redaktion bekannt) wurde von der Staatsanwaltschaft eine saftige Busse und Geldstrafe aufgebrummt, weil er eben gerade nicht genug getrunken haben soll.
Sichtlich angespannt nahm der Beschuldigte zusammen mit seiner Anwältin vor dem Gerichtspräsidenten Platz. Gegen den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft von Anfang Jahr wehre er sich, «weil ich mir einfach ein besseres Resultat» erhoffe, antwortete Alfred die Frage, weshalb er die Strafe nicht akzeptiere.
Der dem Beschuldigten zur Last gelegte Vorfall ereignete sich vor knapp einem Jahr. Alfred, der nebst Hauswartungen rund 20 Prozent Taxi fährt, befand sich mit seinem Fahrzeug gerade auf der Rückfahrt von Zürich, als er in Neuenhof ein «Blackout» erlitt und in der Folge mit dem Pfeiler einer Eisenbahnbrücke kollidierte. Zu Schaden kam glücklicherweise niemand; auch Alfred nicht.
Doch das Ganze hatte ein juristisches Nachspiel. Der Beschuldigte habe ein Motorfahrzeug geführt, obwohl er fahrunfähig gewesen sei, so die Staatsanwaltschaft. Denn Alfred habe unter Flüssigkeitsmangel gelitten. Es sei vorhersehbar, dass ungenügende Flüssigkeitszunahme, insbesondere an einem heissen Sommertag, zu körperlichem Unwohlsein bis hin zu einem Verlust des Bewusstseins führen könne.
Ausserdem sei es vorhersehbar, dass eine Person in dieser körperlichen Verfassung nicht fahrfähig sei. «Hätte der Beschuldigte dem von ihm verspürten Durst mehr Beachtung geschenkt, hätte er auch mehr Flüssigkeit zu sich genommen und das Blackout hätte vermieden werden können», argumentiert die Staatsanwaltschaft. Dabei stützt sie sich auf Aussagen von Alfred, der gleich nach dem Unfall zu Protokoll gab, dass er Durst habe.
Gerichtspräsident Peter Rüegg bat Alfred, den Unfall-Tag nochmals aus seiner Perspektive zu schildern, und wollte von ihm insbesondere wissen, wie viel Wasser er bis zum Zeitpunkt des Unfalls getrunken habe. «Sicher rund einen Liter Wasser. Auch zum Mittagessen habe ich reichlich getrunken», so Alfred. Er könne sich noch erinnern, dass es im Auto trotz Klimaanlage relativ warm gewesen sei.
«Ich habe mich während der Fahrt aber gut gefühlt und hatte auch keinen Durst. Diesen verspürte ich erst nach dem Unfall.»
Plötzlich sei ihm schwarz geworden vor Augen. «Weshalb das passiert ist, weiss ich nicht. Das ist mir vorher noch nie passiert. Auch habe ich keine medizinischen Probleme», so Alfred. Zudem habe er nach dem Unfall eine medizinische Fahreignungsabklärung machen lassen. «Das Resultat war gut, meine Fahreignung ist nicht beeinträchtigt.»
Die Verteidigerin liess kein gutes Haar an der Argumentation der Staatsanwaltschaft. «Besagter Flüssigkeitsmangel ist unwahrscheinlich respektive nicht nachgewiesen.» Ihr Klient sage ja selber, er habe bis zum Unfallzeitpunkt am frühen Nachmittag bereits einen Liter Wasser getrunken.
«Auch wurde mein Klient nicht direkt nach dem Unfall untersucht.» Nur aus dem Umstand, dass ihr Klient gleich nach dem Unfall Durst verspürt habe, könne man keinen Beweis für einen Flüssigkeitsmangel ableiten. «Im Gegenteil: Hätte tatsächlich ein Flüssigkeitsmangel vorgelegen, dann wären andere Symptome wie Kopfschmerzen, trockener Mund oder Unwohlsein aufgetreten. Doch mein Klient hat sich fit und gesund gefühlt.» Deshalb sei er vom Vorwurf des Fahrens in fahrunfähigem Zustand freizusprechen.
Nach einer kurzen Bedenkzeit kam auch der Richter zu diesem Entschluss und sprach Alfred von jeglicher Schuld und Strafe frei. «Der Fall ist nicht ganz einfach. Meistens haben wir ja Leute hier, die zu viel statt zu wenig getrunken haben beim Fahren.» Er bemängle an der Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass man aus einem Ereignis nicht automatisch eine strafbare Handlung ableiten könne.
«Zwar erscheint ein Flüssigkeitsmangel durchaus plausibel. Doch die entscheidende Frage ist, ob das für sie voraussehbar war.» Rüegg beantwortete diese Frage mit Nein, was einen Freispruch zur Folge hatte. Alfred nahm das Verdikt sichtlich erleichtert auf. Er hatte das angestrebte «bessere Resultat» erreicht. (aargauerzeitung.ch)