Schweiz
Kommentar

Kommentar zur 13. AHV-Rente: Die Babyboomer haben gerockt

Philippe Miauton, Direktor der Chambre vaudoise du commerce et de l'industrie, Monika Ruehl, Vorsitzende der Geschaeftsleitung economiesuisse, Roland A. Mueller, Direktor SAV, und Vincent Simon,  ...
Wirtschaftsvertreter und bürgerliche Politiker reagieren konsterniert auf das Abstimmungsresultat.Bild: keystone
Kommentar

Die Babyboomer haben gerockt – wohl nicht zum letzten Mal

Die 13. AHV-Rente kommt. Sie wurde viel deutlicher angenommen als erwartet. Es ist die Quittung für die Arroganz von Bürgerlichen und Wirtschaft. Und es war erst der Anfang.
03.03.2024, 15:4403.03.2024, 16:19
Mehr «Schweiz»

Schon kurz nach 12 Uhr rieb man sich erstaunt die Augen. Das Ja des Stimmvolks zur 13. AHV-Rente war absehbar, doch dass das Ständemehr so deutlich geschafft wurde, hatte kaum jemand erwartet. Nur acht Jahre nach dem Nein zur AHVplus-Vorlage kam es zum radikalen Wandel. Die Hemmungen gegenüber einem Sozialausbau sind weg.

Es ist definitiv ein Tabubruch, eine Sensation. Und doch ist sie erklärbar. Lange ist das Stimmvolk bereitwillig der Aufforderung von Bundesrat, Bürgerlichen, Wirtschaft (und vielen Medien) gefolgt, sich gegenüber «Wohltaten» zurückzuhalten. Sie selbst aber halten sich immer weniger an diese Vorgabe. Warum soll sie für die «kleinen Leute» gelten?

Eine Giesskanne steht auf einem Tisch im Vorfeld des Abstimmungsergebnisses zur 13. AHV Rente Initiative, am Sonntag, 3. Maerz 2024, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider).
Ein selbstironisches Statement der Initianten.Bild: keystone

Genau dies hat zum Bruch des «Gesellschaftsvertrags» geführt, der von mancher Seite beklagt wird. Dabei gab es gute Gründe für ein Nein zur 13. AHV-Rente. Sie folgt einem fragwürdigen Giesskannen-Prinzip, und die Initianten gingen mit der Frage der Finanzierung nonchalant um. Denn schon mit ihrer Einführung 2026 wird die AHV ins Minus rutschen.

«Drohbrief» war ein Eigentor

Es braucht rasch eine Lösung. Doch während solche Argumente früher noch verfingen, wirken sie hohl, weil der Bundesrat sofort Milliardensummen aus dem Ärmel schüttelt, wenn «systemrelevante» Firmen in Schieflage geraten. Auch der «Drohbrief» der früheren Bundesräte mit ihren hohen Ruhegehältern kann definitiv als Eigentor verbucht werden.

Heuchlerisch war der Verweis der Gegner auf die Ergänzungsleistungen. Wegen der seit Jahresbeginn verschärften Vermögensregeln mussten schon tausende Rentnerinnen und Rentner eine Kürzung oder Streichung ihrer EL-Bezüge verkraften. Die Arroganz der Bürgerlichen, auf einen Gegenvorschlag zu verzichten, hat sich ebenfalls «gerächt».

«Gnueg Heu dune»

Für die deutliche Ja-Mehrheit war schlicht «gnueg Heu dune», um es im Ueli-Maurer-Jargon auszudrücken. Das muss der SVP zu denken geben. Ihre Basis hat nicht mitgemacht und auch dem höheren Rentenalter eine klare Absage erteilt. Den eigentlichen Ausschlag für das Ja zur 13. AHV-Rente aber gab eine andere, besonders mächtige Gruppe: die Babyboomer.

Sie sind derzeit noch «Nettozahler» in die AHV, hat das Bundesamt für Sozialversicherungen berechnet. Das wird sich schon in den nächsten Jahren ändern. Die Babyboomer sind kein «Einheitsblock», ganz im Gegenteil. Doch eines haben sie gemeinsam: Sie sind die Kinder des Nachkriegswohlstands und damit anspruchsvoller als frühere Generationen.

Einkommen schrumpft im Alter

Gleichzeitig müssen sie feststellen, dass nach der Pensionierung ihr Einkommen aus der ersten und zweiten Säule deutlich tiefer ist als der letzte Lohn. Das liegt vor allem an den Pensionskassenrenten, die sich seit Jahren im Sinkflug befinden. Selbst wer privat vorgesorgt hat, kommt in den meisten Fällen nicht auf den früheren Lebensstandard.

Die Anspruchsmentalität der Boomer wird den Sozialstaat fordern. Schon am 9. Juni könnte es wieder so weit sein, bei der Prämienentlastungs-Initiative der SP. Sie greift bei jenem Thema an, das den Leuten besonders unter den Nägeln brennt: den stetig steigenden Krankenkassenprämien. Ein weiteres Ja ist deshalb realistisch.

Die pensionierten Babyboomer werden die Schweizer Politik auf Jahre hinaus prägen. Politik und Wirtschaft müssen darauf eine Antwort finden. In ersten Reaktionen auf das Ja zur 13. AHV-Rente zeigen sie sich als miserable Verlierer. Mit dieser Arroganz provozieren sie weitere ähnliche Ergebnisse, etwa bei der beruflichen Vorsorge.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die 13. AHV erklärt in einer Sekunde
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
591 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Nix sagen
03.03.2024 15:55registriert August 2020
Bin 31 und hab auch ja gestimmt. Genau aus diesen Gründen. Die Reichen bekommen alles in den A geschoben. Während meiner Eltern trotz lebenslanger Arbeit bescheidene Aussichten haben. Toll. Weg mit Rechts.
522115
Melden
Zum Kommentar
avatar
goschi
03.03.2024 15:50registriert Januar 2014
Die Medienkampagne mit ganz vielen "Anekdotische Erzählung wohlhabender Rentner, wieso sie es nicht brauchen" hat jedenfalls nicht gerockt, war aber SEHR auffällig.

Übrigens habe ich als ganz sicher nicht Babyboomer dafür gestimmt, wie generell viele Junge, denn eine faire Rente muss einfach sein.

Dann kostet uns das halt mehr geld, shit happens, wir geben auch Geld zur Bankenrettung und zur Senkung der Unternehmenssteuer aus...
43658
Melden
Zum Kommentar
avatar
Barracuda
03.03.2024 15:56registriert April 2016
Als wären satte 58% nur den Babyboomern zu verdanken 😄 Mein Dank geht an die verlogenen Rechtsbürgerlichen, die das erst möglich gemacht haben! Sie hätten es in der Hand gehabt, die Initiative mit einem Gegenvorschlag zu bodigen. Aber irgendwann glaubt das Volk der Angstmacherei nicht mehr. Sie haben NIE Hand geboten für eine Alternative. Jetzt kommt's halt ganz dick 😉 Danke und Gruss von einem, der übrigens noch sehr lange nicht von einer 13. AHV profitieren wird. 👍🏻
39550
Melden
Zum Kommentar
591
    «Liste des Versagens» – bei diesen wichtigen Armeeprojekten steckt der Wurm drin
    Verteidigungsministerin Viola Amherd steht im Gegenwind. Wichtige und teure Armeeprojekte sind in Schieflage geraten. Die SVP fordert ihren Rücktritt. Die Mitte nimmt die Walliser Magistratin in Schutz.

    Für die helvetische Politkultur ist es ein ungewöhnlicher Vorgang: Die SVP Schweiz forderte am Samstagnachmittag den Rücktritt von Bundesrätin Viola Amherd. Die Verteidigungsministerin beschäftige sich lieber mit Gender-Themen als mit der Ausrüstung der Armee, teilte die Partei nach ihrer Kadertagung in Bad Horn via Communiqué mit. Amherd höhle die Verteidigungsfähigkeit aus, im VBS herrsche ein Chaos, und Rüstungsprojekte würden verschlampt.

    Zur Story