Solche Bilder kennt man aus der Türkei, oder aus Weissrussland. In der Schweiz will man sie eigentlich nicht sehen. Genau das aber spielte sich am Sonntag ab, auf dem Bärenplatz in Bern. Polizisten in Kampfmontur gehen auf drei junge Frauen tibetischer Abstimmung los. Kollege Philipp Mäder von der «Schweizer Illustrierten» hat es mit Foto und Video auf Twitter dokumentiert.
Polizei jagt auf dem Bärenplatz junge #Tibet-Demonstrantinnen #Tibet #XiJinping #Bern #Staatsbesuch pic.twitter.com/3dLlryfo4d
— Philipp Mäder (@phmaeder) January 15, 2017
Die Aktion der jungen Tibet-Aktivisten war nicht bewilligt, sie fand nach der offiziellen Kundgebung statt. Ihr erklärtes Ziel war es, die Ankunft von Chinas Staatschef Xi Jinping auf dem Bundesplatz zu stören. Rechtfertigt das aber das harte Eingreifen der Berner Polizei? Laut der Zeitung «Bund» wurde sogar eine junge Frau aufgefordert, eine vor ihrem Fenster hängende Tibet-Flagge zu entfernen, weil ihr Haus an der Anfahrtsroute zum Bundeshaus lag.
Hier noch das ganze Video. #Tibet #XiJingping #Staatsbesuch #Bern #Demonstrationen pic.twitter.com/uv7kH3aB7g
— Philipp Mäder (@phmaeder) 15. Januar 2017
Das Problem «löste» sich, nachdem die Route geändert wurde. Es wäre keine Überraschung, wenn dies einzig wegen des umstrittenen Stofffetzens geschehen wäre. Die Rechtsgrundlage für die von der Polizei geforderte Entfernung war ohnehin mehr als wackelig. Was aber sagte der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) zum Vorgehen seiner Truppe? «Die Stadt Bern hat versucht, eine gute Balance zu wahren zwischen der Meinungsäusserungsfreiheit und den völkerrechtlichen Verpflichtungen einem ausländischen Staatsgast gegenüber.»
Letzte Woche hatte sich Nause gegenüber dem «Bund» ehrlicher geäussert: Für die Schweiz stehe «wirtschaftlich einiges auf dem Spiel». Nichts soll den Geschäftsgang mit der Volksrepublik China beeinträchtigen, der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt und drittgrössten Handelspartnerin der Schweiz. Schon gar nicht demonstrierende Tibeter. Migmar Dhakyel, Mediensprecherin des Vereins Tibeter Jugend in Europa, bezeichnete dies im watson-Interview als «Schande».
Man kann die offizielle Schweiz teilweise verstehen. Der Eklat beim Staatsbesuch des damaligen Präsidenten Jiang Zemin 1999 sollte sich keinesfalls wiederholen. Kaum etwas ist für die Chinesen schlimmer als der Gesichtsverlust. Und es stimmt, fast alle westlichen Staaten verhalten sich kriecherisch gegenüber dem riesigen Wirtschaftswunderland. Man ist fast froh um die härteren Töne des neuen US-Präsidenten Donald Trump, auch wenn ihm die Menschenrechte egal sind.
Die etwas gar wolkigen Hoffnungen, der wachsende Wohlstand in China werde zu mehr Freiheit führen, haben sich nicht erfüllt, im Gegenteil. Heute ist die Repression so gross wie nie seit dem Tiananmen-Massaker 1989. Das einzige Ziel der Kommunistischen Partei ist der Machterhalt. Mit wachsendem Wohlstand aber werden die Menschen kritischer und anspruchsvoller. Deshalb greift die Partei durch und sperrt Menschen jahrelang ein, weil sie mehr Freiheit fordern.
Die Schweiz kann daran kaum etwas ändern. Sie will es auch nicht. Deshalb sollte sie ehrlich sein und die Menschenrechte bei künftigen Gesprächen mit der chinesischen Regierung gar nicht mehr erwähnen. Und sie sollte die Alibiübung namens Menschenrechtsdialog einstellen. Alles andere ist pure Heuchelei. Und nebenbei könnte sie dem Dalai Lama zu verstehen geben, dass seine Besuche bei der grössten Tibetergemeinde Europas nicht länger erwünscht sind.
Geschehen wird das nicht. Eher wird die offizielle Schweiz sich selbst und die Menschen weiter belügen, das Schicksal der unterdrückten Chinesen und Tibeter liege ihr am Herzen. Während sie sich dem einzigen Thema widmet, das sie wirklich interessiert: Dem Business.