«Günstiger als ein Monatsabo – und das ab Zürich»: Mit diesem Seitenhieb gegen den öffentlichen Verkehr wirbt die Airline Easyjet derzeit auf einem Tram der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ). Für wenig Geld gehe es ins «wilde Berlin» oder ins «kulinarische Catania», heisst es auf dem Banner. Grund für die Werbung ist ein Angebotsausbau in Zürich. Zu den bestehenden Flügen nach Berlin und London kommen per Ende Monat solche nach Catania auf Sizilien, Lissabon und Porto hinzu.
Faktisch ist an der Werbung nichts auszusetzen: Wer einen Monat lang mit dem ÖV in der Stadt Zürich unterwegs sein will, blättert 85 Franken hin – während ein Hin- und Rückflug nach Catania bei Easyjet ab 65 Franken zu haben ist und ein Hin- und Rückflug nach London für 81 Franken. Doch die Werbung kommt trotzdem schlecht an.
Sie sei «höchst problematisch», sagt etwa der Verkehrspolitiker und Grünen-Nationalrat Michael Töngi.« Ich bin sonst nicht der grösste Verfechter von Werbeeinschränkungen, aber wenn ich eine solche Werbung lese, juckt es mich», sagt er. «Ich ärgere mich auch, dass die VBZ solche Werbung zulässt.»
Die angesprochenen Verkehrsbetriebe verteidigen sich: Es habe kein Grund vorgelegen, den Auftrag abzulehnen. Die Botschaften der Werbekunden könne man weder bewerten noch kommentieren, sagt Sprecherin Daniela Tobler. «Unser Angebot steht grundsätzlich allen interessierten Werbekunden offen».
Tatsächlich kennen die VBZ weniger Berührungsängste als andere ÖV-Betriebe und akzeptieren etwa auch religiöse Werbung. Die VBZ als Mobilitätsanbieterin setzten sich für einen nachhaltigen und klimafreundlichen ÖV ein, sagt Tobler. «Das liegt in der Natur der Sache».
Immerhin einen positiven Punkt sieht Nationalrat Töngi derweil in der Easyjet-Werbung. Kampagnenmässig habe es auch Vorteile, wenn Flugpreise ausgerechnet mit ÖV-Angeboten im Nahverkehr verglichen würden: «Damit wird aufgezeigt, dass die Flugpreise absurd tief sind».
Das Fliegen sei für 27 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in der Schweiz verantwortlich. «Diese müssen im Preis abgebildet werden», so Töngi. Deshalb brauch es eine Flugticketabgabe, eine Kerosinsteuer und eine Verpflichtung der Fluggesellschaften, mit Zielvereinbarungen in ihrem Gebiet die Pariser Klimaziele zu erreichen. Eine Motion, welche eine Flugticketabgabe fordert, wurde im Parlament eingereicht, aber noch nicht behandelt. Der Bundesrat empfiehlt sie zur Ablehnung.
Bei Easyjet sieht man das Problem nicht. Die Gesellschaft werbe regelmässig für Routen im gesamten Streckennetz, teilt die Airline mit. «Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Klimawandel ein Problem ist, das wir alle angehen müssen.» Easyjet tue das, in dem die Airline «unermüdlich» daran arbeite, die Kohlenstoffemissionen zu minimieren und für die Zukunft Lösungen ohne Emissionen anstreben.
Kurzfristig setze Easyjet auf effiziente Flugzeuge und eine optimale Auslastung. Bis 2050 habe sich die Airline zudem verpflichtet, einen Flugbetrieb ohne CO2-Emissionen zu erreichen. Dafür arbeite Easyjet mit Partnern wie Airbus, Rolls-Royce oder GKN Aerospace zusammen. Seit dem Jahr 2000 seien die Emissionen pro Passagier und Kilometer schon um einen Drittel reduziert worden.
Massnahmen wie einen Mindestpreis für Flugtickets lehnt Easyjet ab. «Wir sind der Meinung, dass der Preis eines Flugtickets nichts mit den Umweltauswirkungen des Fluges zu tun hat und keine Lösung darstellt, um die Kohlendioxidemissionen der Branche wesentlich zu beeinflussen», so die Fluggesellschaft. Vielmehr sollten Investitionen etwa in die Wasserstoff-Technologie getätigt werden.
Easyjet ist nach der Swiss mit ihrer Schwester Edelweiss die zweitgrösste Schweizer Fluggesellschaft und in Sachen Marktanteile die Nummer 1 an den Flughäfen Basel und Genf. An diesen beiden Flughäfen unterhält die in Meyrin GE eingetragene Gesellschaft Easyjet Switzerland eigene Basen mit Schweizer Personal und fix stationierten Flugzeugen. Den Flughafen Zürich hingegen fliegen die ausländischen Ableger von Easyjet an.
Die Offensive von Easyjet passt zur allgemeinen schnellen Erholung der Luftfahrt in den letzten Monaten. An den Flughäfen Zürich und Basel betrug das Minus der Passagierzahlen im September gegenüber demselben Monat des Jahres 2019 nur noch je etwa 19 Prozent, der Flughafen Genf liegt gar nur noch 14 Prozent hinter dem Vorkrisenwert zurück.
Eine nachhaltige Verhaltensänderung hin zu weniger Flügen scheint sich nach der Coronakrise nicht abzuzeichnen. Das sieht auch Verkehrspolitiker Michael Töngi so. «Ich bin nicht überrascht», sagt er. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass Corona eine nachhaltige Änderung des Flugverhaltens auslöst. Dazu braucht es Massnahmen.» (aargauerzeitung.ch)
Ich habe diese künstliche Empörungsgesellschafft langsam so satt...