Es ist die grösste Hip-Hop-Livesendung der Schweiz: Jedes Jahr treten über 80 Rapperinnen und Rapper am «Bounce Cypher» des Radio SRF Virus auf, dem Kultursender für junge Menschen. Und praktisch jedes Jahr gerät die Sendung wegen sexistischer, homophober oder rassistischer Texte in die Kritik. So auch dieses Jahr.
Doch zuerst zu den Grundlagen. Das Prinzip hinter einer Cypher ist simpel: Zeigen, dass man der oder die Beste ist. Dazu treffen sich Sprachgesangskünstler und jammen – oftmals in einem Kreis. In den USA passiert das traditionell an innerstädtischen Strassenecken oder Gehwegen. Im Gegensatz zu einem Rap-Battle treten dabei nicht zwei Künstler gegeneinander an, sondern jeder zeigt für sich der anwesenden Menge, dass man der Grösste, Beste, Stärkste, Wortgewandteste ist.
So auch beim SRF Virus «Bounce Cypher». Die MCs (Master of Ceremonies) kriegen einige Minuten Zeit, um exklusiv für die Cypher geschriebene Texte, Freestyles oder unveröffentlichte Songs zu präsentieren. Dabei kann man auch emotionale oder lustige Texte rappen, prinzipiell geht es aber nach wie vor um Battlerap. Die Crews dürfen im Hintergrund stehen und ihre Schützlinge anfeuern. Die Sendung läuft sowohl im Radio als auch live auf Youtube und dauert meist zwischen sechs und acht Stunden.
Das Problem an der Sache: Um seine Überlegenheit zu zeigen, versuchen sich die Rapper oft mit grenzwertigen Texten zu profilieren. Auch wenn viele sich im normalen Leben nicht als sexistisch oder homophob bezeichnen würden, so bedienen sich doch viele an Zeilen, in denen Frauen als «Bitches» oder «Fotzen» bezeichnet werden, man mit den Müttern anderer Rapper Geschlechtsverkehr hat oder in denen das Wort «schwul» als Beleidigung verwendet wird.
Der Instagram-Account «srfarchiv» – kein offizieller Kanal von SRF – hat im Nachgang zur Cypher ein Video mit fragwürdigen Textstellen zusammengeschnitten. Darin sind unter anderem folgende Zeilen zu hören:
In den Kommentaren zeigen sich die Userinnen entsetzt. «Diese Texte sind wirklich ein Virus! Haben die kein bisschen Respekt gelernt?», oder: «Zeigt das mal den Müttern dieser Loser» sind noch auf der netteren Seite. Der Instagram-Account «srfarchiv» selbst schreibt in den Kommentaren:
Die Vorwürfe sind nicht neu. Sie kommen praktisch jedes Jahr und werden von SRF Virus auch aktiv aufgenommen. In der Nachbesprechung zur Cypher widmete man sich ausgiebig der Kritik. Pablo Vögtli, Co-Moderator der Sendung, sagte dabei Folgendes:
Auf Instagram wurde der langjährige Cypher-Moderator noch deutlicher: «Es tut mir weh und es tut mir leid, wie viele homophobe, sexistische oder sonstige diskriminierende Aussagen gefallen sind. Ich finde das zum Kotzen.» Solche Raptexte seien zudem «lame» und «whack». «Man kann auch Leute batteln, ohne ganze Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren.» Er übernehme die Verantwortung dafür, da er die Rapper eingeladen habe. Vögtli sagte aber auch, dass es nicht möglich sei, bei 86 Performances auf jede einzelne Zeile zu achten.
Beim SRF gibt man sich ebenfalls schuldbewusst. Auf Anfrage sagte Senior Producer Alpcan Özkul, dass man sich der Problematik einzelner Texte bewusst sei. Man diskutiere diese intern auch – «jedes Jahr, bei jeder Cypher». Man spreche zudem immer wieder mit Rapperinnen und Rapper über ihre Texte und konfrontiere sie mit konkreten Zeilen aus ihren Songs. Ein paar Tage nach der Cypher sei es allerdings zu früh, um konkrete Massnahmen kommunizieren zu können.
Gleichzeitig betont Özkul, dass man den Künstlern «freien Lauf lassen» und «sie nicht zensieren» wolle. Die Cypher sei «ein offenes Zusammentreffen von Rapperinnen aus unterschiedlichen Szenen und bildet einen Ausschnitt der Schweizer Rap-Kultur ab». Zudem beobachte man Jahr für Jahr eine Verbesserung der Zustände. Die Cypher sei so divers gewesen wie nie zuvor.
Bei den Künstlern ist man mitunter etwas anderer Ansicht. Die Rapper Semantik und Mc Hero nahmen ebenfalls an der Nachbesprechung teil und teilten dort ihre Ansichten zum Thema. «Ich finde es problematisch, so schnell als homophob dargestellt zu werden», sagte etwa MC Hero. Im Rap wolle man der Starke sein, als Mann seine Männlichkeit in den Vordergrund stellen. «Da sagt man nicht, dass man der Kleinste und Schwächste im Raum ist, sondern der Grösste und Stärkste.» Er selbst habe überhaupt keine Probleme mit homosexuellen Menschen.
Semantik blies ins gleiche Horn: «Ich bin müde davon, im Jahr 2022 über Homophobie im Schweizer Rap zu reden. Ich finde, wir sind darüber hinweg.» Die Szene hätte schon so oft bewiesen, dass sie nicht homophob sei. Es sei klar, dass man noch nicht am Ziel sei. Die Szene müsse lernen, wie man Worte einsetzt. «Ich habe auch Wörter aus meinem Sprachgebrauch gestrichen, die ich vor 20 Jahren noch verwendet habe.» Sich aber jedes Jahr wieder anhören zu müssen, dass man sexistisch und homophob sei, führe zu nichts. «So werden wir dieses Stigma einfach nie los.»
Virus-Moderatorin Mira Weingart sah das anders: «Es war früher schon ein Problem, nur waren die Leute, die es verletzt hat, damals ruhiger. Diese Cypher ist der beste Beweis dafür, dass man immer noch darüber reden muss.»
„D‘Hälfti da usse schiebt Mueter-Komplex, wege dem schriibeds gern frauefeindlichi Text“