Sie ist jung, weiblich und trägt Make-up – und das als Fussballerin. Skandal 😱. Diesen Eindruck erhält man zumindest, wenn man sich die Kommentarspalten unter Artikeln zu Alisha Lehmann oder ihren Posts auf ihrem Instagram-Profil mit 16,8 Millionen Followern ansieht. Zu lesen sind Sätze wie «Die Einzige, die geschminkt ist aufm Platz, dafür aber nie spielt» oder «Model und keine Fussballerin». Andere fragen sich eher: Wie hält dieses Make-up eigentlich so gut – und von welcher Marke ist es?
Lehmann ist eine der bekanntesten Sportlerinnen der Schweiz. Im letzten Gruppenspiel stand sie an der Heim-EM das erste Mal auf dem Platz und war am entscheidenden Tor beteiligt. Davor hat aber schon ihre Nominierung für die Nationalmannschaft für Diskussionen gesorgt. Tagtäglich wird sie mit Hass und Anfeindungen überhäuft.
Meistens geht es dabei aber nicht um ihre Qualifikation als Spielerin, sondern um ihr Aussehen. Besonders ihr Make-up scheint viele Männer stark zu provozieren. Doch wieso eigentlich? Verliert eine Person plötzlich ihre Fähigkeiten, nur weil sie Lippenstift trägt?
Bei den Männern dagegen scheinen sich Schönheit, Style und Expertise nicht gegenseitig auszuschliessen. Im Gegenteil. Männliche Fussballer werden für ihre schnieken Frisuren gefeiert. Cristiano Ronaldo wechselte seine sogar schon in der Halbzeitpause. Auch David Beckham ist für seinen Look bekannt. Zeitweise wurden sie belächelt, doch die Spieler gelten als Vorbilder, als gute Fussballspieler und als Fashionikonen.
Weibliche Sportlerinnen sind dagegen zu dick, zu dünn, zu blond, zu muskulös oder einfach zu weiblich. Zu letzterem gehört auch das Make-up von Lehmann. Deswegen sind geschminkte Gesichter beim Eiskunstlauf oder beim Ballett akzeptiert. Fussball gilt dagegen als traditionell männlich und das Stadion wird oft als einer der letzten Orte wahrgenommen, an dem sich «echte» Männer ungestört – das heisst ohne Frauen – unter sich fühlen können.
Lehmann mit ihrem Barbie-Look stört da natürlich, denn damit ist sie besonders feminin.
Körperverzierungen sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Schon die alten Ägypter betonten ihre Augen. Übrigens auch die Männer. In Kämpfen konnte man sich durch die Kriegsbemalung von den Gegnern unterscheiden, in der Renaissance trugen beide Geschlechter Rouge und rote Lippenfarbe und im Barock versucht man sich mit pudrig weissen Gesichtern vom gemeinen Volk abzugrenzen.
Die Geschichte zeigt aber auch, wie Make-up immer wieder Gegenstand von Kritik war. Im alten Griechenland war das Tragen von Lippenstift nur bei Prostituierten üblich. Im Mittelalter galt Make-up als Teufelszeug, da damit Gottes Schöpfung verfälscht wurde. Immer wieder wurde Schminke als Werkzeug der Täuschung angesehen, das besonders Frauen nutzen, um Männer zu verführen. Zur Zeit der Französischen Revolution war roter Lippenstift verpönt und im Nationalsozialismus hatte sich eine «deutsche Frau» nicht zu schminken.
Und auch heute bleibt Make-up ein beliebter Kritikpunkt unter Männern. «Natürlichkeit ist ja viel schöner», so der Tenor. Dass die meisten Männer dabei aber unbewusst den «No Make-up»-Look, also natürlich geschminkte Gesichter, meinen, merken sie nicht.
Bei einer US-Studie von 2017 glaubten 63 Prozent der befragten Männer, Frauen würden Make-up in erster Linie tragen, um anderen Menschen zu suggerieren, sie seien attraktiv. Frauen sollen also am besten einfach von Natur aus perfekt sein. Ganz einfach, oder?
Trotzdem befeuern Stars wie die Kardashians auch auffälligere Make-up-Trends. In den vergangenen Jahren nahm das ein immer grösseres Ausmass an und Influencer bewerben auf ihren Kanälen Produkte wie Foundation, Mascara oder Lipgloss. Auch Alisha Lehmann wird immer wieder unterstellt, lediglich Influencerin zu sein – mit Fussball als Hobby nebenbei. Obwohl auch ihre männlichen Kollegen mit Werbedeals und Posts Geld verdienen, scheint dies besonders bei Lehmann zu stören.
Ob geschminkt oder nicht: Blöde Kommentare von noch blöderen Individuen sollten Leute nicht davon abhalten, mit Eyeliner und Co. durch die Strassen – oder die Fussballstadien – zu laufen.
Alisha Lehmann hat sich wohl mit dem Hate abgefunden. In einem Interview sagte sie trotzig:
Wir sollten das alle etwas mehr wie die Fussballerin handhaben.
Naja, das Titelbild zeigt es eigentlich gut, dass hier nicht Make-Up sondern eher Kleister kritisiert wird.
Ich finde, jede Frau soll sich so natürlich oder künstlich schminken wie sie will, das soll Freiheit herrschen.
Aber die gleiche Freiheit finde ich angebracht, dass man eine 1cm dicke Schicht die nach Plastik aussieht auch als solche bezeichnen darf.