Der Bundesrat will das Bahn-Angebot in den Agglomerationen und auf kurzen und mittleren Distanzen verbessern. Mehr S-Bahn-Züge und mehr Halte von Interregio-Zügen in Vorortsbahnhöfen sollen dafür sorgen, dass der Marktanteil des öffentlichen Verkehrs steigt. So steht es in der am Mittwoch präsentierten Strategie «Bahn 2050».
Der Fernverkehr auf längeren Strecken hingegen steht nicht im Fokus. Nur «punktuell» sollen Fahrzeiten verkürzt werden - vor allem auf Strecken, auf denen die Bahn gegenüber dem Auto nicht wettbewerbsfähig ist. Dabei belegt eine Studie der SBB, die für «Bahn 2050» erstellt wurde: Kaum eine Massnahme ist für die Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene so relevant wie kürzere Fahrzeiten.
Mit schnelleren Zügen könne der Anteil der Bahn an allen zurückgelegten Kilometern im Verkehr, der sogenannte Modal Split, gehoben werden. «Fahrzeitverkürzungen haben die grösste positive Hebelwirkung», schreiben die Autoren. Selbst Taktverdichtungen oder mehr Direktverbindungen erzielten nicht dieselben Effekte. Nicht untersucht wurde der Einfluss tieferer Preise.
Die Bahn hatte für die Studie den Auftrag erhalten, aufzuzeigen, wie ihr Anteil am Modal Split des Personenverkehrs bis 2050 verdoppelt werden könnte. Im Jahr 2019 betrug dieser 17.4 Prozent. Mit den Ausbauten des bereits bewilligten Ausbauschritt 2035 (AS 2035), wozu der Brüttener Tunnel zwischen Zürich und Winterthur oder der Zimmerberg-Basistunnel II gehören, dürfte er auf 21 Prozent steigen. Für eine Verdoppelung müsste er auf 34.8 Prozent klettern.
In diesen Zahlen ist der übrige ÖV nicht einberechnet: Der Modal Split aller öffentlichen Verkehrsmittel betrug im Jahr 2019 etwa 21 Prozent und soll mit dem AS 2035 auf 24 Prozent steigen.
Die Fachleute der SBB untersuchten, welchen Effekt ein Hochgeschwindigkeits-Netz (HGV) mit drei Linien hätte, auf dem Geschwindigkeiten von bis zu 350 Kilometern pro Stunde erreicht würden. Skizziert wurden Linien entlang dem heutigen IC 1 zwischen Genf Flughafen, Bern, Zürich und St. Gallen, eine Strecke zwischen Basel, Aarau, Zürich und Winterthur und eine zwischen Biel, Bern, Luzern und Zürich.
Auf der heutigen Bahninfrastruktur könnten solche Strecken laut der SBB nicht realisiert werden. Um auch in der Schweiz mit ihren kurzen Distanzen hohe Geschwindigkeiten zu erreichen, müsste zudem über die Technologie nachgedacht werden. «Denkbar wäre etwa ein Hyperloop-System», heisst es in der Studie.
Ein solches HGV-Netz würde die Nachfrage ankurbeln. Die Linie zwischen Genf und St. Gallen würde laut den SBB-Berechnungen zu fast 100'000 zusätzlichen Bahn-Reisenden pro Tag führen. Der Modal Split der Bahn würde alleine mit dieser Linie um zwei Prozentpunkte steigen. Würden auch die beiden anderen Streckenäste realisiert, würde der Anteil um 2.8 Prozentpunkte steigen. Knapp 870 Millionen Personenkilometer mit dem Auto könnten eingespart werden.
Vom Nutzen solcher Strecken war schon der frühere SBB-Präsident Ulrich Gygi überzeugt. Er schlug 2010 vor, die Fahrzeit mit einer neuen HGV-Strecke zwischen Zürich und Bern auf 28 Minuten zu halbieren. «Davon würden alle profitieren, auch die Genfer, die deutlich schneller in Zürich oder St. Gallen wären», sagt er dem «Sonntag».
Doch der Bundesrat hat sich damals wie heute gegen ein solches Netz entschieden. Er begründet das mit den hohen nötigen Investitionen. Grob geschätzt müssten wohl hohe zweistellige Milliardenbeträge ausgegeben werden. Gleichzeitig haben solche Ausbauten unerwünschte Effekte: Zwar verlagern sie Verkehr vom Auto auf die Schiene - aber in grösserem Umfang generieren sie neuen Verkehr.
Erklärt werden kann das mit dem Konzept des «zeitlich konstanten Mobilitätskonsums». Die meisten Menschen investieren eine fixe Zeitdauer pro Tag für Mobilität. Durchschnittlich sind das hierzulande etwa 90 Minuten. Dieser Wert ist über die Jahre konstant.
Wenn eine Bahnstrecke schneller wird, verkürzen Menschen nicht ihre Reisezeiten, sondern reisen stattdessen über längere Distanzen. Damit wird einerseits die Zersiedelung gefördert - man kann schliesslich noch weiter weg vom eigenen Zuhause wohnen, ohne durch das Pendeln zur Arbeit zusätzlich Zeit zu verlieren - und andererseits steigt der Energieverbrauch, was den Klimazielen zuwiderläuft.
Neuen Verkehr möchten die Planer des Bundes deshalb möglichst vermeiden. Im Fall des skizzierten HGV-Netzes wäre das Verhältnis ungünstig: Nur knapp 18 Prozent der neuen Bahnreisenden auf den Strecken würden gemäss SBB-Berechnungen vom Auto auf die Bahn wechseln. Beim Rest würde es sich um neu geschaffene Nachfrage handeln.
Doch es gibt günstigere Projekte mit einem besseren Verhältnis. Die S-Bahn-Erschliessung von Basel Mitte mit neuen Durchmesserlinien und Taktverdichtungen der S-Bahn hätte über 14'000 neue Bahnreisende pro Tag im Jahr 2050 zur Folge. Ein Durchgangsbahnhof Luzern mit entsprechenden Fahrzeitverkürzungen und Taktverdichtungen würde 24'000 Reisende neu generieren. Beide Projekte sollen realisiert werden.
Eine 10 Minuten schnellere Fahrzeit zwischen Zürich und Aarau, von der auch Reisende in Intercitys zwischen Zürich und Bern respektive Basel profitieren würden, würde 13'600 neue Reisende täglich bedeuten. Dieses Projekt hat neben den HGV-Strecken den grössten Einfluss auf den Modal Split: Um 0.3 Prozentpunkte würde sich dieser damit verschieben. Es werden zwar weniger neue Reisende generiert als bei anderen Projekten, aber diese sind auf längeren Strecken unterwegs, was die Wirkung erhöht.
Das Projekt hat intakte Realisierungschancen: Eine Konzeptstudie hat aufgezeigt, dass ein 30 Kilometer langer Tunnel zwischen Zürich und Aarau möglich wäre - aber auch seinen Preis hätte. Derzeit werden 7.3 Milliarden Franken veranschlagt. Nun soll eine Vorstudie ausgelöst werden.
Darüber hinaus will der Bund statt grosser Beton-Bauten kleine Brötchen backen: Hier eine neue S-Bahn, da einen neuen Interregio-Halt sieht er vor. Damit legt das Verkehrsdepartement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) kein ambitioniertes Programm vor. Das zeigt sich auch in den quantitativen Zielen: Der Modal Split des ÖV soll dank «Bahn 2050» von 24 Prozent, die mit dem Ausbauschritt 2035 erreicht werden sollen, um nur drei weitere Prozentpunkte auf 27 Prozent im Jahr 2050 steigern.
Die Fachleute des Bundes wissen um die Bescheidenheit ihres Vorhabens. «Eine Verlagerung in diesem Umfang ist für die Erreichung des Klimaziels bei weitem nicht ausreichend», schreiben sie im erläuternden Bericht. «Dies bedeutet mit anderen Worten auch, dass attraktivere Angebote der Bahn und des ÖV alleine die notwendige Verlagerung nicht auslösen können.» (bzbasel.ch)
Von daher muss man sich fragen, ob das Ziel das richtige ist. Vielleicht müsste das Ziel sein: "bis 2035 fahren 80% elektrisch" und nicht "bis 2024 fahren 24% mit der Bahn"?
Mit dem Auto kommt man mehr oder weniger gestresst am Ziel an.
Auch wenn man länger hat mit dem Zug. Die Zeit kann man voll nutzen für Verschiedenes.
Krass gesagt: Mit dem Auto verlorene Zeit, mit dem Zug gewonnene Zeit.