Tanja Hann wurde ein Opfer von sexualisierter Gewalt. Die Zürcher Stadtpolizei habe sie und die Tat, die sie schilderte, nicht ernst genommen, Spuren seien keine genommen worden, psychologische Hilfe habe sie auch keine erhalten. Hann sagt heute: «Das hat mich ehrlich gesagt genau so traumatisiert wie die Tat selbst.»
Das Tragische: Wäre die Tat in einem anderen Kanton geschehen und Hann hätte sich an Fachpersonen in einem spitalinternen Krisenzentrum wenden können, hätte sie möglicherweise die Betreuung erhalten, die sie in diesem Moment gebraucht hätte.
Dies soll sich nun ändern. National- und Ständerat beraten diese Woche über die konkrete Umsetzung der Krisenzentren, die in den Spitälern der gesamten Schweiz entstehen sollen.
Hann musste bereits zwei Mal sexualisierte Gewalt erleben, beim ersten Mal war sie 17 Jahre alt. Sie sagt: «Damals habe ich mich nicht getraut, zur Polizei zu gehen. Die Scham war zu gross. Beim zweiten Mal, vor rund sechs Jahren, bin ich aber vom Tatort geflüchtet und habe die Polizei via Notruf informiert.» Damals habe sie am Telefon gesagt: «Ich glaube, ich wurde vergewaltigt.»
Doch Hann sagt, dass die Begegnung mit den zwei Polizisten, die nach ihrem Notruf ausgerückt seien, sie retraumatisiert habe.
«Ich stand unter Schock und ich habe mich geschämt, zwei Männern zu erzählen, was genau passiert ist.» Sie fährt fort:
Hann habe sich gefühlt, als ob sie einen Fehler gemacht hätte und nicht sie das Opfer gewesen wäre. Sie sei verwirrt gewesen und habe nicht mal genau gewusst, wo sie sich befinde. Deshalb habe sie den Polizisten erklärt, dass sie den Nachhauseweg allein nicht finden würde.
«Die Polizisten haben mir gesagt: Wir sind kein Taxi. Ich war baff. Nach einem Hin und Her haben sie mich zu einer Taxistation gefahren», so Hann.
Die Stadtpolizei Zürich weist die Vorwürfe von Hann auf Anfrage von watson zurück. Ein Sexualdelikt sei gegenüber den ausgerückten Polizisten nie erwähnt worden, so die Stadtpolizei.
In diesem Moment wäre ein Krisenzentrum für Hann der richtige Zufluchtsort gewesen, sagt sie in der Retrospektive.
Sie erklärt weiter: «Ich wurde oral vergewaltigt*, das heisst eine Spurensicherung zu einem späteren Zeitpunkt wäre schier unmöglich gewesen. Es wäre gut gewesen, wenn man diese damals sofort durchgeführt hätte, so hätte ich zumindest diesen Beweis vorlegen können.»
«Ich finde es auch befremdend, dass alles anders gelaufen wäre, wenn mir das beispielsweise in Bern passiert wäre. Dort kennt man solche Krisenzentren schon länger», so Hann.
Sie hat sich mit anderen Opfern ausgetauscht und kennt verschiedene Szenarien:
Hann ist überzeugt, dass die Krisenzentren ein erster Schritt in die richtige Richtung sind. Doch damit sei lange nicht alles getan. Sie wünscht sich, dass die Opfer während der Ermittlungen und während des Prozesses angemessen und schonend behandelt werden.
Hann schildert gegenüber watson, dass sie während späterer Einvernahmen zu diesem Fall zusätzliches Victim Blaming erfahren habe, primär durch eine Polizistin, die genau auf solche Sexualdelikte spezialisiert sei. Die Polizistin habe ihr unangemessene Fragen gestellt, dies habe Hann teilweise retraumatisiert und ihr das Gefühl gegeben, dass sie selbst und nicht der Täter schuld sei an ihrer Situation.
Die Kantonspolizei Zürich schreibt auf Anfrage von watson: «Die konkreten Vorwürfe aus dem Jahr 2017 können wir so nicht nachvollziehen.»
Tamara Funiciello, SP-Nationalrätin, hat sich mit viel Hingabe für ihre Motion eingesetzt. Sie sagt gegenüber watson: «Wenn ein Opfer von Gewalt, spezifisch von sexualisierter Gewalt, in die Notaufnahme eines Spitals geht, dann ist es wichtig, dass diese Person dort auf Personal trifft, welches auf solche Situationen spezialisiert ist.»
Sie konkretisiert:
Funiciello sagt weiter: «Aktuell wird die Polizei eingeschaltet von den Fachpersonen im Spital, wenn ein Opfer ins Spital kommt. Das ist für die Opfer in so einer Situation einfach zu viel. Das geht nicht. Sie sind im Schock und überfordert. Deshalb verzichten aktuell Opfer darauf, nach einem Übergriff ins Spital zu gehen, weil sie nicht sofort mit den Fragen der Polizei konfrontiert werden wollen.»
In den Kantonen Bern und Waadt gibt es schon solche Krisenzentren, bei diesen gebe es minimale Unterschiede bei der Herangehensweise, beide seien aber schlussendlich auf den Opferschutz ausgerichtet.
Beide Kantone hätten hervorragende Erfahrungen gemacht, so Funiciello.
In Bern beispielsweise nimmt man dem Betroffenen die Kleider sofort ab, vakuumiert sie und bewahrt sie auf, damit man die DNA-Spuren auch zu einem späteren Zeitpunkt optimal sichern kann. Dies ermöglicht, erst zu einem späteren Zeitpunkt Anzeige zu erstatten, falls sie das möchten. Gleichzeitig wird die Opferhilfe gegebenenfalls vermittelt, damit die betroffene Person psychisch unterstützt wird.
Funiciello schlussfolgert: «Zwischen dem Kanton Zürich und dem Kanton Waadt gibt es einen massiven Unterschied darüber, wie viele von den angezeigten Vergewaltigungen nachher zu einer tatsächlichen Verurteilung führen. Dafür kann es ganz viele unterschiedliche Gründe geben, aber ein möglicher Grund ist, dass der Kanton Waadt seit über 20 Jahren solche Krisenzentren kennt und Zürich nicht.»
Die Vorstellung sei nicht, dass jedes Spital in der Schweiz ein Krisenzentrum hat. Die Forderung sei, dass man auf 40'000 Menschen ein Krisenzentrum hat. Es ginge darum, dass die Opfer nach einem Übergriff nicht zwei Stunden reisen müssten, um Unterstützung zu erhalten, so Funiciello. «Wenn der Weg zu weit ist, dann verzichten die Opfer oftmals auf einen Spitalbesuch. Das ist problematisch», sagt sie.
(*) Nach dem aktuellen Sexualstrafrecht war diese Tat eine Schändung, so wurde der Täter auch verurteilt. Der Unterschied zur Vergewaltigung ist hierbei, dass Betroffene bei einer Schändung zum Tatzeitpunkt wehrunfähig sind.