Grundsätzlich spielt die Schweiz in einem 4-2-3-1-System, das defensiv zu einem 4-4-1-1 wird. Offensiv jedoch werden die Positionen eher frei interpretiert, sodass zahlreiche Positionswechsel die Spielweise dominieren.
Initiator dieser Rochaden ist zumeist der nominelle Rechtsaussen Xherdan Shaqiri, der sich ballnah orientiert und sehr präsent agiert. Er fordert den Ball oft im Halbraum und setzt zu seinen gefährlichen Dribblings und Distanzschüssen an.
Die Breite auf dem rechten Flügel gewährleistet Rechtsverteidiger Stephan Lichtsteiner, der in dieser offensiven Rolle seinen Vorwärtsdrang und seine Dynamik vollends einbringen kann.
Shaqiris Kollegen sorgen dafür, dass er in einer relativ freien Rolle spielen kann. Besonders der jeweilige Linksaussen, bei der WM Stocker oder Mehmedi, passt sich Shaqiris Bewegungen an. Er postiert sich zumeist auf der ballfernen Seite und schafft damit einen Ausgleich zu Shaqiris Rochaden.
Auch der Spielmacher Granit Xhaka nimmt aktiv an den Rochaden teil. Er stopft unermüdlich Lücken und übernimmt die Absicherung auf den Flügeln, wenn seine Kollegen in die Mitte ziehen. Dadurch ist er wesentlich weniger präsent als im Verein, was seinem Spiel jedoch entgegenkommt. Er besinnt sich auf die wesentlichen Pässe und Zuspiele und agiert im Nationaltrikot deutlich direkter und betont defensiver als bei Gladbach.
Ein häufig gesehener Spielzug bei den Rochaden ist das Bespielen eines Dreiecks im Halbraum: Zwei offensive Spieler postieren sich dabei im Zentrum, während ein Aussenverteidiger oder der ausweichende Stürmer das Dreieck hinterläuft.
Der Gegner zieht sich nach dem Pass in eine der offensiven Ecken der Schweizer automatisch zusammen, mit einem schnellen Pass auf den Nebenmann wird dieser Effekt verstärkt. Dadurch wird der Pass hinter die Abwehr auf den hinterlaufenden Aussenspieler ermöglicht. Mit Josip Drmic spielt vorne ein Stürmer, der technisch sehr stark ist, im Zweifel aber auch Flanken verwerten kann.
In Szene gesetzt werden die Offensivkräfte von der Doppelsechs. Captain Gökhan Inler bringt die Ruhe und Übersicht ins Aufbauspiel und postiert sich meist als tieferer der beiden Sechser. Besonders in Spielen gegen tiefstehende Gegner zieht er das Spiel an sich und verteilt den Ball aus dem Sechserraum. Meist bewegt er sich dazu vertikal nach vorne; nur selten fällt er zwischen die Innenverteidiger und macht das Spiel aus der Tiefe. Sein Nebenmann Valon Behrami rückt gerne auf die rechte Seite und unterstützt die dortigen Überladungen.
Egal in welcher Konstellation, die Sechser sind eher Zuarbeiter für die offensiven Kräfte und rücken nicht ganz so weit auf, wie man es von anderen Teams gewohnt ist. Sie müssen stärker absichern, was auch mit der hohen Rolle der Aussenverteidiger zusammenhängt. Würden sie weiter vorrücken, wäre die Absicherung gegen gegnerische Konter nicht mehr gegeben. In vorderster Linie verfügt die Schweiz dank ihrer Überladungen oft über zahlreiche Spieler in Ballnähe, die sofort ins Gegenpressing übergehen können, aber von den Sechsern abgesichert werden müssen.
Probleme haben die Schweizer besonders dann, wenn der Gegner schnell über die rechte Seite der Nati kontert. Lichtsteiners hohe Rolle wird zwar in gewissem Masse von Inler und dem rechten Innenverteidiger abgesichert, doch gerade mit schnellen Flügelwechseln sind die Schweizer zu knacken: Inler steht in solchen Situationen auf die andere Seite eingerückt, Lichtsteiner fehlt in der Viererkette.
Überhaupt ist Lichsteiners rechte Seite die defensive Schwachstelle der Schweizer. Dies liegt nicht nur an der leicht asymmetrischen Spielweise, sondern auch an der personellen Besetzung: Shaqiri ist defensiv etwas schwächer als seine Kollegen. Die Mehrzahl der Gegentore in der Qualifikation wurden über die rechte Seite eingeleitet.
Dennoch: Grundsätzlich stehen die Schweizer defensiv stabil. Nach einer Führung ziehen sich die Schweizer gerne in ein 4-4-1-1-Mittelfeldpressing zurück. Dieses überzeugt mit einer starken Raumaufteilung: Die beiden vorderen Akteure stehen vertikal wie horizontal leicht versetzt. Xhaka überzeugt in der Rolle als hängende Spitze und verhindert diagonale Zuspiele des Innenverteidigers auf den Sechser. Zusammen mit dem Stürmer setzt Xhaka vier Spieler schachmatt.
Dahinter verschieben die beiden Viererketten ballorientiert. Zugriff suchen die Schweizer vor allem auf dem Flügel. Die Aussenverteidiger schieben teilweise weit nach vorne und verfolgen die Aussenstürmer mannorientiert, die Aussenstürmer stehen wiederum etwas höher und laufen die Aussenverteidiger an. Ab und an offenbaren sich dabei Lücken hinter den Aussenverteidigern. Kluge Gegner können diese mit Läufen der Aussenstürmer provozieren und anschliessend einen Diagonalball hinter die Aussenverteidiger schlagen.
In der Qualifikation zeigten die Schweizer ihr schnelles Konterspiel aus dem 4-4-1-1-Mittelfeldpressing nur selten; ihre Gegner standen schlicht zu tief, als dass die Schweizer einen Konterfokus hätten aufziehen können. Die schnellen Dreieckskombinationen haben jedoch das Potential, auch bei Schnellangriffen zu funktionieren, zumal das offensive Umschaltverhalten der Schweizer Spieler stark ist. Wer weiss, vielleicht überraschen uns die Schweizer bei der WM als schnelle Kontermannschaft.
Personell hingegen dürfte Ottmar Hitzfeld niemanden überraschen. Die Schweiz hat eine recht klare A-Mannschaft. Dass gerade Hitzfeld, der Erfinder des Wortes «Rotationsprinzip», wenig Spielraum bei seiner Aufstellung bleibt, liegt an den Möglichkeiten des Kaders: Die zweite Garde kann individuell schlicht nicht mit der ersten Elf mithalten. Dies wird besonders auf den Aussenpositionen deutlich. So hat Hitzfeld keinen formativen Plan B, sollte das eigene 4-2-3-1 einmal fehlschlagen. Besonders variabel sind die Schweizer dadurch nicht – sie müssen versuchen, ihren Plan A durchzubringen.
Doch trotz der fehlenden Variabilität stehen vom taktischen Aspekt her die Chancen nicht schlecht, dass die Schweiz das Minimalziel Achtelfinal erreicht. Ottmar Hitzfeld hat sein defensiv stabiles Team auch offensiv weiterentwickelt. Wenn er seine Strategie an die Gegner und die Bedingungen in Brasilien anpasst, steht dem Achtelfinal nur wenig im Weg.