Ein Tisch, Plastikkisten voller Bier und eine Hupe: Damit steht David bereits um 9 Uhr abends vor der Elite Bar an der Zürcher Langstrasse und hofft auf Umsatz. Ob die Schweiz gewinnt? Er zweifelt. «Aber so oder so werde ich hier Stimmung machen.» Um den Umsatz muss er sich an diesem Abend nicht sorgen und erst recht nicht um die Stimmung. Als Schiedsrichter Nestor Pitana die Partie zwischen der Schweiz und Honduras abpfeift, werfen sich auch die ärgsten Skeptiker selig dem Nächsten an den Hals und sagen «mir händ's gschafft»: Die Nati hat tatsächlich gewonnen und die Fans in einen Freudentaumel gestürzt.
Zu hunderten strömen sie Minuten nach dem Spiel auf die Langstrasse, bierselig und glücklich, in roten Trikots und mit einer Flagge um die Schultern. Die Nacht ist jung und verspricht eine endlose WM-Party. «We are the Champions», dröhnt es aus den Boxen der Memphis Bar auf die Strasse, wo sich ein Pulk Tanzwütiger eingefunden hat. Weltmeister, warum nicht, heute dürfen alle etwas träumen. «Wir feiern bis morgen, nein, übermorgen», sagt Eric. «Und dann schlagen wir Argentinien.» Aber das ist jetzt eigentlich nicht so wichtig. Was zählt, ist diese Nacht, diese Party.
Die findet auf der Strasse vor den Bars statt. Hier tanzen die Fans, hüpfen auf und ab und rufen «Wer nöd gumped isch kein Schwiizer, hoi, hoi». Und alle gumpen. Und flirten. Dave strahlt, als hätte die Nati bereits den Viertelfinal erreicht. «Ich habe noch nie in so kurzer Zeit so viele Leute kennengelernt», sagt er. Das ist einfach, denn in diesen Stunden, in denen alle den Fussball feiern, fallen sich wildfremde Menschen um den Hals, umarmen erwünscht, küssen erlaubt. Auch Loris hat Senna erst gerade getroffen. «Keine hat so schön gejubelt», sagt er.
Es ist bereits viertel nach zwei, als ein erster Autofahrer versucht, durch die Langstrasse zu fahren. Vergeblich. Auch zwei Polizisten auf Motorrädern kehren wieder um. «Eine Räumung wie bei einer Demo machen wir nicht», sagt einer der beiden. «Wir wollten einfach nachschauen, ob wir die Strasse wieder öffnen können.». Können sie nicht. Also stehen die Taxifahrer weiter Schlange, der Putzwagen dreht seine Runden weiter nur an der Militärstrasse und erinnert trotzdem ein bisschen daran, dass es bald Zeit ist, nach Hause zu gehen. Doch noch hält sich die Strassenparty vor der Memphis Bar. Wieder spielt der DJ «We are the Champions», wieder grölen alle mit.
Ein paar Meter weiter ist es ruhig geworden. David räumt langsam seinen Tisch vor der Elite Bar zusammen, bald ist Schluss. Sein Bier-Stand hat sich gelohnt: 600 Dosen hat die Kneipe verkauft, an einem normalen Abend sind es 50. «Wir machen trotzdem pünktlich zu», sagt David. «Sonst kriegen wir eine Busse. Das lohnt sich nicht.» Ob wenigstens die Memphis Bar, die noch immer das Trottoir beschallt, heute Nacht eine Ausnahme machen wird? Davids Chef Ufu schüttelt den Kopf. Bis vier Uhr werde auch da Schluss sein, WM hin oder her.
Es ist, wie es Ufu prophezeit hat: Punkt vier Uhr schliesst das Memphis seine Türen, die Musik auf der Langstrasse verstummt. Noch ein paar Fans stehen auf dem Trottoir, rundherum leere Dosen und zerschlagene Flaschen. Der Putzwagen nähert sich. Noch ein bisschen bleiben, noch ein bisschen tanzen, noch ein Mal «Hopp Schwiiz!».
Dann bricht der Tag langsam an. Es ist bald fünf Uhr morgens. Samir und seine Freunde aus Olten wollen nur eins wissen: wo die Afterparty ist und wie sie da reinkommen. Senna und Loris sind verschwunden. Und Simon will eigentlich nur noch nach Hause. Bis übermorgen feiert hier, auf der Langstrasse, niemand mehr. «Aber die Party war super», sagt Simon. Und der Sieg? «Ja, der Sieg. War schon schön», sagt er müde und zufrieden. «Sehr schön.»