Am Freitagnachmittag richtete sich Gesundheitsminister Alain Berset an der Coronavirus-Pressekonferenz ausdrücklich an eine bestimmte Bevölkerungsgruppe: An die über 65-Jährigen. Sie seien «besonders gefährdete Menschen», sie sollen vom Arbeitsplatz fernbleiben, falls keine Alternative in Frage kommt.
Als Berset diese Worte aussprach, horchten einige Parlamentarier auf. Im National- und Ständerat sitzen derzeit mehr als ein Dutzend Volksvertreter mit Jahrgang 1955. Ihnen wird nun geraten, die öffentlichen Verkehrsmittel zu Stosszeiten und öffentliche Veranstaltungen zu meiden.
Es sind Ratschläge, die sich mit ihrem Amt im Bundeshaus beissen. Die Session dauert noch zwei Wochen an, viele Ratsmitglieder reisen in den Stosszeiten mit dem Zug an. In den Ratssälen sitzen sie nah beieinander. In der Wandelhalle wird deshalb seit Tagen darüber diskutiert, ob die Session abgeblasen werden soll.
Der 67-jährige Ständeratspräsident Hans Stöckli (SP/BE) ist einer, der das im Extremfall entscheiden könnte. Als Mitglied der Verwaltungsdelegation des Parlaments wird er sich nächsten Montagmorgen vom Gesundheitsminister Berset die aktuelle Lage erklären lassen. Dann werde man entscheiden, ob die Massnahmen für die Bundeshaus-Session abgeändert oder ergänzt werden müssen, und welche Empfehlungen an die Parlamentarier abgegeben werden.
Er selbst glaubt nicht, dass sich «zusätzliche Massnahmen» aufdrängen. «Wir haben viel Raum zur Verfügung», sagt Stöckli zu watson. Er ergänzt jedoch: «Im Zentrum stehen die Gesundheit und das Funktionieren unserer Institutionen.»
Falls sich die Lage übers Wochenende ändert und neue Massnahmen für ältere Parlamentarier notwendig werden, würde Stöckli mit seiner Entscheidung zwei seiner Parteikollegen treffen. Im Ständerat sitzen zurzeit mit Stöckli, Paul Rechsteiner (67) und Roberto Zanetti (65) gleich drei Sozialdemokraten, die 65-jährig oder älter sind.
«Ja, man stellt sich schon Fragen. Wenn ich in meine Agenda schaue, dann sehe ich lauter abgesagte Veranstaltungen. Das Einzige, was noch nicht abgesagt wurde, ist die Session», sagt der Solothurner Ständerat Roberto Zanetti, der vor rund drei Monaten zum «Über-65-Jährigen» wurde.
Er selbst will keine Empfehlung abgeben, ob die Session abgesagt werden soll oder nicht. «Ich habe grossen Respekt vor der Aufgabe von Hans Stöckli – er kann entscheiden, was er will, und man wird ihn kritisieren», sagt SP-Ständerat Zanetti.
Zanetti spricht von einem Dilemma: Sage man sie ab, zeige man der Bevölkerung, dass man die Gefahr ernst nimmt. «Wenn aber Arbeiterinnen und Arbeiter jeden Tag zur Arbeit gehen, dann muss das auch für die Volksvertreter möglich sein», erklärt Zanetti.
Der Entscheid wird am Montagmorgen fallen. Auswirkungen im persönlichen Verhalten der Politiker hat das Coronavirus bereits. Stöckli erklärt zu watson, dass er bereits «alte Gewohnheiten» geändert habe. Er sei «widerwillig» vom Stoff- aufs Papiertaschentuch umgestiegen.