«Tierwohl statt Tierfabrik»: Mit diesem Slogan ziehen die Fair-Food-Initianten in den Abstimmungskampf. Ihr Ziel: Der Bund soll Regeln aufstellen, damit Lebensmittel umweltschonend, tierfreundlich und fair produziert werden. Produkte, die aus dem Ausland importiert werden, müssten ebenso gewisse Nachhaltigkeitsstandards erfüllen wie Lebensmittel aus dem Inland. Import-Fleisch müsste also grundsätzlich aus artgerechter Tierhaltung stammen.
Doch wie stark unterscheiden sich die Zustände in schweizerischen und ausländischen Ställen heute tatsächlich? Der watson-Vergleich zeigt es:
Ein Meter in der Länge und etwas weniger in der Breite: Auf dieser Fläche spielt sich das Leben eines Schweins in einem konventionellen Schweizer Mastbetrieb ab. 0,9 Quadratmeter Platz muss eine 100 Kilogramm schwere Sau mindestens haben. So will es das Schweizer Tierschutzgesetz.
Deutlich mehr Bewegungsfreiheit hat im Vergleich ein Schwein, das auf einem Schweizer Bio-Hof gehalten wird. Es lebt auf 1,65 Quadratmetern und hat täglich Auslauf ins Freie. In der EU steht den Tieren im Vergleich dazu gerade einmal eine Liegefläche von 0,75 Quadratmetern zur Verfügung.
0,14 Quadratmeter darf eine gewöhnliche Legehenne in der Schweiz für sich beanspruchen. Das heisst: Auf einem einzigen Quadratmeter können bis zu sieben Hühner untergebracht werden. In einem Biobetrieb sind es fünf Tiere, wobei diese zusätzlich Auslauf im Freien erhalten. In der EU kommen auf einen Quadratmeter neun Hühner. Während die Käfighaltung von Legehennen in der Schweiz verboten ist, sind in der Europäischen Union Käfige in «ausgestalteter» Form weiterhin zulässig.
Die kleinsten Buchten, die in der Schweiz für Rinder gebaut werden dürfen, messen zwei Quadratmeter. Bio-Rinder haben im Vergleich mehr als doppelt so viel Platz, zudem dürfen sie auf der Weide grasen. In der EU existieren keine Vorschriften für die Rinderhaltung.
Dies sei einer der grossen Mängel in der EU-Tierschutzgesetzgebung, sagt Hansuli Huber vom Schweizerischen Tierschutz (STS). Verbindliche Regeln gibt es nur für die Haltung von Legehennen, Schweinen, Kälbern und Hühnern. «Pferde, Kühe, Truten, Ziegen und Schafe hingegen sind komplett ohne Schutz, für sie existieren keine detaillierten und konkreten Haltungsvorschriften.»
Zwar kann jeder EU-Staat zusätzlich eigene Tierschutzvorschriften erlassen. «Das einzige Land, das eine ähnlich detaillierte Gesetzgebung wie die Schweiz kennt, ist Österreich», so Huber. Als besonders prekär gelte die Situation in Südeuropa. Dort würden gemäss Berichten von Tierschutzorganisationen häufig nicht einmal die rudimentären EU-Richtlinien eingehalten, staatliche Kontrollen seien praktisch inexistent.
Unter dem Strich gehe es den Nutztieren in der Schweiz wesentlich besser als anderswo, hält Huber fest. Dafür seien nicht nur die strengeren Mindestvorschriften verantwortlich, sondern auch die hohe Dichte an Label- und Bio-Betrieben. «In keinem anderen Land gibt es so viele Bauern, die den Tieren freiwillig mehr Auslauf gewähren, als sie von Gesetzes wegen müssten.»
Dennoch lebten die Tiere auch in unseren Ställen häufig nicht so, wie es die Werbung suggeriert. «Dass es auch bei uns erlaubt ist, ein Mastschwein auf einer Fläche von weniger als einem Quadratmeter und ohne Einstreu zu halten, ist vielen Leuten nicht bewusst.»
Bis zu 18’000 Legehennen darf ein Schweizer Betrieb halten. Bei Schweinen ist das Limit mit 1500 ausgewachsenen Tieren erreicht, bei Mastkälbern mit 300 Tieren. Die EU kennt im Gegensatz dazu keine Bestandesobergrenzen. Jedes Land kann selber regeln, wie viele Tiere in einem Betrieb gemästet werden dürfen.
«Spricht man in der Schweiz von Massentierhaltung, sind das ganz andere Dimensionen als in der EU oder in den USA», hält Hansuli Huber vom Tierschutz fest. «In der EU sind Tierfabriken mit 50’000 bis 100’000 Hühnern die Regel, selbst Bio-Eier stammen dort teilweise aus Betrieben mit 30’000 bis 40’000 Tieren.»
Unterschiede gibt es auch bei den erlaubten Eingriffen und Transportmethoden. In begründeten Fällen dürfen den Schweinen in europäischen Ställen die Ringelschwänze gekürzt und die Zähne mit der Zange abgezwackt werden. Damit soll verhindert werden, dass sich gestresste Tiere gegenseitig die Schwänze abbeissen. «Schwesterorganisationen berichten uns, dass solche Eingriffe in vielen EU-Ländern gang und gäbe sind», so Huber.
Als besonders stossend bezeichnet Huber die Schlachttransporte quer durch Europa. Bis zu 24 Stunden am Stück dürfen Schweine in der EU transportiert werden. «Auch eine Petition, die von einer Million Menschen unterzeichnet wurde, vermochte an der brutalen Transportpraxis nichts zu ändern», bedauert Huber. In der Schweiz beträgt die maximale Fahrzeit sechs Stunden, spätestens nach acht Stunden müssen die Tiere wieder aus dem Transporter ausgeladen sein.
Bei der Schlachtung der Tiere existieren nur geringfügige Unterschiede. In der EU ist es mit einer Ausnahmegenehmigung zum Beispiel möglich, Tiere ohne Betäubung zu schlachten. In der Schweiz ist dies verboten.
Ob Fleisch und Eier aus solcher Produktion künftig vom Schweizer Markt ferngehalten werden können, ist allerdings selbst bei einer Annahme der Fair-Food-Initiative fraglich. Denn Importverbote sind mit den internationalen Handelsverpflichtungen der Schweiz nicht vereinbar. Und die Grünen haben bereits signalisiert, dass sie es nicht auf eine Konfrontation mit der EU oder der Welthandelsorganisation anlegen.
Um Konflikte abzuwenden, könnte sich die Schweiz deshalb damit begnügen, Zielvereinbarungen mit der Lebensmittelbranche abzuschliessen oder die Zölle auf nachhaltige Produkte zu senken. Auch eine bessere Deklaration von nicht-konformen Lebensmitteln wird diskutiert.
Tierschützer Huber, dessen Organisation die Fair-Food-Initiative unterstützt, glaubt, dass gewisse Produzenten in der EU durchaus bereit wären, in bessere Tierwohl-Standards zu investieren, wenn sie damit für den zahlungskräftigen Schweizer Markt interessant werden. Er hofft auf die Schweizer Detailhändler: So haben sich Migros und Coop bereits dazu verpflichtet, ab 2020 nur noch Fleisch zu importieren, die den Mindeststandards im Schweizer Tierschutz entsprechen.
Die Gegner der Fair-Food-Initiative bezeichnen die Vorstellung, dass die Initiative die Produktionsmethoden im Ausland beeinflussen kann, als «illusorisch». «Realistischer ist, dass gerade kleine Produzenten aus Schwellen- und Entwicklungsländern nicht mehr in die Schweiz exportieren können oder dürfen», schreibt der Wirtschaftsverband Economiesuisse. Das Ziel, fairere Bedingungen im Ausland zu schaffen, werde so verfehlt.
Weiter kritisiert Economiesuisse, dass die Initiative die Wahlfreiheit der Konsumenten einschränke und die Lebensmittelpreise in die Höhe treibe. Dies wiederum könnte den Einkaufstourismus zusätzlich ankurbeln.
2016 importierte die Schweiz gut 92’000 Tonnen Fleisch aus dem Ausland, wie die Jahresstatistik des Branchenverbands Proviande zeigt. Der grösste Teil stammt dabei aus Deutschland oder anderen EU-Ländern. Doch auch Geflügel aus Brasilien, Rind aus Uruguay sowie Schaf aus Australien und Neuseeland landet in namhaften Mengen in Schweizer Küchen.