Die Alpenrösli-Mentalität des Schweizer Fernsehens ist bekannt. Sie wuchert vor allem in der zweiten Wochenhälfte, wenn SRF immer noch mehr «bi de Lüt» sein will als sonst, wenn Landfrauen in Tracht kochen und an währschaften Stammtischen gejasst wird, während sich Nik Hartmann auf den Dorfplätzen und Francine Jordi in den Fernseh-Festzelten dieses Landes tummeln. Wenn Peach Weber Witze reisst, für die man sich schämen muss und der Ausländer als solcher nur in der schwarzen Farbe stattfindet, mit der sich Birgit Steinegger schminkt. Wenn also ein gutes Viertel der Bevölkerung durch Auslassung oder als Fasnachtssujet repräsentiert wird.
Nichts übrigens gegen Nik Hartmann und Francine Jordi als Persönlichkeiten, beide sind weiss Gott feine Menschen mit Herzen so golden wie des Schweizers Lieblings-Weihnachtsgebäck, dem Mailänderli nämlich, ich kann das bezeugen. Und auch wenn dies jetzt saisonal gar nicht passt und auch wenn dieser Text viel schneller bei «The Voice of Switzerland» ankommen sollte, als er dies gerade tut, wären wir mit dem Mailänderli bei einem schönen Beispiel für die einstige Wertschätzung des Ausländischen in der Schweiz angelangt.
Denn das Mailänderli wurde im 18. Jahrhundert als Teegebäck für die feine Gesellschaft, also den «Daig», in die Schweiz eingeführt, ja vielleicht sogar in Basel für die ganze Schweiz und den süddeutschen Raum erfunden. Jedenfalls sehen die Basler das gerne so. Weil es sich bei den Ingredienzien Zucker und Butter damals noch um kostbare Zutaten handelte, suchte man für die Guetsli einen kostbar klingenden Namen. Und weil das Ausland im Gegensatz zur Schweiz mit Monarchien, Hochkultur und gutem Essen gleichgesetzt wurde, nannte man sie «Milängli» oder später Mailänderli.
Es würde der Schweiz, die sich ja andauernd auf irgendwelche Traditionen und Mythen besinnt, gut anstehen, wenn sie sich auch einmal an das Mailänderli erinnern würde. Und genau deshalb ist «The Voice of Switzerland» gut. Auch wenn der Blick schon wieder meckert, dass zu wenig Schweiz in «The Voice» sei.
Genauso gut könnte sich die deutsche «Bild»-Zeitung darüber beschweren, dass es ungehörig ist, dass in den letzten paar Jahren bereits fünf Schweizer deutsche Castingshows gewonnen haben. Bis jetzt war die Schweiz in allen Fällen zu Gast bei wahren Freunden, doch im Zuge des Abstimmungsresultats vom 9. Februar wäre ja vielleicht eine Kontingentierung von Schweizer Kandidaten denkbar oder gar ein Ausschluss, wer weiss.
Allen Wahlresultaten zum Trotz zeigt «The Voice of Switzerland» unser Land für einmal so gross- und offenherzig, als wär's Amerika: Als eines nämlich, in dem Migrationshintergründe keine Hinderungsgründe sind. Von den 36 Kandidatinnen und Kandidaten, die bis jetzt die Blind Auditions überstanden haben, haben 12 entweder einen nicht-schweizerischen Elternteil oder sind eingewandert oder haben sich direkt von Deutschland oder Irland aus beworben. Das ist gelebte Diversität, das ist angewandte Globalisierung, das ist beispielhafte Chancengleichheit – und das macht erst noch ganz fabelhaft Quote, nämlich bis zu 570'000 Zuschauer.
Wenn Marc Sway in seiner ganzen Gemütswurzeligkeit davon spricht, dass hier nicht nur Teams, sondern «Families» gebildet würden, dann darf man sich das ruhig ein bisschen mehr zu Herzen nehmen als sonst. SRF als Geburtshelfer für internationale Wahlverwandtschaften – das gibt dem Label «Made in Switzerland» doch einen köstlich kosmopolitischen Klang.