Der unerwartet deutliche Rechtsrutsch bei den Parlamentswahlen erhöht den Druck auf die Vereinigte Bundesversammlung, am 9. Dezember einen zweiten SVP-Vertreter in den Bundesrat zu wählen. Die Partei teilte gestern Abend mit, sie sei bereit, «zusätzliche Verantwortung in der Landesregierung zu übernehmen».
Die Wiederwahl von BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf steht derweil auf der Kippe: Die Mitte-Links-Allianz ist gemäss der Hochrechnung um 21 Uhr um mehr als ein Dutzend Nationalräte geschrumpft.
Sollte die Bündnerin für eine dritte Legislatur kandidieren, müssen ihre Anhänger damit um jede einzelne Stimme kämpfen. Noch hat sie nicht kommuniziert, ob sie antritt.
Stark zugelegt hat das Lager der Widmer-Schlumpf-Gegner: FDP und SVP dürften laut den Hochrechnungen zusammen mit den kleineren Rechtsaussen-Parteien künftig gut 100 Nationalratssitze und damit rund die Hälfte der grossen Kammer kontrollieren.
Im Ständerat stehen in vielen Kantonen zweite Wahlgänge an, doch auch hier sieht es gut aus für FDP und SVP: Sie haben ihre bisherige Sitzzahl schon fast wieder erreicht.
Für eine absolute Mehrheit wären bei 246 National- und Ständeräten rund 124 Stimmen nötig. Diese Schwelle dürften die SVP und ihre Mitstreiter aus eigener Kraft kaum erreichen, weshalb sie auf Abweichler von Mitte-Links angewiesen sind. Bei der Widmer-Schlumpf-freundlichen CVP haben sich etwa Nationalrat Gerhard Pfister (ZG) und Fraktionschef Filippo Lombardi (TI) im Vorfeld der Parlamentswahlen gegen die BDP-Bundesrätin ausgesprochen.
Abweichler sind aber auch bei der Widmer-Schlumpf-kritischen FDP zu finden: Vor allem die freisinnigen Abgeordneten aus der Romandie gelten als wenig erpicht auf einen zweiten SVP-Mann im Bundesrat. Weil die Vereinigte Bundesversammlung die Landesregierung in geheimer Wahl bestimmt, liegt die Hemmschwelle zur Fahnenflucht tief. Die Partei- und Fraktionschefs legen in den nächsten Wochen ihre Strategie für die Bundesratswahlen fest.
Einen Vorgeschmack auf die kommende Debatte gab es bei der Elefantenrunde der Parteipräsidenten im Schweizer Fernsehen. Am lautesten machte sich FDP-Chef Philipp Müller für einen zweiten SVP-Bundesratssitz stark: «Es wäre nicht intelligent, wenn wir die grösste politische Kraft im Land nicht in die Verantwortung einbinden», sagte er. Ansonsten werde die Schweiz irgendeinmal zu einer Konkurrenzdemokratie mit Mehrheit und Opposition. Müller: «Die Bevölkerung will keine Mitte-Links-Mehrheit.»
Als einzige Bedingung für die Wahl eines zweiten SVP-Bundesrates nannte er die Einhaltung des Kollegialitätsprinzips: Es dürfe nicht sein, dass sich ein Mitglied der Regierung auf Kosten des Gesamtbundesrates profiliere, indem es Differenzen nach aussen trage. Die SVP-Kandidaten müssten sich auch harte Fragen zum Verhältnis mit der EU gefallen lassen. Ein Bekenntnis zu den bilateralen Verträgen will Müller der SVP jedoch nicht mehr abverlangen.
In einer ungemütlichen Lage befinden sich die Mitteparteien, deren rechnerischer Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz neben Doris Leuthard gesunken ist: CVP-Chef Christophe Darbellay sagte, ein Bundesratsmitglied, das wie Widmer-Schlumpf korrekt gearbeitet habe, müsse sein Amt nicht niederlegen. Aber auch er wisse nicht, ob sich die Bundesrätin noch einmal der Wahl stelle. BDP-Präsident Martin Landolt liess sich nicht in die Karten blicken.
Im Hinblick auf einen möglichen SVP-Bundesratskandidaten bezeichnete es Darbellay als wünschenswert, dass dieser aus der lateinischen Schweiz komme.
Adrian Amstutz, Chef der SVP-Fraktion, kündigte derweil bereits am Nachmittag gegenüber der «Aargauer Zeitung» an, die SVP werde ihren oder ihre Kandidaten am 20. November nominieren.
«Gut zehn Personen» hätten sich um die Kandidatur beworben. Für den Moment hätten die Bewerbungen aber erst provisorischen Charakter: Die Frist für die definitiven Anmeldungen laufe am 13. November ab. Bis dahin könnten die Kantonalparteien ihre Vorschläge noch einmal überdenken. Drei Tage später, am 16. November, komme die SVP-Fraktionsspitze zu einer ausserordentlichen Vorstandssitzung zusammen.
Der Vorstand wird die Resultate der Findungskommission laut Amstutz «analysieren» und gestützt darauf eine Empfehlung zuhanden der Bundeshausfraktion abgeben. Als grosser Favorit für die Kampfkandidatur gegen Eveline Widmer-Schlumpf gilt der Bündner SVP-Nationalrat Heinz Brand. (aargauerzeitung.ch)