Über kein Medikament wurde vermutlich so viel geschrieben wie Viagra. Ursprünglich wurde der Wirkstoff namens Sildenafil gegen Bluthochdruck und eine Herzstörung untersucht. Anfang der 90er-Jahre entdeckten die Forscher in klinischen Studien, dass Viagra zwar wenig gegen die Herzstörung ausrichtete, aber gegen Erektionsstörungen eingesetzt werden kann.
Das blaue Wunder für den Mann war geboren. Im Frühling 1998 gaben die US-Gesundheitsbehörden grünes Licht. Dem Hersteller Pfizer spülte die Pille bislang über 33 Milliarden Dollar in die Kasse.
Viagra ist aber auch nicht nur ein lukratives Geschäft für Pfizer, sondern auch für Fälscher und Betrüger. Rund 95 Prozent aller illegalen Importe von Medikamenten in die Schweiz sind Potenzmittel, wie Nicolas Fotinos von der Abteilung Kontrolle illegale Heilmittel der Heilmittelbehörde Swissmedic sagt. Insgesamt gibt es vier verschiedene Wirkstoffe zur Behandlung von Erektionsstörungen. Viagra ist mit Abstand das prominenteste Mittel.
Schweizer Konsumenten bestellen die Potenzmittel meistens in ausländischen Online-Shops. Doch das Gesetz beschränkt die maximale Menge, die jemand einführen kann. So darf eine Privatperson lediglich Medikamente bis zu maximal einem Monatsbedarf importieren. Wer mehr bestellt, macht sich strafbar.
In den ersten sechs Monaten haben die Behörden bereits 4000 illegale Sendungen abgefangen. Swissmedic geht pro Paket im Durchschnitt von 100 Pillen aus. Schätzungsweise wurden also mindestens 400'000 Potenzpillen illegal eingeführt. Die Dunkelziffer dürfte um ein Mehrfaches höher sein.
Seit Anfang 2019 haben Swissmedic und die Zollverwaltung eine neue Praxis eingeführt. Sobald bei der illegalen Einfuhr von Medikamenten etwa eine Verletzung des Mehrwertsteuergesetzes vorliegt, ist neu die Zollverwaltung zuständig – und nicht mehr die Swissmedic.
Das alte System sei sehr aufwendig gewesen, sagt Fotinos, und auch weniger effizient. In den letzten Jahren wurden lediglich rund 1000 Sendungen pro Jahr abgefangen. Rechnet man die Zahlen der ersten sechs Monate hoch, so dürften bis Ende Jahr achtmal mehr illegale Pakete mit Medikamenten ins Netz der Behörden gehen.
Die importierten Viagra-Pillen machen oft den Weg von Indien über Osteuropa in die Schweiz. Oft würden die Pakete etwa von Polen oder anderen osteuropäischen Ländern hierhergelangen, das eigentliche Medikament stamme aber in rund 60 Prozent der Fälle aus Indien, sagt Fotinos. Andere Herkunftsländer sind etwa China und weitere asiatische Staaten.
Viele Online-Shops, die Viagra anbieten, kommen seriös daher. «Die Kunden haben das Gefühl, es handle sich um eine europäische oder kanadische Apotheke», sagt Fotinos. Das sei aber eine bewusste Irreführung. «Wenn man Glück hat, stammen die Potenzmittel von einer seriösen Firma. Wenn man Pech hat, wird die Ware in irgendeiner Garage hergestellt.»
Das kann durchaus gefährlich werden. Fotinos erzählt von silbrigen Potenzpillen, die mit einem Autolack beschichtet wurden, wie eine Laboranalyse zeigte. Der Lack war mit Schwermetallen wie Quecksilber und Blei belastet, die Konzentration war weit über den üblichen Toleranzwerten.
Oft enthalten die Medikamente gar nicht den Wirkstoff, der für die Erektion sorgt. Letztes Jahr hat Swissmedic eine Laboranalyse von 100 Präparaten durchgeführt. Bei rund der Hälfte wurden Mängel festgestellt, sagt Fotinos. So waren mehrere Präparate massiv überdosiert oder enthielten eine bedenkliche Kombination mit einem anderen Wirkstoff.
Teils enthielten die Proben auch Schmerzmittel, Antibiotika oder eben gar Schwermetalle. Die Einnahme dieser Produkte könne die Gesundheit erheblich gefährden, sagt Fotinos. «Letztlich spielen die Konsumenten russisches Roulette.»
Selbst wenn das im Internet bestellte Viagra den richtigen Wirkstoff beinhaltet, ist die Einnahme des Präparats nicht ohne Gefahren. Die Erektionsförderer erweitern die Gefässe im ganzen Körper und nicht nur dort, wo das gewünschte Resultat erzielt werden soll. Wenn ein Mann bereits andere Medikamente nehme, welche die Gefässe erweiterten, so könne dies im schlimmsten Fall zu einem Herzinfarkt führen, sagt Fotinos.
Nicht jeder, der Viagra online bestellt und illegal eine zu grosse Menge in die Schweiz einführt, muss gleich mit einer Busse rechnen. Bei kleineren Mengen wird die Ware vernichtet, der Betroffene informiert. Allerdings muss er die Kosten der Vernichtung und des Verfahrens bezahlen, wie Raphael Zbinden, Untersuchungsleiter der Abteilung Strafrecht von Swissmedic, sagt.
Bei grösseren Mengen kommt es zu einem abgekürzten Strafverfahren. Der Beschuldigte wird vorgeladen und muss aussagen. Ist er einsichtig, unterschreibt er den Strafbescheid von Swissmedic oder der Zollverwaltung und zahlt die Busse.
Wenn jemand den Strafbescheid des abgekürzten Verfahrens nicht akzeptiert, dann folgt ein ordentliches Strafverfahren. Die Beschuldigten akzeptierten jedoch in der Regel den Entscheid des abgekürzten Verfahrens, sagt Zbinden.
Dieser Zeitung liegt etwa ein Fall eines Mannes vor, der letztes Jahr 1000 Tabletten importierte. Er wurde mit einer Busse von 1500 Franken bestraft. Einen eigentlichen Bussenkatalog gibt es nicht. Die Höhe der Bussen werde in Absprache mit Swissmedic festgelegt, teilt die Zollverwaltung mit. Sie hänge von der Art und der Menge der Substanzen ab. Wer regelmässig Medikamente illegal importiert oder damit handelt, müsse mit höheren Bussen rechnen.
Rekordverdächtig ist der Fall eines Mannes, der ein ganzes Kilogramm des Viagra-Wirkstoffs Sildenafil importierte. Bei sich zu Hause stellte er aus dem Wirkstoff eigenhändig Pillen her. Geht man von einem durchschnittlichen Monatsbedarf aus, hätte das Kilogramm Sildenafil für knapp 28 Jahre ausgereicht, heisst es bei Swissmedic. Gewerbsmässiger Handel konnte ihm jedoch nicht nachgewiesen werden.