Reiner Eichenberger ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg und schreibt in seiner Kolumne in der «Handelszeitung», dass Velofahren klimaschädlicher sei als Autofahren. Dafür wurde er in den sozialen Medien von Harvard bis Oxford kritisiert. Die internationalen Expertinnen und Experten sagten, er würde die Fakten verdrehen.
Sein Standpunkt: Der Veloverkehr verursacht pro Personenkilometer mehr externe Kosten als der Autoverkehr. Dabei beruft er sich auf die jüngsten Daten des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) und des Bundesamts für Statistik (BFS), die über die externen Kosten des Verkehrs durch Klima-, Lärm-, Umwelt- und Unfallschäden Auskunft geben.
In seiner Kolumne will er die «kreative Buchführung» des ARE und BFS mit folgenden Behauptungen entlarven:
Einer, der diesen Behauptungen widersprochen hat, ist Giulio Mattioli. Der Verkehrswissenschaftler hat in einem Thread auf Twitter Eichenbergers Argumente auseinandergenommen – und anschliessend mit watson gesprochen.
Herr Mattioli, ist der Veloverkehr in Bezug auf die externen Kosten wirklich klimaschädlicher als der Autoverkehr?
Giulio Mattioli: Die Situation, von der Eichenberger ausgeht, ist unglaubhaft. Nehmen wir das energieeffiziente Auto: Die durchschnittlichen CO₂-Emissionen von Neuwagen in der Schweiz (123 g/km) lagen 2021 deutlich über dem Durchschnitt der EU (116 g/km). So energieeffizient, wie man es der Welt vielleicht wünschen würde, sind die Autos in der Schweiz also nicht. Auch von vier Personen im Auto auszugehen, entspricht nicht der Norm: In der Schweiz sitzen im Durchschnitt 1,6 Personen im Auto.
Immerhin hat Eichenberger die indirekten Emissionen berücksichtigt.
Aber auch nicht konsequent. Er bedenkt, dass eine Person auf einem Velo sich auf der Strecke von 100 Kilometer mehr anstrengen muss als eine im Auto. Aber danach davon auszugehen, dass sie danach Rindfleisch – das mit Abstand emissionsstärkste Essen – isst, ist irreführend, wenn wiederum nicht berücksichtigt wird, wie viel Emissionen zum Beispiel mit der Kraftstoffgewinnung und der Fahrzeugherstellung einhergehen.
Wie wirkt sich das auf die Gesellschaft aus, wenn Personen – in diesem Fall ein Professor – die Fakten fehlerhaft auslegen?
Es erweckt den Eindruck, dass es keine Einigkeit gibt. Dabei gibt es die eindeutig: In der Verkehrswissenschaft ist es zum Beispiel unbestritten, dass Elektroautos klimaschonender sind als Autos, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Wenn man aber – aus welchem Grund auch immer – etwas gegen Elektroautos hat, kommt einem eine solche Kolumne sehr gelegen. Weil sie suggeriert, dass alles relativierbar ist – und damit auch etwas, das nicht den eigenen Präferenzen entspricht.
Müssen Zeitungen Meinungsstücke in Zukunft auf ihre Richtigkeit prüfen?
Solange sie nur Meinung enthalten, nicht. Sobald Autorinnen und Autoren aber über wissenschaftliche Themen schreiben, sollten sie es – gerade als Professorinnen und Professoren – mit einem wissenschaftlichen Anspruch machen.
Sie haben sich entschieden, auf Eichenberger einzugehen. Damit haben Sie dafür gesorgt, dass ihm widersprochen wird, gleichzeitig geben Sie ihm und seinen Ansichten Aufmerksamkeit.
Es ist ein Dilemma. Bezüglich der Klimadebatte wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfohlen, nicht mehr auf Leugnerinnen und Leugnern einzugehen. Da der Konsens klar ist. Dem stimme ich zu. Doch die Diskussion um die externen Kosten im Verkehr ist weniger verbreitet, darum wollte ich aufzeigen, was an Eichenbergers Auslegung fragwürdig war.
Es ist notabene nicht das erste Mal, dass Eichenberger mit Aussagen dieser Art auf sich aufmerksam macht.
Die «Republik» schrieb zu seiner Person: «Ob Lärm, Klimaerwärmung, Energiewende, Migration, Medienförderung oder Pandemiebekämpfung: Eichenberger redet mit. Am liebsten zuvorderst. Als Experte für alles.»
2020 fiel er mit seinem Vorschlag auf, aus Kostengründen die Bevölkerung – im Sinne der umstrittenen Herdenimmunitätstheorie – gezielt zu durchseuchen. Es war sein Erfolgsschlager.
Und die «Velo-versus-Auto-Analsyse» brachte er bereits 2018: In einem Meinungsstück in der «Sonntagszeitung» führte er ähnliche Argumente an wie heuer in der «Handelszeitung». Schon damals bezichtigte er das ARE des Schwindels.
Das ARE schrieb auf Anfrage an watson, es sehe derzeit keinen Anlass für ein Statement. Es wies aber auf den Bericht hin, in dem sich auch die Berechnungsmethode nachvollziehen lasse, «einschliesslich der Kosten für die vor- und nachgelagerten Prozesse, beispielsweise also die Herstellung von Fahrzeugen».
Und die «Handelszeitung»? Die will laut einem Tweet die «lebhafte» Debatte über «externe Kosten und Nutzen unterschiedlicher Verkehrsträger» vertiefen – in Form von weiteren Meinungsbeiträgen. Einer davon ist eine Replik von der Grünen-Nationalrätin Natalie Imboden.
ein auto mit vier insassen habe ich schon sehr, sehr lange nicht mehr gesehen.