Es ist der 19. Oktober 2009. In der Schweiz dudelt zuoberst in den Albencharts gerade die Schweizer Band Yello – und der Credit Suisse geht es an der Börse so gut wie niemals zuvor und niemals mehr seither. Bei Tagesende geht sie zu einem Kurs von 48.41 Franken aus dem Handel, also nahe der Marke von 50 Franken. Ein Wahnsinn.
In den vergangenen 12 Jahren und 8 Monaten hat diese Aktie einen desaströsen Absturz hinter sich: fast 10-mal weniger ist sie aktuell wert. Am 15. Juli 2022 kostete sie vorübergehend weniger als 5 Franken, heute nur wenig mehr, obschon die Credit Suisse wieder einen Neuanfang versprochen hat. Zwischen damals und heute liegen zig Skandale – und zig Versprechen auf eine bessere Zukunft. Und die klangen so:
Die Credit Suisse kriselt längst, als sie am 19. Oktober 2009 den besagten Börsenrekord erreicht. Sie hat 2008 einen Verlust von über 8 Milliarden Franken geschrieben und muss sich neues Fremdkapital besorgen. Die Grossbank tut, was sie all die Jahre danach auch tun sollte: Besserung geloben.
«Zwar enttäuschend» sei der Milliardenverlust, heisst es damals im Geschäftsbericht 2008, gezeichnet von Walter Kielholz als Präsident und Brady Dougan als CEO. Doch das Duo macht geltend, die Bank habe «sehr konservativ agiert» und sich «so aufgestellt, dass wir weniger anfällig sind, sollte das schwierige Marktumfeld andauern». Knapp zwei Jahre später ist der Aktienkurs halbiert.
«Wir haben eine erstklassige Ausgangslage, um nachhaltige Renditen und konsistente Buchwertsteigerungen zu erwirtschaften.» So sehen das Anfang 2011 noch die beiden Spitzenleute der Credit Suisse, Hans-Ulrich Doerig als Verwaltungsratspräsident und Dougan weiterhin als CEO. Danach sollte sich der Börsenkurs halbieren. Zu Jahresbeginn steht sie noch bei 30 Franken, im Sommer fällt sie unter die Marke von 25 Franken, und im Herbst ist sie noch 15 Franken wert.
Später im Jahr gelangt Urs Rohner ins Verwaltungsratspräsidium – und der streut gerne Sätze ein, die nach neuer Bescheidenheit klingen. «Unseren Zielen gerecht zu werden, gelingt uns leider nicht bei jeder Entscheidung», steht Anfang 2012 im Geschäftsbericht – und das Eingeständnis: «Wir meinen vieles richtig gemacht zu haben, doch sicherlich nicht alles.» Doch sonst klingt Rohner wie zuvor Doerig: Eine «gute Ausgangslage» habe man, um «gestärkt aus dieser kritischen Periode hervorgehen zu können». Wunderbar. Vier Jahre später ist der nächste Tiefpunkt erreicht.
Es geht ein Jahr lang rasant bergab, ehe die Aktie unter 10 Franken fällt, wenn auch nur für wenige Tage. Zuvor wird ein «Übergangsjahr» ausgerufen, begründet mit der Einsetzung eines neuen CEO. Auf Brady Dougan ist Tidjane Thiam gefolgt. Der will zuerst alles prüfen, eine neue Strategie vorgeben und dann loslegen. Neuer CEO, neue Hoffnung. Marktführer wolle man werden, auch in Rezessionen noch Profite schreiben, lassen Thiam und Rohner gemeinsam Anfang 2016 festhalten. Man sei «für Wachstum positioniert».
Die Wortwahl war neu, die Botschaft nicht. Vier Jahre zuvor stand im Geschäftsbericht noch «für die Zukunft gut aufgestellt».
Euphorie, dann Tristesse – das ist das Jahr 2018. Zunächst scheint die Credit Suisse endlich wieder abzuheben. Die Aktie nähert sich der Marke von 20 Franken an – und die Doppelspitze aus Rohner und Thiam fühlt sich bestätigt. «Unsere Strategie hat sich bewährt», so heisst es apodiktisch im Geschäftsbericht, als sei dies nicht zu widerlegen. Zwischen den Zeilen trieft Euphorie durch. Man ist überzeugt, die Ziele zu erreichen und die Restrukturierung erfolgreich abschliessen zu können. Ab 2019 werde man eintreten in eine «neue, normalisierte Phase». Auch das ging daneben.
Ende 2018 stand die Aktie nicht mehr bei 20 Franken, sondern bei 10 Franken. 2019 brachte keine «normalisierte Phase», vielmehr brach ein Beschattungsskandal aus, weil die Bank ihren ehemaligen Starbanker Iqbal Khan von Detektiven überwachen lässt. Thiam muss gehen, Rohner darf bleiben.
Erst Euphorie, dann Tristesse – das ist auch knapp zwei Jahre später wieder zu bestaunen, in schon fast grotesker Weise. Thomas Gottstein will als neuer CEO eine Aufbruchstimmung verbreiten. 2021 solle eine neue Ära für seine Bank bringen, in der sie in die Offensive gehen und wachsen wolle, erzählt er der «Financial Times» im Dezember 2020. Tatsächlich startet Gottstein glänzend in diese neue Ära, im Januar und Februar mit den besten Geschäftszahlen seit zehn Jahren.
Es folgt Skandal auf Skandal. Greensill, ein Lieferketten-Finanzierungsvehikel, geht pleite, wie auch Archegos, ein amerikanischer Hedgefonds. Horta-Osório ist kaum im Amt als Nachfolger von Urs Rohner, als er Quarantäneregeln bricht und zurücktreten muss. Und so geht es weiter. Der Aktienkurs fällt im April 2021 wieder unter die Marke von 10 Franken, dieses Mal bleibt er dort.
Der Aktienkurs der Credit Suisse ist bei 5 Franken angelangt – und die Bank macht bisher im Jahr 2022 hohe Verluste. Über eine Milliarde Franken sind es im zweiten Quartal. Also ist es Zeit für einen Neuanfang, wieder einmal. Ein neuer CEO soll es richten, Ulrich Körner. Bei der UBS reichte es nicht bis ganz nach oben für ihn, doch Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann kennt und vertraut Körner: «Er wird liefern.» Lehmann will eine «umfassende strategische Überprüfung» haben. Körner selbst spricht von einer «fundamentalen Transformation». Es gebe eine «grosse Chance, die Bank für eine erfolgreiche Zukunft zu positionieren und ihr volles Potenzial auszuschöpfen.» Die Börse bleibt unbeeindruckt. Bis zum Mittag gab die Aktie nochmals etwas nach.
Alles wird besser bei der Credit Suisse – und das schon seit über 10 Jahren.