Frau Martullo, im Juni sagten Sie zum AHV-Steuer-Deal: «Ich könnte mit einem solchen Paket leben.» Nun lehnen Sie ihn ab. Warum haben Sie die Meinung geändert?
Magdalena Martullo: Die Sanierung der AHV und die Steuervorlage sind wichtige Geschäfte, doch sie haben nichts miteinander zu tun. Der Ständerat hat die Lösung über Nacht zusammengeschustert. SP, FDP und CVP waren dann im Nationalrat nicht mehr bereit, die Vorlage zu verbessern. Wir wollten, dass die Bürger getrennt über die beiden Vorlagen abstimmen können.
Im Juni sagten Sie auch: «Das Volk denkt nicht juristisch.» Und nun wiegt diese Formalie so schwer, dass Sie gegen das wichtigste wirtschaftspolitsiche Geschäft sind?
Die direkte Demokratie wird ausgehebelt. Den Bürgerinnen und Bürgern wird faktisch das Stimmrecht entzogen. Die Verknüpfung stört uns und auch die Erhöhung der Lohnbeiträge – man hätte der AHV stattdessen mehr Bundesmittel zuführen können. Die Mitteparteien waren nur gegenüber der Linken kompromissbereit. Die Lohnbezüger, der Mittelstand und das Gewerbe bezahlen – ohne dass die AHV nachhaltig gesichert wäre. Kommt es zu einer Volksabstimmung, wird dieser AHV-Steuer-Deal wohl abgelehnt.
Was macht Sie so sicher?
Die Steuervorlage ist schwierig zu verstehen. Nun hat man sie noch verbunden mit einer Erhöhung der Sozialabzüge zur Sanierung der AHV. Jeder Arbeitnehmer hat am Ende des Monats weniger Geld im Portemonnaie, ohne die Sicherheit der AHV – dagegen wehren wir uns.
Ohne die Erhöhung der Sozialabzüge würde die Linke nicht mitmachen.
Ich verstehe nicht, weshalb die Linken für eine Erhöhung der Lohnabzüge sein sollten. Der Einzelne hat dann weniger Geld zur Verfügung.
Die AHV braucht mehr Geld. Sonst muss einfach die Mehrwertsteuer stärker erhöht werden, was die meisten Haushalte mehr belastet ...
... das Problem ist: Man gibt nun einfach der AHV mehr Geld, ohne diese zu sanieren. Die Ausgaben sind höher als die Einnahmen – daran ändert der AHV-Steuer-Deal nichts.
Der Bundesrat will das Frauenrentenalter erhöhen. Die entsprechende Vorlage kommt bald ins Parlament.
Daran kommen wir wohl nicht vorbei. Die FDP war immer für die Erhöhung des Frauenrentenalters. Unsere entsprechenden Anträge hat sie nun aber nicht mehr unterstützt. Die FDP kooperiert offen mit den Linken.
Beim AHV-Steuer-Deal ging es darum, die Linke als Abstimmungssiegerin ins Boot zu holen.
Man hat den Linken sehr viel gegeben. Die ganze Steuervorlage wurde stark abgeschwächt: Die neuen Steuerinstrumente wurden eingeschränkt, die Dividendenbesteuerung für Familienunternehmen erhöht, die maximale Entlastung gesenkt und ein Teil der Unternehmenssteuerreform II rückgängig gemacht. Dazu kommt die AHVFinanzierung. FDP und CVP haben sich von der SP über den Tisch ziehen lassen. Vor allem wird die Umsetzung der Steuerreform in den Kantonen schwierig, weil die Linke dagegen ankämpfen wird.
Sie reden viel über die AHV. Der Steuerteil der Vorlage muss der SVP doch gefallen.
Ja, gegen den Steuerteil sind wir nicht, auch wenn er schlechter ist als bei der Unternehmenssteuerreform III. Wir wollten deshalb die Vorlage zur Überarbeitung an die Kommission zurückweisen.
Wenn man den Rückweisungsantrag anschaut, hat man das Gefühl, die SVP hat nichts aus der Abstimmungsniederlage bei der USR III gelernt. Es gibt nur Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung.
Auch beim AHV-Steuer-Deal gibt es keine Gegenfinanzierung.
Ja, weil der Gewerbeverband und die Familienunternehmen eine höhere Dividendenbesteuerung bekämpft haben. Deshalb gibt es nun einen sozialen Ausgleich via AHV.
In der aktuellen Vorlage steigt die Dividendenbesteuerung beim Bund und den Kantonen beträchtlich. Diese ist jedoch keine Gegenfinanzierung. Vor allem für den Kanton Aargau bedeutet das eine 25-prozentige Steuererhöhung zu heute. Und die FDP stimmte zu! Man will einfach die KMU schröpfen, die nicht wegziehen können. Im AHV-Steuer-Deal wird jetzt von einer Gegenfinanzierung an die AHV gesprochen. Aber auch das sind zusätzliche Abgaben und Einzahlungen, keine Gegenfinanzierung. Die Steuervorlage braucht aber gar keine Gegenfinanzierung, weil es gar keine Steuersenkung beim Bund gibt.
Sagen Sie uns, wo die SVP als Abstimmungsverliererin kompromissbereit war.
Wäre der AHV-Steuer-Deal aufgetrennt worden, hätten wir wahrscheinlich Ja gesagt.
Ueli Maurer betont die Dringlichkeit der Reform. Übertreibt er?
Die Steuerreform muss beim Volk durchkommen, und sie muss von den Kantonen umgesetzt werden, sonst nützt alles nichts. Ich möchte auch eine gute Steuervorlage, und zwar schnell.
Was passiert, wenn das Volk den Deal ablehnt?
Wir müssten dann den Kantonen möglichst einfach viel Spielraum geben, damit sie ihr Steuersystem anpassen können. Bundesgelder gäbe es dann halt keine.
Das würde ein Chaos geben, die Kantone müssten zu Notmassnahmen greifen, der Finanzausgleich würde implodieren.
Wir müssen den Finanzausgleich auch bei einem Volks-Nein entsprechend anpassen. Wichtig sind zudem die Übergangsregeln für die Statusgesellschaften. Diese muss man auch bei einem Nein einführen.
Das heisst, die Wirtschaft übertreibt?
Eveline Widmer-Schlumpf hat der EU die Abschaffung der Statusgesellschaften versprochen. Das war ein Fehler – aber wir können nicht zurück. Gewisse Länder finden die Besteuerung der Statusgesellschaften zu tief und besteuern dann diese Unternehmen plötzlich nochmals. Deshalb haben gewisse Konzerne ihren Sonderstatus bereits freiwillig abgegeben. Wir müssen eine Lösung für diese Firmen finden. Wir können sie nicht plötzlich ordentlich besteuern – vor allem nicht Hochsteuerkantone wie Zürich. Er wäre mit seinem Steuersatz von über 20 Prozent nicht mehr konkurrenzfähig.
Das Beispiel zeigt doch, wie wichtig die Reform ist.
Der Kanton Zürich braucht eine Reform, richtig. Die Frage ist, ob es auch eine Bundesvorlage braucht. Nun beschliessen wir auf Bundesebene einen massiven Zuschuss für die AHV mit Lohnabzügen und am Schluss torpediert die SP die Reformen in den Kantonen. Das nützt niemandem.
Wie sollen die Kantone ohne Bundesgelder ihre Steuern senken, um konkurrenzfähig zu bleiben?
Die reichen Kantone wie Basel-Stadt oder Genf werden ihre Steuern wohl trotzdem senken können und die Tiefsteuerkantone haben keinen Bedarf. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Bundesmittel an die Kantone überhaupt gut sind. Ich war überrascht über die Ankündigungen der Kantone bei der Unternehmenssteuerreform III, wie stark dass sie die Steuern senken wollten.
Die Kantone haben mit ihren Steuersenkungsplänen übertrieben?
Ja, zum Teil schon. Dabei ist ungewiss, ob sie ihre Pläne beim Volk durchbringen. Nehmen sie den grünen Stadtzürcher Finanzdirektor Daniel Leupi. Der Kanton Zürich hat ihm Geld zugesprochen, er stand hinter der Vorlage, und jetzt ist er wegen einer kleinen Änderung der Vorlage doch wieder öffentlich dagegen. Das sind doch keine zuverlässigen Partner für eine Reform. (aargauerzeitung.ch)