Manchmal muss man unsere Parlamentarier einfach bewundern. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Ständerats liess am letzten Mittwoch eine mittlere Bombe platzen – und niemand hatte im Vorfeld etwas geahnt. Die Ständeräte hielten eisern dicht, nicht einmal die primeurgierigen Sonntagsmedien hatten Wind von der Geheimsache bekommen.
Das Fehlen von Indiskretionen zeigt, wie ernst die Lage war. In der Tat hat die Kommission einen Coup gelandet. Sie hat die beiden grossen Reformen, die letztes Jahr beim Stimmvolk durchgefallen sind – die Unternehmenssteuerreform III und die Altersvorsorge 2020 –, aufgenommen und zumindest ansatzweise in ein Gesamtpaket verpackt.
Politik und Medien reagierten verblüfft auf den Deal. Natürlich handelt es sich um einen Kuhhandel, einen ziemlich schamlosen sogar. Hier werden zwei Dinge in eine Form gepresst, die nicht zusammengehören. Trotz einiger skeptischer Stimmen überwogen die positiven Reaktionen. Man hatte beinahe den Eindruck, die Ständeräte hätten die Quadratur des Kreises vollbracht.
Wenn man sich die Sache mit etwas Abstand durch den Kopf gehen lässt, ergibt sich ein zwiespältiger Eindruck. Die Idee, die Ausfälle durch die Steuervorlage 17 mit Mehreinnahmen für die AHV auszubalancieren, wirkt bestechend, fast schon brillant. Dennoch erzeugt sie ein ungutes Gefühl, denn eine solche Verknüpfung ist verfassungsrechtlich fragwürdig, wie die NZZ schreibt.
Worum geht es bei dieser nicht einfachen Materie genau?
Ursprünglich wollte Finanzminister Ueli Maurer seine Steuervorlage 17 mit einer Erhöhung der Kinderzulagen sozial abfedern und mehrheitsfähig machen. Wirklich glücklich war damit kaum jemand. Nach dem Vorschlag der WAK sollen jährlich 2.1 Milliarden Franken in die AHV fliessen, finanziert durch Lohnabzüge, Mehrwertsteuer und eine Erhöhung des Bundesbeitrags.
Der Solothurner CVP-Ständerat und Kommissionspräsident Pirmin Bischof verwies darauf, dass von den Kinderzulagen nur ein Teil der Bevölkerung profitiert hätte. Die AHV hingegen geht alle an. Mit den Mehreinnahmen verschafft man sich ein wenig Luft für die eigentliche Sanierung des wichtigsten Sozialwerks, das wegen der immer höheren Zahl der Pensionäre in Schieflage gerät.
Bei der eigentlichen Steuervorlage hat die Kommission wichtige Einwände berücksichtigt. Die Dividenden werden weniger stark besteuert als vom Bundesrat vorgeschlagen, was dem Gewerbe entgegenkommt. Die Linke soll mit einer Anpassung des Kapitaleinlageprinzips (eine komplizierte Angelegenheit, die hier nicht näher erläutert werden soll) gewonnen werden, ebenso mit einer Beschränkung der zinsbereinigten Gewinnsteuer auf wenige Hochsteuerkantone, vor allem Zürich.
Die Voraussetzungen für eine mehrheitsfähige Vorlage sind somit gegeben. Tatsächlich sieht es gut aus. Die SP ist mehrheitlich dafür, die CVP bezeichnet sich gar als Erfinderin des Deals. Die SVP will ein höheres Frauenrentenalter, sagt aber nicht grundsätzlich Nein. Den Ausschlag geben dürfte die FDP, und bei ihr werben mit der St.Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter und ihrem Zürcher Kollegen Ruedi Noser zwei Schwergewichte für die Paketlösung der WAK.
Natürlich gibt es Kritik. Grüne und Grünliberale äussern sich skeptisch bis ablehnend. Der linke Flügel der SP will nichts von tieferen Steuern wissen. Die Jungfreisinnigen klagen, die Jungen würden die Unternehmenssteuerreform bezahlen. Andere wie der Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea Caroni fürchten, dass «eine echte AHV-Reform auf die lange Bank geschoben» wird.
Für den Arbeitgeberverband ist die Verknüpfung von Steuer- und Sozialpolitik «höchst fragwürdig». Dabei hat er im Februar eine «Schmalspur-Reform» vorgestellt, die die AHV höchstens bis 2025 sichern würde. Das Kalkül dahinter: Bis zu jenem Zeitpunkt soll ein höheres Rentenalter mehrheitsfähig sein, weil immer mehr Babyboomer aus dem Arbeitsleben ausscheiden.
Die langfristige Sanierung der AHV ist mit dem Steuerdeal nicht gesichert. Und die Gefahr besteht, dass die Linke bei weiteren Reformversuchen auf die Bremse stehen wird. Aber der Reformdruck wird anhalten. Das gilt erst recht für die zweite Säule, wo die systemwidrige Umverteilung von jungen Beitragszahlern zu Rentenempfängern immer gravierender wird.
Die Wirtschaftsverbände und die Mehrheit der Bürgerlichen werden dem ständerätlichen Vorschlag am Ende wohl mit Murren zustimmen. Zu gross ist der Druck aus dem Ausland auf die Schweiz, ihre nicht mehr tolerierten Steuerprivilegien abzuschaffen. Weil mit der AHV ein grosser Teil der Linken an Bord sein wird, sind die Chancen in einer möglichen Volksabstimmung intakt.
Ja, es ist ein Kuhhandel, aber so funktioniert Realpolitik. Man möchte der Kommission zu ihrem im Hinterzimmer ausgeheckten Coup gratulieren, doch das fällt schwer. Die Vorlage verletzt eindeutig den Grundsatz der Einheit der Materie. Ist dies der Preis dafür, dass es in einer polarisierten Politiklandschaft immer schwieriger wird, dem Stimmvolk grosse Reformvorhaben zu «verkaufen»?
Wenn sich die einstmals breit aufgestellten Volksparteien immer mehr auf eine ideologische Linie ausrichten, gerät die direkte Demokratie an ihre Grenzen. Vielleicht müssen wir damit leben, dass solche Kuhhändel zur Regel werden, so unschön sie sein mögen.
Ein neckisches Detail sei aber noch erwähnt: Mit Karin Keller-Sutter und dem Luzerner CVP-Ständerat Konrad Graber spielten zwei Politiker bei dem Deal eine Schlüsselrolle, die auf der Liste möglicher Nachfolger für Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard weit oben stehen. Wird das AHV-Steuer-Päckli ihr «Gesellenstück» auf dem Weg in den Bundesrat?