Seit Mittwoch ist die Autonome Schule Zürich obdachlos: Das Projekt des Vereins «Bildung für Alle», das sich als Schule und Begegnungszentrum für Flüchtlinge, Sans-Papiers und Kulturinteressierte versteht, musste seinen bisherigen Sitz räumen und sucht nun verzweifelt nach einer neuen Bleibe. Um auf die prekäre Situation aufmerksam zu machen, wurde am Freitag Nachmittag der Sechseläutenplatz im Herzen Zürichs in Beschlag genommen und in ein Open-Air-Schulzimmer verwandelt. Ein Dutzend Aktivisten unterrichtete bei strahlendem Sonnenschein und spätsommerlichen Temperaturen gut 100 Flüchtlinge und Sans-Papiers.
«Was ist das?» fragt eine der Lehrerinnen während sie auf ein Sünneli-Symbol tippt, das keine Ähnlichkeit mit dem SVP-Logo besitzt. «Sonne!», ruft es aus der Gruppe von Flüchtlingen, die auf den bereitgestellten Festbänken sitzen. «Und das hier?» – «Regen!» – «Fast, Wolke». «Und was machen wir, wenn es regnet?» – «Was, Regen, jetzt?» ertönt ein Zwischenruf. Gelächter in der Gruppe. Die Stimmung ist aufgeräumt, obwohl die Autonome Schule nun bereits zum 14. Mal in ihrer Geschichte umziehen muss und es fraglich ist, wie es weitergeht.
Die Stadt Zürich, die froh ist um das Bildungsangebot der Autonomen Schule, hat ihr eine Räumlichkeit in Schwamendingen in Aussicht gestellt. Aber die ASZ, die unter dem Namen «Bildung für Alle» als Verein registriert ist, winkt ab. «Wir müssen im Zentrum sein, am besten in der Nähe des Hauptbahnhofs. Wenn wir in die Peripherie abgedrängt werden, dann können wir unsere Aufgabe nicht optimal wahrnehmen».
Mittlerweile ist man beim Akkusativ angekommen, der erste Stolperstein auf dem Weg zum perfekten Deutsch. Emeka ist froh um die Autonome Schule Zürich. Hier habe er die Sprache gelernt, erzählt der jugendlich aussehende Nigerianer mit dem verschmitzten Grinsen. Er steht etwas abseits der Lernenden, seinen kleinen Sohn an der Hand und winkt zuerst ab, als ich ihn um ein Interview bitte: Sein Deutsch sei zu schlecht, sagt er fast entschuldigend. Emeka ist vor fünf Jahren in die Schweiz gekommen, seit zwei Jahren sucht er einen Job. «In Nigeria handelte ich mit Autos, hier ist das schwierig», erzählt er mir.
Die Bewilligung für den Anlass glich einem Nervenkrieg, erzählt eine der ASZ-Aktivistinnen. «Die Stadt stellte uns eine Notbewilligung aus, weil wir so kurzfristig dran waren.» Aber der Aufwand habe sich gelohnt, die Aktion sei ein voller Erfolg. Spaziergänger, die über den blitzblanken Valser Quarzit flanieren, bekommen einen Flyer in die Hand gedrückt und werden in Gespräche verwickelt. Vom Rentner bis zu den 14-Jährigen Kantischüler. Ziel ist es, Aufmerksamkeit zu erreichen und auf die Leute für die Platzprobleme der ASZ zu sensibilisieren.
Valentina unterrichtet seit zweieinhalb Jahren an der Autonomen Schule. Ihre Mutter floh einst aus Bosnien in die Schweiz, als in ihrer Heimat der Krieg tobte. Sie lernte in Eigenregie Deutsch. Valentina will es den Neuankommenden und denen, die schon hier sind, einfacher machen. Einmal in der Woche unterrichte sie Deutsch, manchmal zu zweit, manchmal alleine: Bis zu 50 Personen umfasst ihre Klasse bisweilen – da stosse man schon mal an seine Grenzen. An der Autonomen Schule ist Valentina nicht nur Lehrerin, oder Moderierende, wie sie hier genannt werden, sondern auch Lebensberaterin, Kollegin, im besten Fall Freundin.
Am Montag will der Verein «Bildung für Alle», der die Autonome Schule betreibt, über die Verhandlungen mit der Stadt informieren. Dass es überhaupt so weit kommen musste, stösst vielen sauer auf. Moritz, pensionierter Hochschullehrer, äussert Unverständnis: Es sei ein Armutszeugnis, dass es solche Mühe macht, Räume zu finden.
Die Autonome Schule bietet nicht nur Deutschunterricht an, sie organisiert auch Lesungen, Theaterstücke, Konzerte und Ausstellungen. Vor drei Wochen war der französische Philosoph Alain Badiou zu Gast – ohne Gage, versteht sich. Aus ihrer politischen Ausrichtung machen die Aktivisten keinen Hehl: Sie fordern die globale Bewegungsfreiheit und lehnen hierarchische Machtverhältnisse ab. Vor drei Jahren riefen sie zu einem Demonstrationsmarsch auf, nachdem eine Gratiszeitung getitelt hatte, 60 Prozent aller Asylsuchenden seien HIV-positiv.
Die ASZ ist finanziell nicht auf Rosen gebettet. Spenden und die Gratis-Arbeit von 100 Freiwilligen halten den Verein über Wasser.
Wieso gerade der Sechseläutenplatz? «Wir wollen – für einen Nachmittag wenigstens – im Herzen der Stadt präsent sein», sagt eine Sprecherin. Nicht immer nur an den Rand gedrängt werden, nach Altstetten. Das gilt nicht nur für die Autonome Schule, sondern vor allem auch für die Flüchtlinge und Sans-Papiers. Und vielleicht hat es ja auch etwas mit dem Millionen-subventionierten Kulturtempel zu tun, der im Rücken der Lernenden thront, während sie jetzt beim Dativ angelangt sind, der bekanntlich dem Genitiv sein Tod ist. Dass auch das Schicksal der Autonomen Schule bald besiegelt ist, daran glaubt hier niemand.
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Jedoch verstehe ich nicht, was das mit dem Zentrumsanspruch soll.
Was ist an Altstetten nicht ok? Das sind 15 min mit dem Tram ab dem HB und ganz nebenbei gibt es auch einen Bhf....
Dann mietet Euch was!