Einen grossen Sportsmann zum letzten Mal auf der olympischen Bühne zu sehen, gehört zu den emotionalsten Augenblicken im Sport. Wenigstens wissen alle, dass es das letzte Mal ist. Von Kurt Tucholsky wissen wir ja, dass das nicht immer so ist: «Zum letzten Mal in seinen Leben Sauerkraut gegessen. Zum letztenmal telefoniert. Zum letztenmal geliebt. Zum letztenmal Goethe gelesen. Vielleicht lange Jahre vor dem Tode. Und man weiss es nicht.»
An einem Tag sind zwei grosse Persönlichkeiten zum letzten Mal auf der olympischen Bühne aufgetreten. Der Schweizer Snowboarder Philippe Schoch und der finnische Hockeyspieler Teemu Selänne. Unterschiedlicher hätte der letzte olympische Tango nicht sein können.
Philipp Schoch (34) scheidet oben in den Bergen im Parallelslaom aus. Ein «Zwick im Rücken beim Aufwärmen» brachte diesen olympischen Helden zu Fall. Er versuchte es zwar noch im ersten Qualifikationslauf. Aber er habe wegen der Schmerzen kaum mehr Druck auf das Brett gebracht. Sturz. Aus. Ende. Er hatte lange um diesen Wettkampf gerungen. Unzählige Verletzungen überwunden. Therapien durchgestanden. Auch sechs Jahren ohne Podestplatz konnten ihn nicht entmutigen. Er hat ein letztes Mal einem verwundeten Löwen gleich gekämpft.
Aber es ging nicht mehr. Ja, das ist das Bild, das dem Chronisten durch den Kopf geht: Ein alter Löwe. Ein Schnee-Löwe. Die Eleganz, die Dynamik, die ihn einst zum Besten der Welt machten, waren nicht mehr zu sehen. Aber der Wille ist noch zu erahnen. Das Charisma hat er nicht ganz verloren.
Sein letzter Auftritt ist ein stiller, melancholischer Abgang. Das Publikum hat ihn längst vergessen. Während er in der Mixed Zone, dort wo die Wettkämpfer an den Chronistinnen und Chronisten auf dem Weg aus der Arena vorbeilaufen müssen ob sie nun wollen oder nicht, während er also dort noch einmal seine Gefühle schildert, jubelt das Publikum hinten auf den Tribunen längst den neuen Helden zu, die jetzt über den Hang herunterschwingen. So banal kann ein Karriereende also sein.
Aber Philipp Schoch darf erhobenen Hauptes gehen. Er ist ein wahrer olympischer Held. Der amerikanische Dichter Ralph Emerson hat uns einmal gesagt, was ein wahrer Held ist: Einer, der fünf Minuten länger tapfer ist als der gewöhnliche Mann. Und das war Philipp Schoch gestern im besten Wortsinne. Und zwar für mindestens fünf Minuten.
Der Fischenthaler hat zweimal olympisches Gold im Parallel-Riesenslalom herausgefahren (2002 und 2006). 2006 fuhr er im Finale gegen seinen Bruder Simon. Auch er hatte gestern den letzten Auftritt auf der olympischen Bühne.
Der Chronist verlässt die kaukasischen Berge und fährt mit dem Bus wieder ins Tal. Weil dort noch einer zum letzten Mal auf der olympischen Bühne auftritt. Welch ein Gegensatz zwischen dem dramatischen Abschied des alten Schnee-Löwen oben am Berg zum rauschenden Abschied von Teemu Selänne ein paar Stunden später in der grossen Hockeyarena.
Der Finne ist neun Jahre älter als Philippe Schoch. Und in einer der härtesten Sportarten der Welt noch immer einer der Besten. Als Captain führt er die Finnen zum 5:0 über Amerika und zur Bronzemedaille. Es ist sein fünftes olympisches Turnier nach 1998 (Bronze), 2002, 2006 (Silber) und 2010 (Bronze).
Auch 43 fliegt Teemu Selänne übers Eis. Ihm fehlt die Melancholie der finnischen Seele. Einer der elegantesten Stürmer alle Zeiten. Kein Schnee-Löwe. Eher ein Eisprinz. Eishockey als Spiel. Nicht als Arbeit. In 6 Spielen hat «The Finnish Flash» («der finnische Blitz») hier in Sotschi 4 Tore und 2 Assists erzielt und steht auf Position 6 in der Skorerliste. Er hat bei olympischen Spielen nun insgesamt 43 Skorerpunkte gebucht. Mehr als jeder andere Spieler der olympischen Geschichte, mehr als jeder sowjetische oder kanadische Star. Mit 43 Jahren und 243 Tagen ist er der älteste olympische Torschütze und der älteste Hockey-Medaillengewinner aller Zeiten.
Und es ist für Teemu Selänne ja nur der olympische Abschied. Er kehrt nun nach Anaheim zurück und spielt weiterhin in der NHL. Es ist kein melancholischer Abschied von der olympischen Bühne. Es ist eine rauschende Abschiedsparty. Und wer weiss: Vielleicht kehrt er in vier Jahren doch noch einmal zurück. Im Alter von 47 Jahren. Aber Gordie Howe spielte mit 51 noch in der NHL.