Arno Del Curto zurück in Zürich, als Trainer der ZSC Lions – damit hatte nun wirklich niemand gerechnet. Doch gestern Mittag trudelte diese Nachricht tatsächlich ein. Bereits am Nachmittag wurde der 62-jährige Bündner an einer Pressekonferenz offiziell vorgestellt und heute morgen stand das erste Training mit der Mannschaft auf dem Programm.
Mir wünsched Eu en guete Start, Arno & Lini! #DelCurto #Liniger #Trainerduo #ZSCLions #MirsindZüri
— ZSC Lions (@zsclions) 15. Januar 2019
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Del Curto und der ZSC – das macht auf den ersten Blick sofort Sinn. Der Erfolgstrainer braucht nach den Enttäuschungen der letzten Monate in Davos eine neue Herausforderung und der Meister einen Trainer, der die kriselnde Mannschaft wieder in die Erfolgsspur zurückführt.
Der Erfolg also nur Formsache? Kann sein. Muss aber nicht. Del Curtos Rückkehr nach Zürich birgt auch einige Gefahren. Nur wenn folgende vier Fragen positiv beantwortet werden können, kann das Experiment auch wirklich funktionieren.
Der Meister des letzten Jahres ist angeschlagen und dümpelt in den Niederungen der Tabelle herum. Die Mannschaft besitzt zwar viel Talent, gilt aber als verwöhnter Haufen mit vielen launischen Grossverdienern. Nur selten lässt sie ihre Klasse aufblitzen.
Del Curtos Aufgabe wird sein, das Feuer in der Mannschaft wieder zu entfachen und den Spielern den nötigen Erfolgshunger einzuimpfen. Del Curto lässt ein schnelles und laufintensives Offensiv-Hockey spielen. Die Mannschaft hat die Qualitäten dafür, doch es ist (noch) nicht Del Curtos Mannschaft. Statt wie in Davos junge Spieler behutsam aufzubauen und ans NL-Niveau heranzuführen, übernimmt der Bündner in Zürich eine fertige Mannschaft, gespickt mit Stars, die er zu einer Einheit formen muss.
Der 62-Jährige ist bekannt dafür, seine Spieler an der langen Leine zu führen. Das geht gut, wenn der Funke zwischen Mannschaft und Trainer sofort überspringt, wenn die Spieler sich von Del Curtos Enthusiasmus anstecken lassen. Der Weg zurück zum Erfolg führt bei den Lions nicht über eine neue Taktik, ein neues Spielsystem, mehr Tempo, sondern vor allem über die Einstellung, den Willen und die Leidenschaft der Spieler. Das hat der Weg zum Meistertitel im letzten Jahr ja bereits eindeutig aufgezeigt.
➡️Radio-Legende Walti Scheibli erwartet von Del Curto vor allem eins: Emotionen! #zsc @zsclions #arnodelcurto #nationalleague pic.twitter.com/eXHm0Q2uc8
— MySportsCH (@MySports_CH) 15. Januar 2019
In Davos war Arno Del Curto 22 Jahre als Alleinherrscher im sportlichen Bereich tätig – als Trainer, Sportchef und Medienverantwortlicher in Personalunion. Der neue ZSC-Zampano gab gestern an der Medienkonferenz zu, dass er am Ende unter dieser Last gelitten hatte. Er freue sich darauf, beim ZSC nur Trainer zu sein.
Doch beim HC Davos arbeitete Del Curto gerade so erfolgreich, weil alle Fäden in seinen Händen zusammenliefen, er über alles bestimmen konnte, er allfällige Probleme in seinem Kopf lösen konnte. In Zürich ist Del Curto jetzt nicht mehr Alleinherrscher, sondern nur noch ein wichtiges Zahnrad in einer grossen Hockey-Maschinerie. Sportchef Sven Leuenberger und CEO Peter Zahner haben das Sagen im Klub.
Beim ersten öffentlichen ZSC-Auftritt gestern wirkte Del Curto etwas angespannt und war sichtlich bemüht, sich ins brave Zürcher Kollektiv einzufügen. Mit Hemd und Sakko sass er auf der Bühne und beantwortete alle Fragen ruhig und sachlich – keine markigen Sprüche, wie man sie sonst von ihm gewöhnt ist. Er wirkte wie eine gezähmte Version seiner selbst. Tritt er so auch an der Bande auf, wird ein Engagement in Zürich kaum von Erfolg gekrönt sein.
Del Curto kehrt als grosser Heilsbringer nach Zürich zurück. Der unerwartete Aussenseiter-Sieg im Playoff-Viertelfinal 1992 gegen das Grande Lugano hat ihn im Hallenstadion zur Kultfigur gemacht. Die Fans erwarten in dieser Saison nichts anderes als den Meistertitel.
In Zürich ist Eishockey Teil der grossen Unerhaltungsindustrie und Del Curto das neue Aushängeschild des Klubs. Im Gegensatz zu Davos, wo der 62-Jährige in der beschaulichen Bergwelt in aller Ruhe und ohne grossen Erfolgsdruck arbeiten konnte, ist Zürich ein sportliches und mediales Haifischbecken. Jede Niederlage wird von Fans und Journalisten kritisch beäugt, jeder kleine Durchhänger in eine grosse Krise verwandelt und jede Massnahme des Trainers genau analysiert.
🦁 Amtsantritt: Der neue @zsclions -Coach Arno Del Curto läuft das erste Mal vom Olymp über die Strasse zur Trainingshalle! #zsc #Nationalleague pic.twitter.com/q88IX2Z3U9
— MySportsCH (@MySports_CH) 15. Januar 2019
Del Curto steht im Zentrum des Interesses und muss sich in Zürich an viele neue Umstände gewöhnen. Der Erfolgsdruck und das riesige Medieninteresse haben zudem eine andere Dimension als in Davos. In seine neue Rolle muss auch Del Curto erst hineinwachsen und aufpassen, dass ihn die neuen Herausforderungen nicht zu sehr vom Wesentlichen ablenken.
22 Jahre war Del Curto Trainer beim HC Davos. Und kaum ist er dort nach einer schwierigen Zeit zurückgetreten, kehrt er bei seiner alten Liebe ZSC Lions ins Trainergeschäft zurück. Nur eine Woche hat es der sechsfache Meistercoach ohne Eishockey ausgehalten. Danach widmete er sich bereits wieder seiner grossen Passion. Unter anderem reiste er für eine Woche nach Liberec, wo er bei Trainings hospitierte und sich zwei Spiele anschaute.
Nach sieben Wochen nun die schnelle Rückkehr an die Bande. Warum? Aus Leidenschaft für Sport und Stadt, wie Hockey-Romantiker seinen Schritt interpretieren? Oder doch eher aus Verbissenheit, weil in Davos die ausbleibenden Erfolge an seinem Ego nagten und er es noch einmal allen zeigen will?
Eine Antwort auf all diese Fragen wird Del Curto an der Bande und seine Mannschaft mit den kommenden Resultaten geben. Eines ist aber sicher: Langweilig wird es rund um den ZSC in den kommenden Wochen wohl nicht.