Stell Dir vor, Deine Stadt ist das globale Machtzentrum des Sportes und niemand merkt es. So ist es mit Lausanne. In diesen Tagen feiert das IOC das hundertjährige Jubiläum seines Umzugs nach Lausanne. Aber deswegen hält die Stadt den Atem nicht an.
Das International Olympic Committee (IOC) dürfte die diskreteste Weltmacht sein. Emmanuel Favre ist Leiter der Sportredaktion der Tageszeitung «Le Matin». Er hat sein Büro ebenfalls in Lausanne, kennt den IOC-Fuchsbau und dessen Bedeutung für die Stadt. Er sagt: «Kaum jemand ist sich hier im Alltag der Bedeutung des IOC für diese Stadt und Region bewusst. Es ist wie wenn man in einem Film drin ist. Dann sieht man den Film nicht.»
Wer einmal das IOC-Museum besucht, ahnt, welchen unschätzbaren Wert das IOC für das Standortmarketing der Stadt hat. Besucher und TV-Teams aus allen Weltgegenden gehen hier täglich ein und aus. Mit über 200 000 Besuchern im Jahr ist es eines der meistbesuchten Museen im Land. Mit ziemlicher Sicherheit ist das IOC ein Grund für die Weltoffenheit dieser Stadt. 42 Prozent der etwas mehr als 130 000 Einwohner sind Ausländern.
Baron Pierre de Coubertin, der Begründer der modernen Olympischen Spiele, verlegte sein Büro und seinen Wohnsitz im Jahr 1915, als im Rest von Europa der Erste Weltkrieg tobte, nach Lausanne. Er wollte, dass «der Olympismus in der unabhängigen und stolzen Atmosphäre, die man hier atmet, die Sicherheit der Freiheit findet, die er für seine Entwicklung braucht». Diese Atmosphäre biete Lausanne dem IOC noch heute.
Der Baron residierte anfänglich in einem Hinterzimmer des Casinos, 1922 erfolge der Umzug in die Villa Mon Repos. Seit 1968 ist der Hauptsitz im Schloss Vidy und 1968 hat das IOC gleich daneben für 160 Millionen Franken ein Bürogebäude errichten lassen. Jogger traben achtlos an dem edlen, bescheiden pompösen Gebäude vorbei, in dessen schwarzen Scheiben sich die Bäume spiegeln. Hier, im Parc Bourget, wunderschön am Lac Léman gelegen, ist der diskrete Sitz der vielleicht bestfunktionierenden globalen Geld- und Machtmaschine.
Rund um den IOC ist ein weltumspannendes Sport-Imperium entstanden. Alle, die auf dieser Welt im Sport nach Einfluss trachten, streben nach Lausanne. Die Macht im Weltsport kommt aus den Büros in und um Lausanne. Mehr als 40 Sportverbände und internationale Sportorganisationen haben sich in der Stadt oder in den Vororten gruppiert. Je näher am IOC, desto wirkungsvoller das Lobbying.
Es ist kein Zufall, dass fünf Schweizer im IOC sitzen: Patrick Baumann, Sepp Blatter, René Fasel, Gian-Franco Kasper und Denis Oswald. Die Schweizer haben im «Weltparlament des Sportes» mehr Stimmen als Russland, Deutschland oder die USA. Der enorme sportpolitische Einfluss der Schweiz hat sehr viel mit der Nähe zum globalen Sport-Machtzentrum zu tun.
Das IOC ist mit 205 Mitgliederländern nach der FIFA (209) die globalste Firma der Welt und dürfte einflussreicher als die FIFA sein. Weil die nationalen Vertreter der Olympischen Bewegung in ihren Heimatländern politisch besser vernetzt sind als Sepp Blatters oft vorlauten Landesfürsten. Und weil das IOC in den USA und Russland politisch eine viel grössere Bedeutung als die FIFA hat. Im IOC ist ja selbst «Fussball-Sonnenkönig» Sepp Blatter nur eines von 103 Mitgliedern.
Die Schweiz zieht aus dem IOC-Hauptsitz nicht nur einen grossen sportpolitischen sondern auch einen enormen wirtschaftlichen Nutzen. Gemäss einer Studie der Sportakademie AISTS (Académie Internationale des Sciendes et Techniques du Sport) beschert das IOC-Imperium Lausanne und Umgebung jährlich über 100 Millionen Franken Einnahmen und mehr als 2000 Arbeitsplätze.
Alleine das IOC zählt in seiner zentralen Administration rund 400 Mitarbeitende. Noch in den 1960er Jahren bestand die IOC-Verwaltung aus einem Geschäftsführer und einer Halbtagssekretärin. Die Einnahmen sind ja auch ein wenig gestiegen. Der Vierjahres-Umsatz (durch TV-Rechte und Sponsoring für die Spiele) hat inzwischen die Sieben-Milliarden-Grenze passiert. Das IOC ist damit wirtschaftlich noch erfolgreicher als die FIFA, die mit den WM-Turnieren rund vier Milliarden Umsatz erzielt.
Das IOC behält von seinen Einnahmen etwa zehn Prozent zurück. Der Rest fliesst in den Sport zurück (Infrastrukturen, Ausbildung, Dopingbekämpfung etc.). Mit diesen zehn Prozent lässt sich das globale Sport-Machtzentrum in Lausanne gut im Schuss halten.
Aber anders als der Weltfussballverband FIFA hat das IOC kein Gesicht, provoziert vergleichsweise keine politischen Kontroversen und Steuerdebatten in seiner Heimatstadt. Das IOC ist nicht so laut, arrogant und prasst mit seinem Reichtum nicht so wie die FIFA mit ihrem Hauptsitz am Zürichberg. Ein monolithischer Kubus, der unverhohlenen Luxus und Arroganz symbolisiert.
Durch kluge Bescheidenheit und Diskretion ist der Schwefelgeruch der Korruption beim IOC heute weitgehend verraucht. Die Olympische Bewegung hat zwar mit dem Deutschen Thomas Bach einen mächtigen, aber diskreten Vorsitzenden, der keinen Personenkult zelebriert wie der charismatische barocke Machtmensch Sepp Blatter. Der grosse FIFA-Vorsitzende ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Alleine sein Kommunikations-Direktor Walter De Gregorio dürfte bekannter sein als Thomas Bach.