Vor fünf Jahren wäre Thomas Müller fast beim FC Zürich gelandet. Es war die Zeit, als der deutsche Goalgetter noch beim Reserveteam von Bayern München in der dritthöchsten Liga auf den ganz grossen Durchbruch wartete. Sein Berater versuchte vergeblich, ihm bei anderen Klubs Spielpraxis zu verschaffen.
Die DVD mit den Toren des Stürmers kommt im Frühling 2009 auch in die Hände von Ancillo Canepa. Der FCZ-Präsident schlägt jedoch nicht zu. Die damalige Begründung von Canepa gegenüber blick.ch: «Wir wollten keinen Spieler verpflichten, den wir nur vom Video her kennen. Ausserdem suchten wir eher einen grossen, bulligen Stürmertypen.»
Zürichs Pech ist für den damals 19-jährigen Müller der Start in eine grosse Zukunft. Er bleibt bei den Bayern und hat mit Louis van Gaal, dem heutigen Bonds-Coach, bald einen grossen Förderer im Verein. Gleich im ersten Jahr holt sich das ungleiche Paar das Double in der Bundesliga. Dazu stehen die Münchner auch im Final der Champions League. Der 1,86 grosse Stürmer bucht in seiner ersten Profisaison insgesamt 19 Tore.
Die starken Leistungen rücken Müller auch in den Fokus des Bundestrainers. Im März 2010 kommt der schlaksige Stürmer, an dessen dünnen Beinen die Schienbeinschoner nie richtig Halt finden, zu seinem Länderspieldebüt. Ausgerechnet in der heimischen Allianz-Arena, wo mit Argentinien einer der grossen Rivalen wartet.
Müllers Premiere in der DFB-Elf missglückt – Gonzalo Higuain schiesst bei der 0:1-Pleite das einzige Tor. Nach 67 Minuten muss der Oberbayer für Toni Kroos, den zweiten Länderspieldebütanten, vom Platz.
Müllers denkwürdigste Szene ereignet sich allerdings ohnehin bereits vor dem Spiel. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Diego Maradona verlässt der Nationaltrainer der «Albiceleste» die Bühne, weil er fälschlicherweise davon ausgeht, das Scheinwerferlicht mit einem Balljungen zu teilen.
Thomas Müller bleibt im ganzen Tumult ziemlich locker und überlässt die Bühne dem argentinischen Nationalhelden, der sich danach auch prompt entschuldigt: «Ich wusste nicht, dass das ein Spieler war.» Müller nimmt den Faux-Pas lässig: «Für mich war das kein Problem. Ich denke, er war überrascht, weil der Bundestrainer nicht da war.»
Genau vier Monate später kommt es im WM-Viertelfinalspiel in Südafrika zur Neuauflage des Duells gegen Argentinien. Und schon nach drei Minuten revanchiert sich der Deutsche für Maradonas Aussetzer und legt per Kopf den Grundstein für den 4:0-Erfolg.
In der 35. Minute sieht Müller, der noch zwei Jahre zuvor seine Abitur machte, für sein Handspiel die gelbe Karte (die zweite im Turnier). So ist der neue Goalgetter der Deutschen im WM-Halbfinalspiel gegen Spanien gesperrt. Ohne Müller verliert Deutschland gegen die Iberer mit 0:1.
Doch ein Thomas Müller, der wie sein Vorbild und Namensvetter Gerd Müller die «13» auf dem Rücken trägt, lässt sich nicht unterkriegen. Mit seinem fünften Turniertreffer im Spiel um Platz 3 holt er sich die Torjägerkrone.
Auch in Brasilien ist der inzwischen 24-jährige Goalgetter bereits wieder bei fünf Toren angelangt. Thomas Müller ist neuerdings laut transfermarkt.ch mit umgerechnet 60 Millionen Schweizer Franken Marktwert der teuerste Spieler im Kader von Bundestrainer Jogi Löw. Alejandro Sabella, der Coach der Gauchos, dürfte also inzwischen vor Thomas Müller gewarnt sein. Selbst Diego Maradona wird, trotz Sonnenbrille, im Stadion sicher erkennen, wer dieser Schlaks mit dem Grinsen im Gesicht ist, der die ganze Zeit auf das argentinische Tor anrennt.