«Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich an die Fans denke», erklärte der neue HSV-Feuerwehrmann Bruno Labbadia auf der Pressekonferenz nach dem Befreiungsschlag und zeigte den Medienvertretern seine Unterarme. Die HSV-Fans unter den 51'321 Zuschauern hatten ihre Mannschaft beim 3:2 über den FC Augsburg angefeuert «als wären wir heute Deutscher Meister geworden», wie Kapitän Rafael van der Vaart nach seinem drittletzten Auftritt in der Hamburger Imtech Arena sichtlich gerührt zusammenfasste.
Als der gelbgesperrte Lewis Holtby und der Verletzte Dennis Diekmeier von ihren Stehplätzen in der Fankurve gut gelaunt in die HSV-Kabine eilten, war die noch leer. Profis und Anhänger feierten noch lange nach Spielende gemeinsam den ersten Sieg nach neun Spielen ohne Dreier und das Ende der Torflaute nach 597 torlosen Minuten. Klubhistoriker können in den Unterlagen von über 127 Jahren Vereinsgeschichte keine vergleichbare Durststrecke entdecken.
Zwischen Lethargie und Schockstarre hatte sich die Gemütslage im Laufe dieser Misserfolgsserie mit leblosen Auftritten der Mannschaft und dem damit verbundenen Absturz ans Tabellenende unter den Fans in der Hansestadt eingependelt. Nach dem 3:2 scheint eine ganze Stadt wachgerüttelt. Nicht nur in den U- und S-Bahnen auf der Abfahrt vom Spiel, sondern auch in den Bars und Kneipen rund um die Vergnügungsmeile im «Feindesland» St. Pauli war das Ergebnis vom Samstagnachmittag das Gesprächsthema des Wochenendes.
Labbadia hat es in den zehn Tagen nach seinem zweiten Amtsantritt beim Bundesliga-Dino geschafft, Verein, Mannschaft und Umfeld wieder Leben einzuhauchen. Oder wie er sagt: «Der Glaube ist zurückgekehrt.» Einen Spieler wollte der Trainer nach dem Sieg gegen Augsburg nicht hervorheben. «Der Matchwinner ist die Mannschaft.» Trotzdem kann Nati-Verteidiger Johan Djourou mit stolzen 92 gewonnen Prozent seiner Zweikämpfe als einer der Hauptpfeiler gesehen werden.
Sein neuer Chef hat die Uhr zurück auf Null gestellt. So blieb der Kabinenausraster von Valon Behrami in der Halbzeitpause des Wolfsburg-Spiels für den Defensiv-Spezialisten folgenlos. Bereits beim 0:1 gegen Bremen im vorletzten Spiel konnte Behrami das Vertrauen des Trainers rechtfertigten und unter Beweis stellen, dass der zu Recht auf ihn baut. Bis zu seinem viel diskutierten Platzverweis und dem aus dem folgenden Foulelfmeter resultierenden Gegentreffer in der 83. Minute hatte Behrami eine Abwehr organisiert, die keine Bremer Grosschance zuliess.
Aufgrund seiner Sperre blieb es nun gegen Augsburg «Prügelopfer» Djourou vorbehalten, die Defensive zu organisieren. «Endlich ein Sieg. Das Spiel hat viel Kraft gekostet. Wir haben gekämpft ohne Ende, denn es war heute echt nicht einfach. Die drei Punkte aus diesem Heimspiel waren so wichtig. Wir sind trotz der Rückschläge positiv geblieben. Viele haben nicht mehr an uns geglaubt, aber wir sind zusammengeblieben und werden auch weiter zusammen kämpfen und konzentriert arbeiten», sprudelte die Erleichterung nach Spielschluss förmlich aus Djourou heraus. Abschliessend tritt der Innenverteidiger aber auf die Euphoriebremse und mahnt: «Noch haben wir nichts erreicht.»
Erreicht nicht, aber bewegt. Bewegen sollte sich auch bei Gegner Augsburg viel. Nach 20 Spieltagen stand der Verein mit dem zweitkleinsten Budget der Liga auf Rang vier, der zur Qualifikation für die Champions League berechtigt. Angesichts von acht Punkten Vorsprung auf Rang sieben wurde in der Fuggerstadt das Minimalziel Europa League formuliert. Nach nur zwei Siegen in den letzten zehn Spielen sowie nun fünf Auswärtsniederlagen in Folge ist der FC Augsburg auf Rang sechs zurückgefallen und das Polster auf den Achten Borussia Dortmund ist auf magere drei Pünktchen geschrumpft.
Marwin Hitz, der Augsburg mit guten Paraden lange im Spiel gehalten hatte, ärgerte sich ausgiebig über die Niederlage: «Ich denke, dass wir insgesamt die bessere Mannschaft waren, aber wir haben drei ganz unnötige Gegentore kassiert. Das darf nicht passieren. Drei Gegentore sind in der Bundesliga einfach zu viel, vor allem wenn sie so zustande kommen. Der HSV war gerade nach dem 2:2 verunsichert, das konnten wir aber leider nicht ausnutzen.»
Der FCA-Goalie gab sich durchaus selbstkritisch, wollte aber positiv in die Zukunft blicken: «Wenn man so auftritt wie wir, viel zu weit weg von den Gegenspielern, dann kann man auch keine Spiele gewinnen. Daran haben wir jetzt ein, zwei Tage zu knabbern, und dann werden wir wieder aufstehen und alles geben für den Traum von Europa. Wir haben noch vier wichtige Spiele vor uns.»
Das gilt für Augsburg im Rennen um die erste Europapokalteilnahme der Vereinsgeschichte ebenso wie für den HSV im Kampf gegen den ersten Abstieg seiner Bundesligageschichte.