Der Saisonstart ist Vizemeister GC mit zwei Auftakt-Pleiten gegen Zürich und Thun gründlich misslungen. Die Quittung: Platz 9 nach zwei Runden – nur Aufsteiger Vaduz kam nach der Sommerpause noch schlechter in die Gänge.
Leichter wird es auch am Mittwoch nicht. Beim Hinspiel im Kampf um die Champions-League-Playoffs ist im Letzigrund wieder ein richtig harter Brocken aus der Ligue 1 zu Gast. Nach dem Aus gegen Lyon im letzten Jahr kreuzen die Hoppers nun mit dem OSC Lille die Klingen. «50:50» sind die Chancen auf ein Weiterkommen, wenn es nach GC-Trainer Michael Skibbe geht. Doch zumindest auf dem Papier ist Frankreichs Tabellendritter der abgelaufenen Saison haushoher Favorit.
Immerhin: Auch beim Team von Trainer René Girard läuft noch nicht alles rund. Lille steckt mitten in der Vorbereitung und hat noch keinen Ernstkampf bestritten. Die ersten drei Testspiele gingen allesamt verloren, die vierte Partie gegen Maccabi Haifa musste wegen eines Platzsturms von Palästina-Aktivisten abgebrochen werden.
Zudem gibt es Ärger mit dem ivorischen Goalgetter Salomon Kalou. Der ehemalige Chelsea-Stürmer war mit 16 Treffern hinter Zlatan Ibrahimovic Vizetorschützenkönig der Ligue 1 und hat seinen WM-Urlaub eigenmächtig um drei Tage verlängert. Aus disziplinarischen Gründen könnte er gegen GC nicht in der Startformation stehen. Zudem werden ihm Wechselabsichten in die Premier League nachgesagt.
Doch auch ohne Kalou hat Lille eine geballte Ladung WM-Power im Kader. Während mit Michael Lang nur ein GC-Akteur in Brasilien antreten durfte, können die Franzosen auch auf die belgische Offensiv-Entdeckung Divock Origi zählen. Der 19-Jährige hat zwar bereits einen Sechsjahres-Vertrag bei Liverpool unterschrieben, bleibt aber vorerst leihweise bei Lille. Mit dem französischen Mittelfeld-Abräumer Rio Mavuba und Nigerias Keeper Vincent Enyeama stehen zwei weitere WM-Fahrer im Kader.
#Enyeama fools around with his #LOSC teammates Kjaer & Rozehnal: http://t.co/RD3UBalbno #SoarSuperEagles #ShineOnNigeria #GoSuperEagles
— Leon Ahaoma (@squaner) 23. Juni 2014
Vor allem der 31-jährige «Super Eagle» im Kasten der Franzosen dürfte die Zürcher vor Probleme stellen. Enyeama wird von vielen Experten als bester Goalie Afrikas bezeichnet und hat diesen Ruf auch an der WM in Brasilien unterstrichen.
Gegen den Iran und Bosnien liess er keinen Gegentreffer zu. Für diese starken Leistungen wurde er von findigen Landsleuten mit einer aussergewöhnlichen Aktion geadelt: «Enyeama saves» – ein Kondom zu Ehren des Keepers, das (wie er) garantiert dicht hält. Im letzten Gruppenspiel gegen Argentinien und beim Achtelfinal-Aus gegen Frankreich kassierte Eneyama dann trotzdem fünf Treffer – eine Statistik zu ungewollten Schwangerschaften der Kondombenutzer gibt es nicht.
Überhaupt ist Enyeama auf Shutouts spezialisiert. In der abgelaufenen Saison gelang ihm mit Lille eine unglaubliche Serie von elf Spielen ohne Gegentor. Erst in der zwölften Partie, nach 1061 Minuten, wurde er von seinem eigenen Verteidiger Simon Kjaer bezwungen. Besonders bitter: Nur 115 Minuten haben zur 24 Jahre alten Bestmarke der Ligue 1 von Geraldo Pereira de Matos Filho gefehlt.
Bei einem der allergrössten Fussballer aller Zeiten, hat Enyeama sich nachhaltig – lies: nachhaltig negativ – ins Gedächtnis eingebrannt. Oder fragen Sie doch mal Lionel Messi, welche Albträume er nach dem ersten Gruppenspiel Argentiniens an der WM 2010 gegen Nigeria ausgestanden hat. Der Ballzauberer erwischte einen guten, ja einen sehr guten Tag. Er wirbelte, zauberte, feuerte aus allen Rohren, aus allen Lagen. Er feuerte platziert, mit Wucht, mit Effet, vor allen Dingen aber feuerte er: ohne Erfolg. Wohin Messi auch schoss, Enyeama war schon da. Meist fliegenderweise dahin gekommen, immer als Sieger in dem ungleichen Duell. Nicht erst seit damals nennen ihn die Fans liebevoll «Katze» – eine Anspielung auf seine Geschmeidigkeit im Luftkampf.
Vier Jahre später zahlt es Messi dem «Chancentod der anderen Art» heim. Im letzten Gruppenspiel der WM in Brasilien haut er Enyeama schon in der ersten Halbzeit zwei Kisten ins Gehäuse. Worauf sich dieser in der Pause besinnt und an den Unparteiischen wendet. Seine ungewöhnliche und mit einem breiten Lachen vorgetragene Bitte: Er möge doch Messi keine Freistösse mehr zusprechen. Die Torgefahr sei nämlich jeweils viel zu hoch. Vincent Enyeama, nicht nur ein sackstarker Torhüter, sondern auch eine lustige Type.
Wie lustig er das unterhaltende Element des Fussballs denn auch interpretiert, das unterstrich er vergangenes Jahr im Endspiel des Afrika-Cup. Mit dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Djamel Haimoudi steht fest: Nigeria holt zum dritten Mal den Afrika Cup. Zuviel für die «Katze», oder besser gesagt: genau richtig. Der grosse Rückhalt der «Super Eagles» startet voll durch. Krallt sich den Schiedsrichter, der nicht weiss, wie ihm geschieht, und versucht ihn hochzuheben. Es scheint, als hielte er ihn im Siegestaumel für die Trophäe. Was er nicht ist, und was auch Enyeama einsieht. Aber die Freude muss raus, und Enyeama visiert sein nächstes Opfer an: Ausgerechnet Burkina-Faso-Stürmer Jonathan Pitroipa, der mit der Niederlage hadert. Der sich vor lauter Verdutztheit zunächst ziert, dann aber die Umarmung erwidert.
Oder dann gäbe es noch folgende Episode, die wir mit einer Schlagzeile einführen wollen: «Enyeama schiesst für Tel Aviv ersten Champions-League-Treffer überhaupt». Ein Jux? Aber, aber ... – diesem Mann ist alles zuzutrauen. Und tatsächlich: Im Gruppenspiel gegen Lyon wird den Israeli in der 79. Minute ein Penalty zugesprochen. Wer soll schiessen? Gar keinen Bock auf dieses Spielchen verspürt Enyeama. Er sprintet über den ganzen Platz, legt sich die Kugel zurecht, holt noch einmal tief Luft und – versenkt ganz souverän.
Dass bei Lille der Baum bereits etwas angekohlt ist, dessen dürfte sich Enyeama bewusst sein. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wird er zu verhindern suchen, dass er so richtig zu brennen beginnt. Wenn die Grasshoppers alles richtig machen, dürfen sie das Gesamtkunstwerk Vincent Enyeama mit all seinen Facetten geniessen. Heisst: Fürchten (am Anfang, seiner Paraden wegen), sich amüsieren (in der Halbzeitpause, seiner Faxen wegen), und mit ihm den eigenen Vollerfolg so richtig herzhaft feiern (nach dem Schlusspfiff, des erhofften Patzers wegen). Das Problem: Dieser Plan tönt gut in der Theorie. Aber auf dem Platz? Da steht die Katz'.