«Das grosse Übel am Ganzen ist, dass die WM nicht stattfindet. Das tut am meisten weh», sagt Streit am Telefon. Er spürte die Euphorie, und dem Schweizer Team hätte der 42-Jährige einiges zugetraut. Derweil dürfte die Aufnahmezeremonie in die Hall of Fame eines Tages nachgeholt werden.
Die IIHF bezeichnete Streit auf der Homepage «als den wohl grössten Schweizer Spieler aller Zeiten». Fakt ist, dass er sich als erster Nicht-Goalie in der NHL durchsetzte und damit die Türen für die heutige Schweizer Generation öffnete. «Es ist schön zu sehen, dass die Jungen ehrgeizig sind und noch besser sein wollen als die Topspieler meiner Generation», so der frühere Verteidiger.
The next Player Inductee to join the IIHF Hall of Fame is a true legend that inspired many of today’s Swiss ice hockey stars. Congratulations Mark Streit on joining the Class of 2020! Stay tuned as we announce the inductees! Story: https://t.co/r7o5N8Mutg @SwissIceHockey pic.twitter.com/EMxSBOlQRz
— IIHF (@IIHFHockey) February 4, 2020
Streit ist ein Synonym dafür, was mit Beharrlichkeit erreicht werden kann. Nicht umsonst trägt die kürzlich veröffentlichte Biografie den Titel «Gegen alle Widerstände». Als Junior wurde er vom SC Bern als zu wenig gut eingestuft, weshalb er bei Fribourg-Gottéron in der höchsten Schweizer Liga debütierte. 1999 wagte er erstmals den Schritt nach Nordamerika, konnte sich zunächst aber nicht durchsetzen. «Das war für mich ein enorm wichtiges Jahr, in dem ich am meisten lernte», blickt Streit zurück. «Es härtete mich ab. Ich lernte mich selber kennen, aber auch das ganze System in den USA. Das Jahr führte mir vor Augen, wie viel es braucht, um in der NHL spielen zu können, was ich unbedingt wollte.»
Zwar blieb Streit trotz zum Teil massiven Widerständen die gesamte Saison in Nordamerika. Er realisierte aber, dass er noch zu wenig gut war für die NHL, und kehrte in die Schweiz zurück, wo er für die ZSC Lions spielte. «Dort erhielt ich die Chance, als Spieler auf und neben dem Eis zu reifen.»
Hatte er nie Zweifel? «Ich behielt den Optimismus immer bei und schaute vorwärts, tat den nächsten Schritt, wenn es Zeit war. Ich bedaure nichts. Wenn ich zurückschaue, habe ich das Gefühl, das Optimum und vielleicht noch etwas mehr herausgeholt zu haben.» Jedenfalls bestritt er nicht weniger als 820 Partien in der besten Liga der Welt, in denen er 100 Tore und 349 Assists erzielte.
Streit war bei den New York Islanders auch der erste Schweizer Captain in der NHL. Es reizte ihn schon früh, Verantwortung zu übernehmen und ein Leader zu sein. Zuerst einmal wollte er aber mit guten Leistungen auffallen. «Ich bin in diese Rolle hineingewachsen, lernte viel von älteren Spielern und entwickelte meinen eigenen Stil.»
Prägend waren für ihn die Olympischen Spiele 2002 in Salt Lake City, an denen er erstmals als Captain der Nationalmannschaft amtete. «Aufgrund der damaligen Vorkommnissen (Reto von Arx und Marcel Jenni wurden nach einer durchzechten Nacht nach Hause geschickt, Red.) erlebte ich eine Extremsituation. Ich sprang quasi ins kalte Wasser.»
Die gemachten Erfahrungen möchte Streit nun weitergeben. Anfang Mai wurde bekannt, dass er beim SC Bern als Aktionär mit Einsitz im Verwaltungsrat einsteigt und er den Verein in einem Teilpensum in der Jugendförderung unterstützt. «Ich möchte vor allem dem Nachwuchs etwas zurückgeben», sagt Streit. Geplant ist, dass er zweimal am Morgen mit der Fördergruppe aufs Eis geht.
Als enorm wichtig stuft Streit neben der Opferbereitschaft die Entwicklung der Persönlichkeit ein. Er wünscht sich mehr Typen mit Charakter und Leader-Qualitäten. «Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich niemand mehr positionieren will. Alle wollen möglichst perfekt sein und keine Angriffsfläche bieten. Das finde ich etwas schade. Der Sport lebt von Emotionen, von Leuten, die etwas anders ticken. Es braucht Mut und mentale Stärke, hinzustehen und zu sagen, was Sache ist. Im Moment sind viele brave Bübchen.»
Auch die Opferbereitschaft könnte für ihn grösser sein. «Heute sind die Rahmenbedingungen perfekt. Es wird alles bereitgelegt. Du musst aber dennoch trainieren und beissen. Diese Denkweise ist wichtig. Mit Talent alleine kommst du nicht weiter. Jeden Tag Gas zu geben und besser werden zu wollen, ich weiss nicht bei wie vielen das der Fall ist. Vielmehr laute die Maxime: 'Trainer, bring mich in die NHL'.»
Hat Streit angesichts der aktuellen Situation Angst um das Schweizer Eishockey? «Der ganze Sport ist beeinträchtigt – wie auch die ganze Wirtschaft. Es ist eine Bewährungsprobe. Wichtig ist, dass alles hinterfragt wird.» Einen Salary Cap, der aktuell diskutiert wird, findet Streit «sehr gut». Er befürwortet eine Ober- und eine Untergrenze bei den Löhnen. Was eine Erhöhung der erlaubten Anzahl Ausländer betrifft, darüber hat er sich «sehr viele Gedanken macht».
Einerseits findet er den Konkurrenzkampf enorm wichtig. «Das bringt dich weiter.» Anderseits sei es im Interesse eines Klubs, mit so vielen Schweizern wie möglich zu spielen. Dabei denkt er auch an die Nationalmannschaft. «Wenn nur noch ausländische Goalies auf dem Eis stehen würden, hätten wir in ein paar Jahren ein Problem. Entscheidend ist, eine Lösung zu finden, um die Zukunft der Liga zu sichern.» (sda)
Es nützt der Nationalmanschaft wenig wenn die Clubs randvoll sackstarke ausländische Spieler sind. Sie gewinnen zwar den Stanleycup, aber selten eine WM.
Bei Englands Fussball verhält es sich änlich,
im Französischen Rugby ebenfalls.