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Meister Servette Genf verpasst die Playoffs: Der Tanz der Eintagsfliege

Genfs Spieler sind enttaeuscht im zweiten Eishockey Play In Spiel der National League zwischen dem EHC Biel und Genf Servette HC, am Samstag, 9. Maerz 2024, in der Tissot Arena in Biel. (KEYSTONE/Pete ...
Lange Gesichter bei den Genfern: Für Servette ist die Saison schon vorbei.Bild: keystone
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Servette – oder der Verlust der Magie und der Tanz der Eintagsfliege

Die Saison ist für Servette am Samstag kurz nach 22 Uhr in Biel vorzeitig zu Ende gegangen. Der Absturz ist dramatisch: vom 1. auf den 10. Platz. Die schlechteste Klassierung seit 2006. Wer ist schuld? Die Antwort ist so einfach wie trivial: in erster Linie die Liga.
10.03.2024, 13:3510.03.2024, 15:45
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Die Enttäuschung ist unspektakulär. Niemand tritt nach dem 2:2 in Biel gegen die Kabinentüre. Niemand zerschmettert einen Stock im Kabinengang. Niemand flucht. Die Helden, die vor gut zehn Monaten die Schweiz und vor weniger als vier Wochen Europa erobert haben, verlassen die Bühne so wie Schauspieler nach beendeter Aufführung. Kein Drama. Aber auch kein Applaus, der sie noch einmal auf die Bühne bittet.

Wer die weitreichenden Folgen der soeben beendeten finalen Aufführung nicht kennt, denkt: Na ja, halt ein weiteres Spiel. Einzig der Umstand, dass die Kabinentüre gut eine Viertelstunde länger als üblich geschlossen bleibt, deutet darauf hin, dass vielleicht doch nicht alles so ist, wie es sein sollte. Aber eben: Es ist weder verbales noch sonstiges Gepolter (etwa durch herumgeworfene Einrichtungsgegenstände) zu hören. Die rauen Kerle sind melancholisch, leise und ganz handzahm.

Schon der Herbst war schwach

Ruhig, freundlich, selbstkritisch und souverän gibt Sportchef Marc Gautschi nach dem Spiel Auskunft. Er sucht keine Ausreden und lässt auch die Zusatzbelastung durch die Champions Hockey League nicht gelten. Ja, er zeigt sogar auf, warum das nicht das Problem war. «Wir hatten bis im November bloss zwei Partien mehr als die anderen Teams ausgetragen und waren trotzdem nicht dort, wo wir hätten sein müssen», hält Gautschi fest. Tatsächlich stand Servette da schon nur drei Punkte über dem 10. Rang und hatte auf dem 7. Platz bereits 13 Punkte Rückstand auf den Tabellenführer (ZSC Lions).

Marc Gautschi, left, Sport Director of Geneve-Servette HC, and Geneve-Servette's Head coach Patrick Emond, right, wait prior the press conference of presentation of the team of Geneve-Servette be ...
Servette-Sportchef Marc Gautschi.Bild: keystone

Früh trägt der Meister den Keim des Scheiterns in sich. Aber wie konnte es so weit kommen? Mit der nahezu gleichen Mannschaft, die auf Platz 1 der Qualifikation und zum Meistertitel gestürmt war. Ohne Krise. Ohne Schwäche. Mit einem Spiel, das mit der Präzision eines Uhrwerkes funktionierte. Und nun der Absturz von Platz 1 auf Rang 10. Von 101 auf 74 Punkte. Von 185:140 auf 140:155 Tore.

Erst zum vierten Mal seit Einführung der Playoffs (1986) hat der Meister nicht einmal den Viertelfinal erreicht. Das ist bisher nur dem SC Bern (2014 und 2020) und den ZSC Lions (2019) widerfahren.

Goalie Mayer mehr Opfer als Täter

Populär ist in dieser Situation die Kritik am Sportchef, am Trainer und am Torhüter. Robert Mayers Fangquote ist gegenüber dem Vorjahr von 91,13 Prozent auf miserable 86,90 Prozent gesunken. Obwohl Servette diese Saison noch weniger Schüsse aufs eigene Tor zugelassen hat (26,81 pro Partie) als in der Meistersaison (27,90).

Biels Luca Cunti, rechts, im Duell mit Genfs Torhueter Robert Mayer im zweiten Eishockey Play In Spiel der National League zwischen dem EHC Biel und Genf Servette HC, am Samstag, 9. Maerz 2024, in der ...
Robert Mayer im Duell mit Biels Luca Cunti.Bild: keystone

Haben ihm der meisterliche Ruhm und viel Lob und Preis (Torhüter des Jahres, MVP) nicht gutgetan? Nein. Es ist alles viel banaler. Robert Mayer ist beim Untergang mehr Opfer als Täter. Die Ausrede, die Sportchef Marc Gautschi nicht vorbringen will – die Zusatzbelastung durch die Champions Hockey League – ist eben doch eine von vier Ursachen. Die andere: die Liga, das Alter und die Details.

Die National League ist eine Tempo- und Energieliga. Eine der besten, ruhelosesten, ausgeglichensten und anstrengendsten der Welt. In Schweden oder Finnland wird strukturierter, berechenbarer, ökonomischer und langweiliger gespielt. Es ist nicht notwendig, in jeder Partie auf dem Gaspedal zu stehen. Bei uns gibt es hingegen kein energieschonendes Verwalten von Spielen. Vollgas ist jeden Abend erforderlich. Sonst laufen die Zwerge den Titanen um die Ohren.

Die Liga «frisst» ihre Meister

Die National League ist zwischen September und März mehr eine Liga der Wilden und Jungen als der Abgeklärten und Routinierten. Servette hat zwar gegen Ajoie kein Spiel verloren. Aber zwei gegen Kloten und Ambri und sogar drei gegen Langnau. Die Unerbittlichkeit der Ausgeglichenheit dürfte letztlich der Hauptgrund für Servettes Scheitern sein. Zu viele hartnäckige Gegner sind des Meisters Untergang. Die Liga ist schuld. Sie «frisst» ihre Meister. So schwer wie diese Saison hatte es ein Titelverteidiger wahrscheinlich noch nie.

Ein Champion braucht ohnehin nach einem Frühjahr des Ruhmes und einem Sommer des Auf- und Durchatmens auf allerhöchstem Niveau mehr Zeit, um in die Gänge zu kommen als alle seine Herausforderer, deren Sinnen und Trachten auf Revanche gerichtet sind. Meister-Blues. In diesem Jahrhundert haben nur die ZSC Lions, Bern und Zug ihre Titel verteidigt.

Geneve-Servette's forward Sakari Manninen lifts the trophy after winning at the Champions Hockey League Final game between Switzerland's Geneve-Servette HC and Sweden's Skelleftea AIK,  ...
Das Highlight der Saison: Servette gewinnt die Champions Hockey League.Bild: keystone

Dieser Blues hat Servette einen durchzogenen Herbst beschert. Darauf hatte die Zusatzbelastung Champions League noch keinen Einfluss. Wohl aber im stürmischen, dramatischen neuen Jahr mit dem Sturm auf Europas Gipfel. Ausgerechnet in der entscheidenden Phase der Qualifikation. Im Final am 10. Februar gegen das schwedische Spitzenteam Skelleftea (3:2) entfaltete Servette in der besten, schnellsten, intensivsten Partie der Saison noch einmal seine ganze spielerische und taktische Herrlichkeit. Schon da ist klar: Ein zweites solches Spiel, ein «Nachladen» wird nicht möglich sein. Es ist der Tanz der Eintagsfliege, dieser traurigen Love-Story: Das winzige Insekt fliegt nur einen Tag.

Ein Untergang mit fliegenden Fahnen

Schon die ZSC Lions hatten ihren historischen Triumph in der Champions League 2009 mit dem kläglichen Scheitern in der ersten Playoff-Runde bezahlt. Servette hat seit dem Triumph im europäischen Final nur noch zwei Spiele nach 60 Minuten gewonnen: 3:1 gegen Schlusslicht Ajoie und 4:2 gegen die Lakers. Fünf der letzten sechs Saisonpartien gingen verloren und die letzte endete in Biel 2:2.

Dieser letzte Auftritt in Biel offenbarte noch einmal zusammengedrängt in 60 Minuten Glanz und Elend des Champions: Es ist ein intensives, schnelles, zeitweise wildes Spektakel zwischen den beiden Vorjahresfinalisten. Servette mobilisiert noch einmal alles, ist eine Spur dominanter, präziser, im volkstümlichen Sinne besser. Es wird ein Untergang mit fliegenden Fahnen.

Biel-Goalie Säteri war Weltklasse

Aber das Spiel des entthronten Meisters trägt den Keim des Versagens in sich. Die kleinen Kunststücke in der Offensive, das coole, souveräne Meistern von heiklen defensiven Situationen, die einem Team mit schier traumwandlerischer Sicherheit gelingen, wenn es auf den hohen Wellen des Erfolges surft, die misslingen nun. Es ist die Magie des Spiels, die Servette in höchste Höhen getragen hat und die nun im zermürbenden Alltag der Qualifikation verloren gegangen ist. Hier kommt einer einen Sekundenbruchteil zu spät, dort verspringt der Puck und niemand weiss recht warum. Details.

Biels Jerome Bachofner, rechts, im Duell mit Genfs Theodor Lennstroem im zweiten Eishockey Play In Spiel der National League zwischen dem EHC Biel und Genf Servette HC, am Samstag, 9. Maerz 2024, in d ...
Theodor Lennström ist kein Henrik Tömmernes.Bild: keystone

Dazu passt: Robert Mayer personifiziert den Verlust dieser Magie. Er ist nicht mehr ein grosser Goalie wie letzte Saison. Er ist nur noch ein guter Torhüter. In Biel scheitert Servette im letzten Anlauf auch am gegnerischen Goalie. An Harri Säteri. Er pariert 36 Schüsse. Weltklasse.

Und wenn wir doch Namen nennen wollen: Theodor Lennström hat Henrik Tömmernes auf der Position des Verteidigungsministers nicht ersetzen können. Und dem letztjährigen Torschützenkönig Teemu Hartikainen fehlten die Pässe von Linus Omark: Seine Produktion ist von 28 auf 8 Tore zurückgegangen. In einzelnen Partien ist es durch gemeinsame Anstrengungen doch gelungen, auf höchste Höhen zu steigen (Hockey ist ja ein Teamsport). Aber eben nicht mehr dauerhaft. Zu ausgeglichen, zu kräftezehrend ist der Liga-Alltag.

Kein Vertrag mehr für Olkinuora

Kein Sportchef, kein Trainer und kein Einzelspieler der Welt wäre dazu in der Lage gewesen, Servettes Untergang zu verhindern. Diese Erkenntnis mag dazu beigetragen haben, dass die Helden die Bühne durch den Kabinengang in Biel so leise und klaglos verlassen. Es gibt keinen Grund für gegenseitige Schuldzuweisungen, Abrechnungen, Zorn, Entrüstung, Erbitterung, Empörung und Erregung.

Die logische Konsequenz: Das Aufarbeiten, Analysieren, Durchleuchten, Hinterfragen, Ermitteln und Ergründen des Scheiterns wird keine spektakulären Resultate hervorbringen. Sportchef Marc Gautschi bestätigt, dass Trainer Jan Cadieux und seine Assistenten bleiben: «Die Verträge laufen ja weiter.»

Genfs Trainer Jan Cadieux im zweiten Eishockey Play In Spiel der National League zwischen dem EHC Biel und Genf Servette HC, am Samstag, 9. Maerz 2024, in der Tissot Arena in Biel. (KEYSTONE/Peter Sch ...
Trainer Jan Cadieux sitzt fest im Sattel.Bild: keystone

Veränderungen gibt es auf den Ausländerpositionen. Wegen des Alters. Valtteri Filppula (39) und Daniel Winnik (39) gehen. Der Vertrag mit dem finnischen Torhüter Jussi Olkinuora (33), während der Saison eingeflogen, wird nicht verlängert. Gautschi sagt: «Wir setzen nächste Saison auf Robert Mayer und Gauthier Descloux.» Das Duo, das Servette im letzten Frühjahr zum Titel getragen hatte. Die Ausländerpositionen werde er wieder mit zwei Verteidigern und vier Stürmern besetzen.

Bertaggia zurück unter Palmen?

Oder gibt es vielleicht doch noch dieses oder jenes kleine Drama? Nun, das sollten wir nicht ganz ausschliessen. Dramen werden es allerdings nicht sein. Eher Transferepisoden. Auf die Frage, ob er versuchen werde, Alessio Bertaggia (30) mit einem Tauschgeschäft loszuwerden, mag Gautschi weder «Ja» noch «Nein» sagen.

Logisch: Er wird sich wohl auch schon mit diesem Gedanken beschäftigt haben. Bertaggia, der einst bei Lugano dreimal hintereinander über 20 Punkte und einmal sogar 17 Tore buchte, ist auch im zweiten Jahr in Genf nur noch eine Karikatur seiner selbst: 14 Punkte und in den letzten sechs Partien, als es um alles ging, punktelos. Bloss noch 11:50 Minuten Eiszeit pro Spiel und defensiv nachlässig (–7). Seinen Job kann auch ein bissiger Junior erledigen. Aber sein Vertrag läuft noch bis 2027.

Geneve-Servette's Alessio Bertaggia celebrates with the trophy after the Champions Hockey League Final game between Switzerland's Geneve-Servette HC and Sweden's Skelleftea AIK, at the  ...
Kehrt Alessio Bertaggia zurück in die Heimat?Bild: keystone

Bertaggia ist einst schon in Zug nicht glücklich geworden. Es hat halt weder in Zug noch in Genf Palmen. Warum also nicht im Tausch mit einem der zahlreichen jungen Talente zurück unter den Schutz und Schirm der Palmen, heim zu Lugano, wo sein Vater Sandro Bertaggia als Legende verehrt wird? Es trifft sich gut, dass Bertaggia Senior heute als kluger, umsichtiger Spielerberater tätig ist. Er wird mit Servette-Sportchef Marc Gautschi schon eine Lösung finden.

  • Stürmer
  • Verteidiger
  • Torhüter
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Nation Flag

Aktuelle
Note

  • 7

    Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.

  • 6-7

    Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.

  • 5-6

    Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.

  • 4-5

    Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.

  • 3-4

    Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.

  • Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.

5,2

09.22

5,2

09.23

5,2

01.24

Punkte

Goals/Assists

Spiele

Strafminuten

  • Er ist

  • Er kann

  • Erwarte

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13 Kommentare
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hpvogt
10.03.2024 15:55registriert August 2014
„Theodor Lennström hat Henrik Tömmernes auf der Position des Verteidigungsministers nicht ersetzen können.“ Lieber Chronist, wie hätte er das tun sollen, er hat ja praktisch die ganze Saison verletzungsbedingt verpasst.
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