Mit Blick auf die Ausgangslage ist dieses 1:4 lediglich ein Betriebsunfall. Haushoher Favorit, arrogant, verliert gegen krassen Aussenseiter. Kein Problem. Die ZSC Lions werden diese Viertelfinalserie trotzdem noch gewinnen. Dann halt nicht mit 4:0-Siegen. Sondern mit 4:1. Oder 4:2. Aber ausscheiden? Daran denkt in Zürich noch niemand. Weil es undenkbar ist. Also kein Grund zur Sorge.
Aber mit Blick aufs Spielgeschehen ist dieses 1:4 zutiefst beunruhigend. Die Zürcher waren nämlich nicht nur arrogant. Der frühe 0:3-Rückstand, die Startphase, war noch der Arroganz geschuldet. Was ja passieren kann wenn die Qualifikation mit 20 Punkten Vorsprung gewonnen wird. Aber im zweiten und dritten Drittel war es nicht mehr Arroganz. Sondern Ratlosigkeit. Und der Grund für diese Ratlosigkeit war auch ein Mangel an Energie und Leidenschaft: Zu viele Zweikämpfe gingen verloren.
Lausannes Abwehr liess sich mit spielerischen Mitteln nicht knacken. Der einzige Treffer resultierte in einem Powerplay. Lausanne nützte geschickt den Vorteil der «inneren Linie»: Den Vorteil der kürzeren Wege, um das Tor von Cristobal Huet abzuschirmen und von einem Brennpunkt zum anderen zu eilen. Die Zürcher beherrschten zwar weitgehend die Aussenbahnen. Aussen herum war Roman Wick ein Held. Doch im «Innenraum» des gegnerischen Drittels waren die ZSC-Stürmer seltene Gäste. Die Zürcher hatten keinen Stürmer, der Entschlossenheit und Mut aufbrachte, um sich durch diese Mitte zu kämpfen.
Roman Wick, Luca Cunti und Robert Nilsson, die herbstlichen und winterlichen Helden der Zürcher Offensive, waren erst ratlos und schliesslich chancenlos. Oder salopp gesagt: Die punktebesten ZSC-Stürmer waren in diesem ersten Playoff-Spiel Weicheier. Mit dieser Spielweise werden sie in dieser Serie keine Tore schiessen.
Die Erklärungen der Spieler und der Trainer sind in solchen Fällen hinlänglich bekannt. Nein, man sei von der gegnerischen Spielweise nicht überrascht worden. Man habe gewusst, wie Lausanne spielen würde (Seger, Schäppi). Und nun gelte es das Spiel abzuhaken und sich auf die nächste Partie vorzubereiten (Schäppi).
ZSC-General Marc Crawford sagte, Lausanne habe den Sieg verdient und seine Mannschaft die Niederlage. Er betonte mehrmals, wie leidenschaftlich und diszipliniert Lausanne als Team gearbeitet habe, und dann sagte er noch etwas, das zur Beunruhigung beiträgt: «Verschiedene Faktoren können zu einem solchen Resultat führen. Beispielsweise eine gute oder eine schlechte Torhüterleistung.» Er hat so die Kritik an seinen Goalies – Torhüterkritik ist für einen Coach absolut tabu – sozusagen auf das Niveau der Sportdiplomatie gehoben.
Nach dem 0:3 musste Lukas Flüeler (Fangquote; 66,67 Prozent) seinen Platz Tim Wolf überlassen. Ist Lukas Flüeler nicht nur ein guter, sondern ein grosser Goalie? Die Antwort auf diese Frage wird das Schicksal der ZSC Lions besiegeln.
Betriebsunfall oder Krise also? Die Statistik wirkt vorerst beruhigend. Diese 1:4-Pleite der Zürcher war die sechste Niederlage eines Qualifikationssiegers im ersten Spiel seit Einführung der Playoffs (1986). Nur einmal (Lugano 2005) scheiterte der Qualifikationssieger nach einer Auftaktniederlage. Und dreimal wurde der Qualifikationssieger nach einer Niederlage in der ersten Playoff-Partie gar noch Meister.
Vorerst sprechen 80 Prozent für die Version Betriebsunfall und nur 20 Prozent für eine Krise. Aber nach einer zweite Niederlage am Donnerstag in Lausanne (dort haben die ZSC Lions diese Saison beide Qualifikationspartien verloren) wären es bereits 50 Prozent Krise.