Dreiste «Talent-Lüge» um annulliertes Hockey-Camp
Das jährliche Prospect Camp der Nationalmannschaft führt talentierte Spieler bis 25 Jahre näher an das Team von Nationaltrainer Patrick Fischer heran. Es sind Spieler in einer entscheidenden Entwicklungsphase: Sie können nicht mehr in der U-20-Nationalmannschaft eingesetzt werden, sind aber in der Regel noch keine ausgereiften Schlüsselspieler in der Liga. Da die Schweizer im Vergleich zu den Nordamerikanern und Skandinaviern sehr oft «Spätzünder» sind, ist die Förderung dieser Talentgruppe sehr wichtig.
Dieses Jahr wird das Camp jedoch nicht stattfinden. Verbands-Sportdirektor Lars Weibel hat das Camp eigenmächtig, ohne vorherige Konsultation der Liga-Vertreter im entsprechenden Gremium (National Team Committee), abgesagt. Reto Kläy (Zug), Paolo Duca (Ambri), Marc Gianola (Davos) und Peter Zahner (ZSC) bestätigen, dass sie von der Absage überrascht worden sind.
Diese Eigenmächtigkeit des nicht unumstrittenen Verbands-Sportdirektors sorgt in der National League für weitreichende Verärgerung. Eigentlich könnte dieser Fauxpas noch als Kommunikationspanne durchgehen und allenfalls ein Teil davon über das Konto «verletzte Eitelkeiten» abgebucht werden. Aber die Begründung hat das Fass zum Überlaufen gebracht.
Lars Weibel begründet seine Absage nämlich so: «Es gibt aktuell von allen Prospect-Kandidaten drei Spieler, die etwa 10 Minuten Eiszeit haben. Diese drei Spieler können wir auch in die bestehenden Nati-Programme während der kommenden Saison integrieren. Alle anderen haben aktuell in ihren Vereinen deutlich zu wenig Eiszeit.»
Diese Aussage hält einem Faktencheck in keiner Weise stand. Es gibt zehn Verteidiger und 13 Stürmer, die letzte Saison mehr als zehn Minuten Eiszeit in der National League hatten, und mindestens die Hälfte davon hat durchaus das Potenzial zum Operetten-Nationalspieler. Es sind also 23 Spieler, für die das Prospect Camp gedacht und sehr sinnvoll ist. Dazu kommt: Weitere sieben Talente in dieser Altersgruppe hatten mehr als acht Minuten Eiszeit und einer erzielte sogar in den Playoffs ein entscheidendes Tor (Elvis Schläpfer).
Prospect-Camp-Kandidaten 2022/23 mit mehr als 10 Minuten Eiszeit
Verteidiger:
- David Aebischer, Jahrgang 2000, Lakers, 19:35 Minuten Eiszeit/Spiel
- Tobias Geiser, 1999, Zug, 19:15
- Nathan Vouardoux, 2001, 13:58
- Nico Gross, Zug, 2000, 13:41
- Bastian Guggenheim, 2001, Langnau, 12:25
- Inaki Baragano, 2001, Lakers, 12:03
- Luca Capaul, 1999, Kloten, 11:22
- Noah Delémont, 2002, 10:44
- Davyd Barandun, 2000, Davos, 10:10
- Mika Henauer, 2000, Bern, 10:07
Stürmer:
- Sandro Schmid, 2000, Gottéron, 15:30
- Gian-Marco Wetter, 2000, Lakers, 15:05
- Simon Knak, 2002, Davos, 13:41
- Justin Sigrist, 1999, ZSC, 13:34
- Valentin Nussbaumer, 2000, Davos, 12:10
- Sven Leuenberger, 1999, Zug, 11:53
- Axel Simic, 1999, Kloten, 11:39
- Ian Derungs, 1999, Ajoie, 11:13
- Ramon Tanner, 1999, Biel, 11:12
- Nando Eggenberger, 1999, Lakers/Ambri, 10:59
- Keijo Weibel, 2000, Langnau, 10:56
- Stéphane Patry, 2000, Lugano, 10:44
- Kevin Lindemann, 2002, Kloten, 10:38
Mit Mathieu Vouillamoz (2000, Ajoie), Joshua Fahrni (2002, Bern), Yanick Stampfli (2000, Biel), Arno Nussbaumer (2002, Zug), Elvis Schläpfer (2001, Biel), Gilian Kohler (2000, Ajoie) und Valentin Hofer (2002, Ambri) gibt es weitere sieben Talente mit mehr als 8 Minuten Eiszeit.
Lars Weibel ist nicht unumstritten. Mit der eigenmächtigen Absage des Prospect Camps und seiner «Talent-Lüge» als Begründung hat er die Sportchefs und General Manager der National-League-Klubs noch mehr gegen sich aufgebracht. Inzwischen fordern immer mehr mächtige Klubgeneräle seine Absetzung, wollen aber in der Sache noch nicht vortreten und zitiert werden. Es ist höchst alarmierend, dass selbst Zugs besonnener, kluger und diplomatischer Sportchef Reto Kläy nun nicht mehr für den Verbands-Sportdirektor weibelt.
Abgesehen von diesem Eklat: Es ist nicht gut, wenn die Vertrauensbasis zwischen der National League (die den grössten Teil der Nationalspieler auf allen Stufen ausbildet und bezahlt) und der Sportabteilung des Verbandes verloren geht. Einen Konflikt zwischen Liga und Verband können wir uns nicht leisten.
Die Klubvertreter hoffen auf entsprechende Schritte der neuen Verbandsführung. Im September wird mit Stefan Schärer ein neuer Verbandspräsident gewählt. Einem heissen Sommer wird ein hockeypolitisch heisser Herbst folgen.