Zug hat soeben das 3:0 erzielt. Das Spiel scheint gelaufen.
Die «alten weissen Männer» des Langnauer Hockeys (so nennt es einer aus der Runde mit viel Selbstironie) ziehen sich in die VIP-Loge («Jakob- Galerie») zurück. Im Abstand am Tisch und mit Maske. So wie es das Gesetz befiehlt.
Bald einmal geht es um ein Thema, dessen Brisanz noch nicht an die Öffentlichkeit durchgedrungen ist. Gibt es keine baldige Einigung, ist die Existenz der SCL Tigers gefährdet.
Im Zentrum stehen die beiden «Alphatiere» der Langnauer Hockey-Kultur. Präsident Peter Jakob und sein langjähriger Weggefährte und Verwaltungsrat Karl Brügger. Zwei erfolgreiche, international vernetzte Unternehmer aus dem Emmental bzw. dem Berner Oberland.
Worum geht es? Präsident Peter Jakob will ein zweites überdachtes Eisfeld neben dem Ilfis-Tempel bauen. Gesamtkosten: 15 Millionen. Eine Million ist heute schon für Planungskosten ausgegeben worden.
Langnaus Vorsitzender hat bereits 15 Millionen in den Umbau des Stadions investiert. Die Erweiterung mit einem zweiten überdachten Eisfeld sieht er sozusagen als Abrundung eines Hockey-Lebenswerkes.
Das Problem: Auch wenn er als Bauherr für dieses zweite Eisfeld auftritt, werden die Betriebskosten die Buchhaltung der SCL Tigers belasten. Gegen eine realistische Berechnung dieser jährlich anfallenden Kosten sträubt sich Peter Jakob irgendwie. Karl Brügger aber besteht darauf.
So kompliziert ist diese Berechnung eigentlich nicht: Ein zweites überdachtes Eisfeld wird, Abschreibungen inklusive, Kosten zwischen 200'000 und 400'000 Franken verursachen. Dieses Geld wird jährlich dem Hockeyunternehmen SCL Tigers entzogen. Der Nutzen? Nahezu null. Im Einzugsgebiet («Hockey Country») gibt es genügend gedeckte Kunsteisbahnen. Die Nachwuchsförderung wird durch ein zweites Eisfeld in Langnau nicht besser. Höchstens bequemer.
Im leeren Tempel an der Ilfis spielen die Langnauer immer noch gegen Zug. Drinnen in der VIP-Loge versucht Karl Brügger, der Hauptaktionär der SCL Tigers, einmal mehr vergeblich, seinen Präsidenten vom Bau dieses «Versailles des Emmentaler Hockeys» abzubringen.
Er argumentiert, die SCL Tigers seien ein Hockey-Unternehmen und im Zentrum stehe eine konkurrenzfähige erste Mannschaft. «Wir haben jetzt schon das kleinste Budget. Wenn wir künftig jedes Jahr eine sechsstellige Summe für ein zweites Eisfeld ausgeben müssen, dann gefährden wir die Konkurrenzfähigkeit unserer ersten Mannschaft.» Und als Präsident der Nachwuchsorganisation (SCL Young Tigers) verweist er auf die gute Nachwuchsarbeit, die auch ohne zweites Eisfeld geleistet werde.
Peter Jakob ist für Karl Brüggers Argumente nicht zugänglich. Er sagt: «Wenn wir im Sommer nicht grünes Licht für den Bau des zweiten Eisfeldes geben, dann trete ich als Präsident zurück.»
Potz Heilantonner! Einen Moment lang ist in der Männerrunde betretenes Schweigen. Rücktritt? Wegen so eines nicht überlebensnotwendigen Prestige-Projektes? Das kann nicht sein.
Keiner glaubt es. Keiner in der Runde nimmt diese Drohung ernst. Doch Peter Jakob, der die Zweifel spürt, legt nach: «Ich sage es gerne noch einmal: Wenn wir im Juni nicht grünes Licht geben können, bin ich weg.»
Gut öffnet grad jetzt Alt-Gemeindepräsident Bernhard Antener von den Zuschauerplätzen her die Tür zur VIP-Loge und ruft herein, in Maske natürlich, wie es sich gehört: «Jungs, es steht nur noch 2:3!» Und so erheben sich die «alten weissen Männer» der Langnauer Hockeykultur und begeben sich mit Maske und Abstand auf die Tribüne und wenden sich dem unterhaltsamen Treiben auf dem Eis zu.
Langnau macht im Schlussdrittel mit einem Sturmlauf (15:4 Torschüsse) gegen den Torhütertitanen Leonardo Genoni aus einem 0:3 ein 4:3 und verliert doch 4:5. Zugs Trainer Dan Tangnes wird anerkennend sagen: «Seit ich in der Schweiz bin, habe ich in Langnau noch nie einen ruhigen Abend erlebt …»
Aber eben: Der Konflikt ist nicht gelöst. Er erschüttert das Unternehmen der SCL Tigers in den Grundfesten: Peter Jakob und Karl Brügger sichern die wirtschaftliche Existenz der SCL Tigers.
Sie haben jahrelang mit ihrem weitverzweigten Beziehungsnetz dafür gesorgt, dass die jährlichen Defizite ausgeglichen worden sind. Sie haben das Unternehmen auch in struben Zeiten nie im Stich gelassen und nach dem Abstieg wieder in die höchste Liga zurück und dort schliesslich in die schwarzen Zahlen geführt.
Nun gibt es zwischen Peter Jakob und Karl Brügger wegen eines Bauprojektes zum ersten Mal (fast) unüberbrückbare hockeytechnische Differenzen. Ein Rücktritt von Peter Jakob wäre ebenso fatal wie Karl Brügger zu nötigen, einem Bauvorhaben zuzustimmen, das sich die SCL Tigers bei Lichte besehen gar nicht leisten können.
Nächste Woche ist die nächste Verwaltungsratssitzung anberaumt. Die Hoffnung: Es möge irgendwie gelingen, Peter Jakob eine goldene Brücke zu bauen auf der er sich ohne verletzten Stolz aus dem Projekt zurückziehen kann. Sozusagen eine «Hockey-Himmelsleiter für Jakob».
Eine wichtige Rolle wird Bernhard Antener spielen. Auf seinen Rat hört Peter Jakob. Aber der Alt-Gemeindepräsident schliesst bereits kategorisch aus, dass er im Falle eines Rücktrittes seines Freundes das Präsidium übernehmen würde. Er sitzt seit kurzem im Verwaltungsrat der bernischen Staatseisenbahn BLS. Dort brennt der Baum auch.
Kurz nach dem Anschlusstreffer zum 2:3 kommt noch einer in die VIP-Loge und verfolgt einsam und aufgebracht durchs Glasfenster das Spiel. Trainer Rikard Franzén. Auch er natürlich in Maske. Die beiden Headschiedsrichter Marc Wiegand und Alex Dipietro haben ihn mit einer Spieldauer-Disziplinarstrafe von der Spielerbank verbannt.
Der unerschütterliche Schwede mit dem unbestürzbaren Gesichtsausdruck zeigt Emotionen. «Ich wollte die Schiedsrichter auf etwas aufmerksam machen. Sie ignorierten mich. Ich akzeptierte das nicht und da bin ich auf die Tribüne geschickt worden.» Er habe die Unparteiischen weder beschimpft noch beleidigt.
Diesen Sachverhalt bestätigen sowohl Marc Wiegand und Alex Dipietro. Sie sagen übereinstimmend: «Er hat einfach nicht Ruhe gegeben. Auch dann nicht, als wir ihn verwarnten. Deshalb haben wir die Strafe ausgesprochen.» Beide bekräftigen, dass es keine Beleidigung oder Beschimpfung gegeben habe.
Rikard Franzén hat sich auch nach dem Spiel nicht beruhigt. Er sieht eine schon länger andauernde Benachteiligung seiner Mannschaft durch die Schiedsrichter. Weil Langnau eben ein kleiner Klub sei.
Auch wenn er es wohl etwas zu eng sieht – Unrecht hat er nicht. Eine Mannschaft, die 21 der letzten 23 Spiele verloren hat, ist wahrscheinlich mehrheitlich unter Druck und muss zu spielerisch illegalen Mitteln greifen.
Den Letzten beissen nicht nur die Hunde. Manchmal auch die Zebras.
"Sie haben jahrelang mit ihrem weitverzweigten Beziehungsnetz dafür gesorgt, dass die jährlichen Defizite ausgeglichen worden sind."
Solche Leute nennt man ausserhalb des Emmentals auch Mäzene.
Sicher ein einziges sinnvoller als den schwedischen Topskorer anzuheuern und trotzdem abgeschlagen auf dem letzten Platz zu landen.
Das Dilemma der SCL Tigers ist. Sie sind zu gut fürs B und zu schlecht fürs A.
Ohne sportlichen Auf -und Abstieg sieht es düster aus.