Ein Blick auf eine faszinierende Persönlichkeit hilft uns zu verstehen, welche Rolle Chris McSorley im Walliser Hockey spielt.
Oder vielleicht besser: von welchem Selbstverständnis der charismatische Kanadier getrieben wird. Es geht um Kaspar Stockalper (1609 bis 1691). Bis heute der mächtigste Mann in der Geschichte des Wallis. Mächtiger sogar als Christian Constantin.
Kaspar Stockalper war Geschäftsmann und Politiker, baute und sponserte Klöster, Kirchen, Spitäler, Schulen und Heime. Als Bauherr war er für die Errichtung der Kirche Mariä Himmelfahrt in Glis, des Kanals von Vouvry nach Collombey, des Kollegiums Spiritus Sanctus und des Klosters St. Ursula verantwortlich, und schliesslich baute er sich zwischen 1651 und 1671 in Brig ein vierstöckiges Schloss: den Stockalperpalast. Noch heute das Ziel so mancher Schulreise.
Sein Motto, natürlich damals in lateinischer Sprache: Sospes lucra carpat (frei übersetzt: Gottes Günstling soll die Gewinne einstreichen).
Kaspar Stockalper beeinflusste Papstwahlen, Papst Urban VIII. ernannte ihn zum Ritter vom Goldenen Sporn, Kaiser Ferdinand III. erhob ihn 1653 in den Adelsstand, Ludwig XIV. verlieh ihm die Würde des St.-Michael-Ordens, und Herzog Karl Emanuel von Savoyen erkor ihn zum Baron. Nur König und Kaiser war Kaspar Stockalper nie. Auf dem Höhepunkt seiner Macht betrug sein Vermögen 1678 den damaligen Gegenwert von 122'223 Kühen. Was heute ungefähr der Lohnsumme der gleichen Anzahl NHL-Stars entsprechen dürfte.
Nach seinem Sturz konnte er noch rechtzeitig nach Domodossola fliehen, um seiner Hinrichtung zu entgehen. So kann es im Wallis zu- und hergehen.
Und nun kommen wir zum Hockey. Soeben hat der HC Sierre, 1933 gegründet, zum ersten Mal in seiner Geschichte seine Seele verkauft: Mit der offiziell verkündeten Bereitschaft, die Aktienmehrheit der Bruderschaft von Chris McSorley zu überlassen.
Klub, Stadt und Kanton haben damit die Hockey-Seele verkauft: Chris McSorley und seine Bruderschaft besitzen nun beim HC Sierre und bei der neuen Arena die Schlüsselhoheit: Sie halten beim Klub und der neuen Arena – so sie denn gebaut wird – die Mehrheit.
Bruderschaft? Nun, Chris McSorley ist so etwas wie der Mephisto (= mächtiger, dienstbarer Geist) einer Schweizer Investoren-Gruppe, die 60 Millionen zum Bau einer nigelnagelneuen 7000er-Arena in Sierre beisteuern und den Klub übernehmen will.
Der Rest der Gesamtbausumme von sage und schreibe 80 Millionen kommt, so Gott will, aus den öffentlichen Kassen: 15 Millionen von der Stadt Sierre, 5 Millionen vom Kanton. Baubeginn: Februar 2022. Eröffnung: Herbst 2024. Ein Projekt, fast wie die Bewerbung von Sion um die Olympischen Winterspiele von 2006.
Das Hockey im Wallis wird gerockt. So wie Chris McSorley hätte es wohl auch der grosse Karl Stockalper gemacht, wenn er ins Hockey investiert hätte.
Der sportliche Grössenwahn ist schon eingekehrt. Die Arena soll im Herbst 2024 mit einer Partie in der National League eröffnet werden. Einerseits drängt also die Zeit: Spätestens im Frühjahr 2024 muss der HC Sierre den Aufstieg in die höchste Liga schaffen. Aber nicht vorher: Im schäbigen alten Stadion Graben ist Eishockey auf der wichtigsten nationalen Bühne nicht möglich.
Trotzdem will Chris McSorley den HC Sierre schon auf nächste Saison zu einem stabilen Spitzenteam aufrüsten. Er sagt: «Es geht darum, ein sportliches Zeichen zu setzen.» Damit meint er: seine Bruderschaft bei Laune halten. Er bestätigt: Nichts sei für die Gemütsverfassung von Investoren besser als sportliche Siege. Recht hat er. Mag sein – um einen bösen Spruch zu zitieren –, dass Männer in schnelle Frauen und langsame Pferde investieren. Aber sicher nicht in Hockey-Lotterteams.
Und so kommt es zu dieser besonderen Form der sportlichen Planung: Zwei Jahre lang in erster Linie für das Wohlbefinden von Millionären und noch nicht für den Aufstieg siegen. Sozusagen eine sportliche Version der Formel «L’art pour l’art» (Kunst um der Kunst willen).
Erst in der Saison 2023/24 soll es dann, sozusagen auf Knopfdruck, gehörig rocken. Ohne Wenn und Aber. Dann muss Sierre mit dem Gewinn der Swiss League den Aufstieg sportlich schaffen. Frei von Boshaftigkeit dürfen wir sagen: Einer solchen Planung wohnt schon ein Hauch von Grössenwahn inne.
Definitiv stockalpersche Dimensionen hat Chris McSorleys Rollenverständnis: Ähnlich wie der liebe Gott nirgendwo Manager ist und doch über alles wacht und gebietet, aber trotzdem von keiner irdischen Macht zur Verantwortung gezogen werden kann, so sagt Chris McSorley, der neue «Hockey-Gott» im Wallis: «Ich bin in Sierre weder Sportchef noch Manager und trage nicht die Verantwortung. Ich begleite bloss die Investorengruppe». Das ist modern: überall dreinreden, aber keinen konkreten Job annehmen und somit auch nicht in der Verantwortung stehen.
Auf die Frage, wen ich denn anrufen müsste, wenn ich als Spieleragent einem meiner Klienten einen Platz an den neuen Honigtöpfen unseres Hockeys sichern möchte, sagt Chris McSorley: «Dann rufen Sie Sportchef Christophe Fellay an. Der macht einen sehr guten Job.» Okay, aber der wird ja dann sofort Sie anrufen, ob er meinen Spieler verpflichten soll. Ist es nicht besser, gleich Sie anzurufen? «Nein. Ich entscheide nicht. Aber ich gebe natürlich gerne meine Einschätzung zu einem Spieler ab.»
Eine gewisse Neigung zu stockalperschem Grössenwahn verrät auch Chris McSorleys Berufswunsch: Er möchte nächste Saison nicht nur in der höchsten Liga coachen. Es muss eine Mannschaft sein, mit der er in den nächsten drei Jahren – also bis zur Eröffnung des Eishockey-Stockalperpalastes in Sierre – auch die Meisterschaft gewinnen kann.
Meistertrainer in der höchsten Liga plus Schattensportchef beim HC Sierre mit dem Ziel Aufstieg plus Schatten-Architekt eines 80 Millionen-Bauprojektes in Sierre, plus nebenbei noch in Genf den Prozess gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber Servette um eine zweistellige Millionen-Abfindung führen – vor uns sehen wir in der Tat so etwas wie einen «Chris McStockalper».
Die Frage wäre noch zu klären: Wo will denn Chris McSorley coachen? Nur Lugano hat für nächste Saison keinen Coach unter Vertrag. Und nur Lugano bestätigt offiziell Kontakte zu Chris McSorley. «Das stimmt. Ich möchte nächste Saison in der National League an der Bande stehen. Aber ich habe noch nirgendwo einen Vertrag als Coach unterschrieben. Es kann sein, dass ich im Sommer oder aber erst im Laufe der Saison ein Team übernehmen werde …»
Das provoziert die Frage: Werden Sie also eine Art «Coaching-Hotline» betreiben? Kann ich, wenn ich ein Problem mit meinem Trainer habe, dort anrufen und Sie um Rat bitten oder gleich engagieren? Mit Sinn für schwarzen Humor und Ironie sagt er auf solche Fragen: «Sie riskieren, dass Sie einmal für alles, was Sie geschrieben haben, in der Hölle schmoren werden …»
Ob das Lugano-Gerücht nun wahr ist oder nicht: Einen Zweck hat es bereits erfüllt: Nichts motiviert in der Liga die Spieler mehr als die Drohung, Chris McSorley könnte kommen. So werden auch Kinder mit der Androhung, den «Bölima» zu rufen, zu anständigem Verhalten ermahnt. Seit das Gerücht über seinen Wechsel nach Lugano in der Welt ist, gewinnt Lugano auffällig oft.
Chris McSorley hat also wahrlich Grosses vor. Aber Sierre ist nicht Genf, wo er fast 20 Jahre lang wahrlich Grosses vollbracht hat und zeitweise als «Jesus Christ» verehrt worden ist.
Um die Mentalität im Tal der Rhone besser kennen zu lernen – die Menschen im Wallis sind anders als die Genfer mit Neigung zu und Verständnis für «grandes gueules» – sollte er sich eine englische Übersetzung des Buches «Der Günstling – Kaspar Stockalper. Eine Geschichte von Raffgier, Macht und Hinterlist» besorgen.
In dem Werk kann er nämlich auch viel über die Hinterlist neidischer Feinde lesen. Und die sitzen nur 30 Kilometer östlich von Sierre im Tal. In Visp.